Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

Das Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 06 - 2013   POLITIK 07.02.2013

 

Schild und Schwert der Partei

Direktiven, Streit und Wahlkampf: Klausurtagung der Regierungsparteien in Ungarn

Bei der dreitägigen Klausur im südungarischen Gyula sollte vor allem das parlamentarische Programm der Frühjahrssitzungen koordiniert werden, die am 11. Februar beginnen. Doch lautstarke Attacken und interne Spannungen drängten sich in den Vordergrund, zumal die Vorhaben der Parteigranden ohnehin nur abzunicken sind. Da alles immer Wahlkampf ist in diesem Land, spielte auch der politische Gegner eine wichtige Rolle: Bajnai nannte die Regierungspartei "verlogen und feige" und fordert Orbán zum TV-Duell...

Mit der unter “Klausur” gemeinten stillen Einkehr zur geistigen Selbstfindung war es in Gyula schnell vorbei. Zunächst protestierte ein Häuflein Oppositioneller, dann kam Freund Bayer mit seinem Entsatzheer zu Hilfe, um die Sitzung zu retten...

Oppositionell zu sein, ist schon eine Art von Verbrechen

In der sonst eher ruhigen Provinzstadt Gyula ging es kurzzeitig hoch her. Denn die propagandistischen Hilfstruppen von Fidesz-KDNP, die "Bürgerbewegung" der "Friedensmarschierer" um Orbán-Freund und Hassprediger Zsolt Bayer mochten eine winzige Demo von einigen Dutzend Linken, darunter MSZP-, DK- und Szolidaritás-Anhänger, vor dem Kongresszentrum in Gyula nicht einfach als Ausdruck demokratischer Freiheit hinnehmen. Man fühlte sich bemüßigt, fast eintausend Orbán-Anhänger heran zu kutschieren, um jeden Eindruck von Opposition im Keim zu ersticken und zu "verhindern, dass die Fraktionssitzung unterbrochen wird."

Allerdings gab es keinerlei Anzeichen, dass die oppositionellen Demonstranten die Sitzung stürmen wollten, lediglich eine Petition sollte überreicht werden. Doch das war dem Schild und Schwert der Partei schon eine Anmaßung zu viel. Mit den Worten: "Wir haben Euch lange genug erduldet..." drohte Bayer wieder einmal unverblümt in seiner latenten Ausrottungsrhetorik, die er auch gegenüber anderen "Randgruppen" vollführt. Die Organisatoren schoben nach, dass man nur "Frieden und Liebe" bringen wolle, aber wohl nicht für jeden. Diese Szene illustriert das atemberaubend abscheuliche Niveau politischer Auseiandersetzung in Ungarn, es sollte in den drei Tagen nicht die letzte dieser Art sein.

Abdichtungsarbeiten am Gebäude der Allmacht

Normalerweise dringt bei diesen Klausuren nicht viel nach außen. Die Autokratie hat in Ungarn einen bemerkenswerten, jedoch voraussehbaren Grad erreicht. Im Staat ebenso wie in der Partei. Die Partei Fidesz ist zwar nicht frei von Eigeninteressen Einzelner, geht es aber um die grundsätzliche politische Linie, kreisen alle Abgeordneten wie ein kleiner Asteroidengürtel um das Zentralgestirn Orbán und dessen treueste Helfer. Diese erläutern, welche Abdichtungsarbeiten am Gebäude der Allmacht noch zu vollenden sind und in welcher Reihenfolge welcher Abgeordnete mit welchem Antrag im Parlament aufzutreten hat, wann also welcher Asteroid auf der Erde einschlägt.

Zu den wirklich großen Entscheidungen aber, also z.B. wie man dem Verfassungsgericht endlich den Garaus machen kann (Vorschlag wird am Freitag verkündet), wie man gegenüber der EU, dem IWF aufzutreten gedenkt, ob und welche Korrekturen an der Wirtschaftspolitik vorgenommen werden sollten, welchen Schichten Wohltaten zugestanden und welchen Bürden auferlegt werden können und wie der politische Gegner einzuschätzen und zu bekämpfen ist, wird jedoch kein Abgeordneter befragt. Die Vorlagen dazu kommen von einer Handvoll der immer gleichen Parteigranden, direkt aus dem Sperrkreis 1 um den Premierminister. Fraktionschef Antal Rogán, sowie die "Kanzleramtsminister" János Lázár und Péter Sziijártó oder - fürs Grobe - Fidesz-Sprecherin Selmeczi bringen die "frohe Botschaft" dann jeweils nur unters Volk.

Ohne Orbán wäre Fidesz nackt

 

Diese Hegemonie in der Regierungspartei, der regelrechte Personenkult um Viktor-"Wir lieben Dich"-Orbán, ermöglicht eine relativ hohe, ja erschreckende Effizienz bei der Umsetzung der "nationalen Revolution", wird aber irgendwann zu einer schweren Bürde für die Nationalkonservativen. Ist die Strahlkraft Orbáns einmal aufgebraucht, was sich zwar in der Anhängerschaft heute niemand voerstellen mag, aber ein Naturgesetz politischer Entwicklung darstellt, steht Fidesz praktisch nackt da. Alle unterdrückten Meinungen, gedemütigten Kleinfunktionäre, zurückgedrängten Ehrgeizlinge würden dann in einem Ausbruch vulkanischer Kakophonie und weitgehender Desorientierung die Partei in relativ kurzer Zeit zerlegen können. Heute noch steht Orbán parteiintern unangefochten an der Spitze, sein Apparat läuft wie geschmiert.

Wo bleibt der Deal? Kampf um Einfluss zwischen Zentralregierung und lokalen Größen

Dass das so bleibt, dafür sind auch solche Klausurtagungen gedacht. Da viele der Abgeordnete als Bürgermeister oder Stadtverordnete auch, nennen wir sie einmal "kommunale Interessen", vertreten, gab es einigen Unmut über die Ankündigung, nach der gesetzlichen Preissenkung für Strom, Gas und Fernheizung von 10%, eine ebensolche Aktion für Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung zu starten, die pünktlich zu den kommenden Parlamentswahlen im Frühjahr (heute war sogar schon von Juli 2013 die Rede) in Kraft treten soll. Diese soziale Wohltat mit der Gefahr eines Bumerangeffektes, hat, so hört man, "eine kleine Diskussion entfacht", befinden sich doch die zuletzt genannten Gewerke überwiegend unter der Kontrolle der Kommunen selbst, was notwendigerweise die Einnahmen der Städte und Dörfer und damit die Weidegründer lokaler Platzhirsche weiter reduzieren muss, die nach der "Kommunalreform" ohnehin schon unter Kuratel und am Tropf der Zentralregierung hängen.

Die Vertreter von Städten und Gemeinden, fast alle in Fidesz-Hand, verlangen also eine angemessene Kompensation für die Ausfälle. Das ist kein kleines Problem, denn ihr Bedeutungsverlust gegenüber der Zentralregierung, die ihnen zwar einen Teil der Schulden, dabei aber auch die meisten Zuständigkeiten, samt Einnahmequellen abnahm, hat mehr Wirbel verursacht als vorgesehen. Viele Fidesz-Regionalgranden sahen nämlich die Überlassung der Provinzen als Lohn für ihre Treue zum Vorsitzenden an, ein Prämiensystem wie im Mittelater freilich, aber sehr effizient und nun in Frage gestellt.

Der zuständige Regierungskommissar für die Preissenkungen, Németh, meinte, dass hier "verschiedene Meinungen kollidieren, aber wir sind dafür zuständig, dass die finalen Entscheidungen bezüglich der Preissenkungen zur Zufriedenheit aller gefällt werden". Die Wahlgeschenke könnten die Staatskasse also teuer zu stehen kommen, wenn man nicht die Unzufriedenheit der ländlichen Bevölkerung, die ja die Hauptstütze dieser Partei darstellt, ob leerer Gemeindekassen riskieren will. Höhere Staatsausgaben bedeuten jedoch zwangsläufig unangnehme Einsparungen oder weitere Steuererhöhungen, was dem Sinn eines "Wahlgeschenkes" auch zuwider läuft. Planungen sehen einerseits vor, auch die Kosten für Schornsteinfeger zu senken und beim Kohlepreis "zu intervenieren", gleichzeitig aber deutet Fraktionschef Rogán heute an, dass man sich auf eine “allgemeine” Straßenmaut einrichten sollte, wenn es steuerlichen Anpassungsbedarf (also Haushaltslöcher) gibt.

Was hat Orbán in Moskau verhandelt?

Doch weit Größeres hatte Premier Orbán seinen Genossen zu verkünden, der sich, der Sonne gleich, einmal seinen kleinen Asteroiden widmete. Schließlich kam er gerade aus Brüssel und Moskau (in diesem Falle waren zwei unterschiedliche Städte gemeint) zurück und hatte sich mit dem türkischen Premier getroffen. Man ist wieder wer. In Brüssel ließ man ihn weitgehend in Ruhe seine "Erfolgsgeschichte" erzählen, Defizitverfahren und neues EU-Budget entscheiden sich erst in 2-3 Monaten.

Was er in Moskau trieb, war - bis auf die übliche Bettelei um Investitionen "Ungarn will gerne das Tor Russlands in die EU sein..." - nicht so klar, denn wie schon bei den Chinesen, müssen Opposition und Bürgerrechtler erst wieder die Gerichte bemühen, um zu erfahren, was Orbán mit seinen Verhandlungspartnern ausbaldovert hat. Es ist die Rede vom Kauf von ungarischen Staatsanleihen durch Putins Reich in der Höhe von über 4 Mrd. EUR für einen Zinssatz von 2,25%, also praktisch kostenlos. Im Gegenzug erhalten die Russen den Auftrag für den Ausbau des AKW Paks. Russland dementierte etwa eine Stunde nachdem eine ungarische Wirtschaftszeitung diese Meldung brachte, man kann also davon ausgehen, dass es wahr ist.

Bajnai: Fidesz lügt und ist feige

Der lästige Ex-Premier Bajnai, der mit seiner Wahlallianz "Gemeinsam 2014" Ambitionen entwickelt, Orbán im kommenden Jahr herauszufordern, wurde auch Thema rund um die Fraktionsklausur. Zunächst erboste man sich pflichtschuldig über Bajnais inoffiziellen Auftritt in Brüssel als zutiefst ungehörig, um ihn sodann mit Vorhaltungen einzudecken, die das Volk Glauben machen, der Teufel persönlich klopft an die Tür: Bajnai wolle den Mindestlohn senken, die Steuerfreibeträge für Familien mit Kindern und womöglich auch für Hundewelpen (!) abschaffen - und: die Renten kürzen! hieß in einem Statement, das die Propagandabteilung aus Gyula in die Welt sandte. (Was Bajnai wirklich will, hier http://www.pesterlloyd.net/html/1303mindestlohnscharmuetzel.html)

Bajnai reagierte darauf in einer Weise, die man dem Bubigesicht kaum zugetraut hatte. Er forderte sein Gegenüber Orbán zu einem "Face-to-Face"-Wettstreit der "Argumente" auf, Orbán solle sich in TV-Duells den Themen stellen und "dem Volk seine Lügen ins Gesicht sagen". Es würde Zeit, dass ihn "einmal jemand mit der Realität konfrontiert". Bajnai wolle die "Schmutzkampagne" (da ist sie wieder), die Fidesz über die Medien gegen ihn ausschütte, nicht weiter hinnehmen. Leider sei Fidesz aber nicht nur verlogen, sondern "auch feige", schob Bajnai, auf größtmögliche Wirkung bedacht, hinterher. Die Regierungspartei ließ ausrichten, dass "das Volk" längst die Antwort auf seine Politvorschläge gegeben habe, kurz: es ist dagegen. Außerdem wird Orbán kaum Interesse daran haben, Bajnai durch eine Zusage zu einem TV-Duell als ernsthaften Gegner zu qualifizieren. Vielleicht überlässt er ihn seinem Freund Bayer, seinem Schild und Schwert, für eine (weitere) öffentliche Hinrichtung.

red.

 

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?