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(c) Pester Lloyd / 07 - 2013   WIRTSCHAFT 13.02.2013

 

Untertanenbeaufsichtigung

Kommunalen Billigarbeitern in Ungarn wird ein Viertel vom Lohn gestrichen

Eigentlich sollten sich die rund 250.000 derzeit unter dem gesetzlichen Mindestlohn schuftenden "Közmunkas" (Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose in verpflichtenden kommunalen Beschäftigungsprogrammen) über eine bescheidene Zulage freuen dürfen, wurde ihr Hungerlohn für eine 40-Stunden-Tätigkeit im Zuge einer "Inflationsanpassung" von 47.000 (im Vorjahr rund 170 EUR) auf 49.000 Forint (heute rund 168 EUR) brutto (!) "angehoben". Das sind exakt 50% des gesetzlichen Mindestlohnes. Doch vor dem Gesetz sind eben nicht alle gleich.

Ein Nebensatz im Dekret des Innenministeriums, das diese beaufsichtigten Arbeitskolonnen koordiniert, gibt den Kommunen jetzt die Möglichkeit die Arbeitszeit für eine Reihe von Tätigkeitsbereichen (z.B. auch die Landwirtschaft) nach Gutdünken für bis zu 5 Monate auf 6 Stunden pro Tag abzusenken, was das maximal erreichbare Einkommen ("Grundsicherung" von 28.000 Forint + Hinzuverdienst) dann auf 37.000 Forint (brutto!) absenkt (ca. 128.- EUR).

Zusätzliche Probleme: nimmt ein Betroffener nicht zur vollsten Zufriedenheit seines Aufsichtspersonals an den Programmen teil, fliegt er ganz aus des Stütze und wird für bis zu 3 Jahre gesperrt. Verlässt er das Programm, weil er temporär anderswo einen besser bezahlten Job finden kann: gesperrt. Wird er krank, der Oberförster meint aber, er simuliert (trotz Krankenscheins): gesperrt, findet ein schlecht gelaunter Dorfaugust mit Amtsstempel, derjenige habe seine Arbeit nicht "qualitätvoll genug gemacht": gesperrt. Auch die wochentäglich mögliche Verschickung zu weit entfernten Arbeitsorten, einschließlich Übernachtung in provisorischen Unterkünften (Containern) gehört zum Profil der "Közmunka".

Die Teilnehmer an diesen Programmen werden in der Statistik als Vollbeschäftige und Steuerpflichtige (ja, von ihrem Hungerlohn sind 16% Einkommenssteuer, sowie eine Pauschale für die Sozialversicherung fällig) geführt, weshalb sie doch eine wichtige Rolle erfüllen, sie schönen die Statistiken. Ausbildungsprogramme oder Kooperationen mit der Privatwirtschaft im Hinblick auf spätere Übernahmen sind in dem Projekt nicht vorgesehen, das einzige was darin geschult wird, ist der Untertanengeist und der Sadismus von "Bevollmächtigten". Ökonomisch wird das Programm als sinnlos, maximal als zusätzliche Billigkonkurrenz für die Anbieter kommunaler Tätigkeiten (Gartenbau, Straßendienst, Straßenbau) gesehen.

Das Programm wird auf dem Lande hauptsächlich als Aufsichtsmechanismus gegen die Roma eingesetzt, was sowohl die Schikanen als auch die Gehaltseinbußen besonders dramatisch macht, weil sie oft das einzige Einkommen für die Familien darstellen. Der damals zuständige Ombudsmann für Minderheitenrechte Kallai dokumentierte bei der Umsetzung des Programmes zudem "amtlichen Rassismus". Das Fatale, die Programme bieten weder einen Ansatz der Armuts- noch eine Chance für die Kinder der Bildungsfalle zu entkommen.

 

Etliche Menschen, die ihren Job verlieren, verzichten mittlerweile auf die Arbeitslos-Meldung beim Arbeitsamt, weil sie die Einteilung in diese entwürdigenden und perspektivlosen Programme vermeiden wollen. Auch dieser Effekt ist gewollt, wenn er auch das Problem der Schwarzarbeit eher noch vertieft. - Das Ministerium gab als Grund für die neuerliche Schikane an, dass "Sparauflagen" aus dem Haushaltsgesetz zu diesem Schritt zwingen, man aber eine "gerechte Verteilung des Angebotes" auf "möglichst alle dafür in Frage kommenden Kandidaten" gewährleisten möchte, womit klar gesagt wurde: es geht um die Zahlen und die Aufsicht, nicht um die Menschen.

“Brigade zur schöneren Zukunft!” Mehr zur Közmunka und ihren Auswüchsen
http://www.pesterlloyd.net/html/1225kozmunka.html

Erste Bilanz der "Kommunalen Beschäftigungsprogramme" in Ungarn: ein Offenbarungseid
http://www.pesterlloyd.net/html/1247koeezmunkabilanz.html

Der Kallai-Bericht belegt amtlichen Rassismus im Zuge der “Közmunka”
http://www.pesterlloyd.net/2012_05/05kallaibericht/05kallaibericht.html

red.

 

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