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(c) Pester Lloyd / 05 - 2013   WIRTSCHAFT 01.02.2013

 

Wir leisten uns was

Ungarn zwischen konservativer und "kreativer" Zentralbankpolitik

Während die Frage, ob es einen neuen IWF-Deal geben wird oder nicht, ob Ungarn ihn überhaupt braucht, jeden Tag anders nicht beantwortet wird, ist die Unterstellung der Zentralbank unter Regierungskuratel bereits beschlossene Sache. Sie stellt den zweiten Problemkreis im Umgang mit "den Märkten" dar, die Forintkurs und Anleihezinsen beeinflussen. Die Planungen dazu sind schon viel weiter gediehen, als es die "Befürchtungen" der Märkte spiegeln und das Tänzchen mit dem IWF geht weiter, bis allen schwindlig wird.

Es wäre nur konsequent: das Parteilogo auf dem Gebäude der Ungarischen Nationalbank.

Durch die konstruierte Mehrheit im Währungsrat ist die Gleichschaltung der Ungarischen Zentralbank (MNB) unter den Regierungswillen ohnehin schon eine teilweise Realität. Am 3. März endet das Mandat von MNB-Chef Simor, die aktuelle Ankündigung Orbáns er wird "genau einen Tag vor Mandatsbeginn" erst den Nachfolger benennen, "um keine Diskussionen aufkommen zu lassen", macht nicht nur hinsichtlich der erwartbaren Figur an der Zentralbankspitze Angst, sondern sagt auch eine Menge über das demokratische Feingefühl bei der Besetzungspolitik von Verfassungsorganen aus.

Gerade vor zwei Tagen senkte die Fidesz-Mehrheit der externen Währungsratsmitglieder - gegen den wiederholten Rat des Zentralbankchefs - den Leitzins, wiederum um 50 Basispunkte auf nun 5,5%, was Wachstum und Arbeitsmarkt ankurbeln soll. Die Argumente dazu lesen sich wie aus der Feder der Zahlenfee Matolcsy, dem Minister für Wirtschaft und Finanzen diktiert und werden von MNB-Chef Simor als "simples Weltbild" kritisiert: die Angst vor der Inflation kann verworfen werden, denn die Leute können sowieso kein Geld ausgeben, der Konsum ist so niedrig, da sind die Preise fast schon egal. Außerdem reduziert die Inflation die Schulden, auch ein schwacher Forint tut das, wenn man dann bald die Forex-Reserven zur Tilgung einsetzt und ohnehin, je niedriger der Forintkurs, umso besser gehts der Exportwirtschaft, was interessieren uns Preise, Reallohnverluste oder die Leiden von rund 1 Mio. Forex-Kreditschuldnern.

Während noch bis vor kurzem jede Äußerung des Nationalwirtschaftsministers Matolcsy, der - nach dem Statement Orbáns umso mehr - als heißer, eigentlich zu heißer Kandidat für den MNB-Chefsessel gilt, auf die Goldwaage gelegt wurde, was den Kurs des Forint in den Keller und die Anleihezinsen aufs Dach vertrieb, hat sich die internationale Finanzwirtschaft nunmehr dazu entschieden, ihn einfach zu ignorieren, was angesichts der Häufigkeit seiner Äußerungen, eine weise Entscheidung darstellt, angesichts der Substanz, aber doch fahrlässig ist. Denn der Minister spricht, ähnlich wie Clowns, Betrunkene und Kinder insofern die Wahrheit, als dass seine Drohungen mit der "kreativen Zentralbankpolitik" bald in die Realtiät umgesetzt werden.

Wie schon in mehreren Zeitungskolumnen und Pressekonferenzen zuvor, schwadronierte Matolcsy neuerlich am Mittwoch von dem "Manövrierraum zur Befruchtung des Wachstums", den die Zentralbank hätte. Immerhin schob er für das Wall Street Journal nach, dass man wegen der sprunghaften Märkte und den Ausslandsschulden "vorsichtig" damit umgehen müsse. Nicht etwa wegen der inneren Stabilität, wohlgemerkt. Das Ausland braucht keine Angst haben, dass die Zentralbank nun wie eine Furie das Wachstum ankurbeln wird, um mit Blick auf die Wahlen 2014 einen positiven Wachstumseffekt herbeizuzaubern, sagte Matolcsy, um sich zwei Sätze später zu widersprechen: "Wir sind längst auf dem richtigen Weg für ein Comeback, aber wir müssen mit allen Mitteln das Wirtschaftswachstum pushen." Da man das mit Klientelpolitik und Steuergeschenken an Besserverdiener nicht hinbekommt, noch weniger mit Beschwörungsformeln, muss man eben die Reserven lockern.

Die Ängste der Volkswirtschaftler sind berechtigt, auch wenn die Zentralbank doch "konservativ und absolut unabhängig sein" soll. Auch hier folgt das Aber auf dem Fuße, sie soll halt “nur all jende Methoden anwenden, die auch die EZB, die Bank von England sowie die Fed" anwenden. Das hieße aber genau: Geld drucken, eigene Anleihen aufkaufen, Kredite aus Rücklagen vergeben. Dieses Vorgehen ist bei EZB, Fed und Bank of England an der Tagesordnung, allerdings handeln diese in Wirtschaftsräumen, die in einer Woche so viel erwirtschaften wie Ungarn im ganzen Jahr, deren Maßnahmen also durch eine ganz andere Performance gedeckt sind und im Gesamtverhältnis auch nur einen sehr kleinen Teil der vorhandenen Geldmenge betreffen. Dennoch sind sie falsch und dienen letztlich nur dem krampfhaften, von der Politik vorcierten Versuch ein auf Dauer nicht lebensfähiges, ja gesellschaftsbedrohendes Schulden-Zins-MehrSchulden-System am Leben zu erhalten, weil die, die es protegieren, Teil dieses "alternativlosen" Systems sind.

Investoren, Devisenhändler, Anleiheläufer müssten aber ganz anders reagieren, wenn die kleine ungarische Nationalbank ihre durch Exportüberschüsse mühsam angesparte rund 30 Mrd. EUR Devisenreserven antastet (30% des BIP), die den letzten Stabilitätsanker für Währung und Geldwert darstellen. Die MNB ist eben nicht die EZB und nicht die Fed, sondern die kleine Zentralbank eines kleinen Landes.

Angedachte und zum Teil schon beschlossene "kreative Zentralbank"-Maßnahmen in Ungarn werden / können sein:

- Einsatz der Devisenreserven für die Tilgung von Schulden (als zinsfreier Ersatz für scheiternde IWF-Verhandlungen und womöglich unbezahlbare Anleihezinsen am freien Markt, was zwar nett geht, aber nur genau einmal funktioniert)
- Beschränkung der Rücklagemöglichkeiten für Geschäftsbanken bei der MNB (durch Reduzierung oder Nullstellung der Zinsen für Tages- und Vierzehntageeinlagen), um die Kreditklemme zu lösen (eine Illusion, da diese Einlagen den einzig sicheren heimischen Hafen für die Banken darstellen, wachsende Kapitalabwanderung wäre die Folge)
- Freigabe von Mitteln (frisches Geld) für den Aufbau eines eigenen Mittelstands-Kreditgeschäftes seitens des Staates, dazu zweckgebundene Kreditprogramme für Geschäftsbanken (Exportförderungen, Projektbürgschaften, KMU-Kreditlinien)
- Rückkauf von Anleihen (Geld drucken)

 

Ist jedoch durch die Aufgabe einer traditionellen Funktionsweise der Zentralbank durch nur eine der obigen Maßnahmen der Damm erst einmal gebrochen, ist der Weg nicht mehr weit, dass die Regierung ihre Zentralbank als ganz normale Bank im Staatsbesitz ansieht und von ihr Gebrauch macht, um Lücken im Fiskal- und Finanzierungsbereich zu stopfen. Das tat sie auch schon bei den Einlagen der Bürger, zumindest was die privaten Rentenbeiträge (10% des BIP) betrifft. Die Folgen von einer Umstellung der Zentral- zu einer Regierungsbank wären absehbar und teuer, vor allem wieder für den Normalbüger, denn der zahlt am Ende die Zeche eines fallenden Forint und steigender Anleihezinsen.

Und der IWF? Über die politische Instrumentalisierung, die bis zur Neige geleert werden wird, haben wir auf diesen Seiten schon ausführlich berichtet. Aktueller Stand offiziell: brauchen wir nicht, inoffiziell: besser wäre es schon, schließlich bekommt man die Milliarden quasi zum Nulltarif und der Markt würde endlich Ruhe geben. Ungarn hat bei der Delegation, die jetzt 2 Wochen “turnusmäßig” wegen des Kredites von 2008 im Land war und deren Empfehlungen man so gründlich in den Wind schlug, vorgetastet, was mam innenpolitisch jedoch streng geheim hält. Aus Gründen der “Gesichtswahrung” will man allerhöchstens eine “flexible Kreditlinie”, die also, je nach Refinanzierungsbedarf erweitert oder reduziert wird, doch der IWF will sich nur auf einen fixen Stand-by-Kredit einlassen, d.h. z.B. 20 Mrd. EUR, die bereit stehen, nicht in diesem Jahr potentiell 10 und im nächsten 15, sondern 20. Wieviel Ungarn davon abruft, bleibt seine Sache, vom vorigen Kredit blieben auch 4,5 Mrd. unangetastet. Der Unterschied zum “flexiblen Modell” scheint marginal, doch die Idee stammt von Orbán, die andere vom IWF. Daher darf es letztere nicht spielen.

Solange Ungarn Teil des Systems ist, ob es nun ein Gutes oder ein Miserables ist, sei dahingestellt, muss es sich an die Spielregeln halten, denn die Freiheit, auf eigene Rechnung handeln zu können, muss man sich erst leisten können. Bis dahin tut die MNB gut daran, sich aus dem Tagesgeschäft und dem Orbánschen “Befreiungskampf” herauszuhalten und mit einer bedachten und berechenbaren Politik, die die Inflation im Zaume und den Forint möglichst stabil hält, inneren wie äußeren Investoren einen stabilen Rahmen zu geben. Die Zentralbank ist als Wunderwaffe nicht geeignet.

cs.sz.

 

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