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(c) Pester Lloyd / 07 - 2013   POLITIK 15.02.2013

 

Kulturstalinismus

"Kulturminister" in Ungarn wegen unbotmäßiger Kritik vor Ablösung

Der für die Kultur zuständige Staatssekretär im Ministerium für "Humanressourcen", László L. Simon, der erst vor acht Monaten von seiner Partei Fidesz ins Amt gehoben wurde, um den gänzlich überforderten Géza Szöcs abzulösen, steht unmittelbar vor seiner Entlassung, am Freitag soll er bereits seinen Schreibtisch räumen. Mit seiner Kritik an dem nationalistisch bis antisemitischen Akademie-Präsidenten Fekete beseitigte sich Simon selbst.

Offizielle Stellungnahmen liegen noch nicht vor, doch mehr als "in gegenseitigem Einvernehmen" ist von diesen ohnehin nicht zu erwarten. Manche sprechen auch davon, dass Simon bereits abgesäbelt ist, er aber erst im Frühjhar bei passender Gelegenheit “entsorgt” werden solle. Beobachter sind sich über die Gründe jedoch einig, dass sich Simon mit seiner Kritik am nationalistischen Präsidenten der "Kunstakademie" MMA, György Fekete, die neuerdings die Trägerschaft über maßgebliche Kultureinrichtungen des Landes erhielt, gescheitert ist. Die regierungsnahe Presse will dessen Opposition zu Fekete als Beweis für dessen "liberale Einstellung" gewertet wissen, die andere Seite sieht vor allem Kompetenz- und Bedeutungsverlust  als Grund für die internen Streitereien an. Auch der Kulturchef des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Rockenbauer, musste seinen Hut nehmen, nachdem er seine Unterschrift auf einen Protestbrief von 50 Künstlern gegen das Gebahren von Fekete gesetzt hatte.

Fekete steht für eine zentralistische, offen nationalistische und "linientreue" Staatskunst und erfuhr auch aus konservativen Kreisen einige Kritik. Der 80jährige Innenarchitekt, der von Minister Balog mit umfangreichen Mitteln und Aufsichtsbefugnissen ausgestattet wurde, was die MMA in Bälde quasi zum Kulturministerium aufwerten wird, leistete sich bereits auch offen antisemitische Ausfälle, als er öffentlich anmerkte, dass der Schriftsteller (und Nobelpreisträger) Kertész nur im Westen für einen Ungarn gehalten wird. Rund ein Dutzend Mitglieder verließen, auch aufgrund des autoritären Führungsstils dieses Kultur-Taliban, die "Akademie", einige andere sprangen beflissen noch auf den neuen Zug auf.
Mehr zur MMA und den Skandalen.

Kommentatoren sehen anhand der Ereignisse einen zweiten Kulturkampf im Lande toben. Neben der seit zweieinhalb Jahren geführten regierungsamtlichen Schlacht gegen die "linksliberale Kulturhegemonie" gibt es nun auch einen internen Kampf in den Regierungsparteien Fidesz-KDNP, zwischen einer konservativ-moderaten Linie, die den Künsten in einem gesetzten "nationalen" Rahmen eine gewisse Freiheit zugestehen, vor allem aber aus Imagegründen gerne eine Weltläufigkeit zulassen möchte und einer - sozusagen - stalinistischen Betonlinie, in der auch die Inhalte von Kunst und deren Präsentation ideologischen Zielstellungen zu folgen hat. Fekete ist der Ansicht, dass ein Künstler oder Kulturarbeiter unter seiner Leitung "national gesinnt" sein müsse und "national" könne man nicht mit "halbem Herzen" sein, wiederum eine Anspielung auf die "Fremdherzigkeit", einem Code für Jude. Eine eher humorige, denn kritische Ausstellung der Kunsthalle
zum Thema: “Was ist Ungarisch?” nannte er “nationalblasphemisch”, woraufhin die Kunsthalle unter seine Kuratel gestellt wurde, der - ebenfalls durch Fidesz installierte - Chef der Kunsthallte, trat zurück. In einem Interview merkte Fekete u.a. an, dass er auf die Demokratie pfeife. (eine Übersetzung hier bei Pusztaranger)

 

Während die regierungsnahe Presse den Anlass nutzt, um der "hysterischen" Linken vorzuwerfen, sie hätte den "liberalen" Kulturpolitiker Simon ganz zu Unrecht geschmäht (bei seinem Amtsantritt wurde übrigens bekannt, dass der "Kulturmensch" Simon in seinem Weinberg Häftlinge für einen Bruchteil unter dem Mindestlohn schuften ließ), weisen unabhängige Medien daraufhin, dass die geforderte Linientreue sowie die strukturelle Vereinnahmung des Kulturbetriebes mittlerweile schon stalinistische Dimensionen angenommen habe und man nicht einmal mehr davor zurückschrecke, die eigenen Reihen zu "säubern", um für Kadavergehorsam in der Truppe zu sorgen. Diese Anweisung und auch die Gangverschärfung können dabei nur einen Absender haben, da auch nur einer die Direktiven bei Fidesz vorgibt und das ist der Premier.

Ausführliche Aspekte und Links zum Kulturkampf in Ungarn, finden Sie in diesem Beitrag zum “Schwanengsang” von Simons Vorgänger Szöcs

red.

 

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