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(c) Pester Lloyd / 07 - 2013   KULTUR 11.02.2013

 

Schwierig, aber nicht hoffnungslos

20 Produktionen in einer Woche beim Theater-Schaufenster Ungarn

Der Theaterkritiker Tamás Jászay ist Kurator beim "Hungarian Showcase", einem Mini-Festival, das dem interessierten Publikum vom 2. bis 9. März 2013 die Theaterlandschaft des Landes anhand eines spannenden Querschnittes von rund 20 aktuellen Produktionen näher bringen will. Jászay erklärt uns, wie so ein Event in Zeiten finanzieller Knappheit möglich, dass das Nationaltheater ständig ausverkauft, das "Neue Theater" hingegen meistens leer ist und warum sich Politiker besser eine andere Bühne suchen sollten...

Mehr zu dem spannenden und vielfältigen Programm, zu den Ticket-Paketen, Hintergrundinfos zu den Stücken finden Sie hier.

Die Produktion des Katona József-Theaters Anamnesis wird auch im Rahmen des “Showcase” gezeigt. Das Stück wirft einen kritischen Blick hinter die Kulissen des heimischen Gesundheitssystems. Mehr zum Programm.

Guten Tag Herr Jászay. Welches Ziel verfolgen Sie mit dem "Hungarian Showcase", warum gestalten Sie ein "Ungarischese Theaterschaufenster"?

Die Organisatoren des "Hungarian Showcase" sind Theaterkritiker, die bereits ähnliche Veranstaltungen dieser Art im Ausland miterlebt haben. Wir fanden es eine gute Idee, ein solches Event nun zum ersten Mal in Ungarn zu organisieren. Während der ersten Märzwoche werden so insgesamt zwanzig Vorstellungen vor internationalem Publikum präsentiert (jedes Stück ist mit englischen Obertiteln begleitet, Anm.), was einen umfassenden Einblick in die ungarische Theaterkultur der Gegenwart ermöglicht. Wir wollen Werbung für ungarische Stücke machen. Solch ein Programm auf die Beine zu stellen, scheiterte bisher immer an den Finanzen

Wie haben Sie es nun geschafft, das "Theaterschaufenster" zu finanzieren?

Es gibt zwei Hauptsponsoren: zum einen unsere Hauptstadt Budapest sowie eine amerikanische Stiftung (Center for International Theatre Development, Anm.). Insgesamt belaufen sich die Fördermittel jedoch auf nur 4,5 Millionen Forint (ca. 15.000 EUR). Zum Glück werden wir durch viele freiwillige Helfer unterstützt, denn ansonsten wären wir auf einen Betrag von mindestens 40 Millionen Forint gekommen.

Neben den Theateraufführungen gibt es auch das sogenannte "Showcase Plus"-Programm...

Ja, ganz genau. Das "Showcase Plus"-Programm wendet sich vor allem an die Szene selbst. Unseren Kollegen, den Interessierten von Nah und Fern soll in persönlicherem Rahmen, bei Workshops und Gesprächsrunden, die ungarische Kulturszene nähergebracht werden. Themen werden hierbei sein: die Situation der nicht staatlich geförderten Theater, die finanzielle Situation der Theaterszene, aber auch inhaltliche Aspekte, wie die grundsätzliche Theaterphilosophie. Vernetzung ist hier das Schlüsselwort.

Wie schätzen Sie denn die momentante Situation der ungarischen Theaterszene ein?

(Herr Jászay grinst...) Das ist eine schwierige Frage. Wenn man bestimmte Vorführungen besuchen möchte, sind die meisten Theaterkarten bereits nach wenigen Stunden ausverkauft. Selbst für uns Theaterkritiker ist es da oft unmöglich, noch eine Karte zu ergattern. Es scheint absurd, dass die Karten für populäre Theater wie das "Nemzeti Színház"(Nationaltheater) schon nach zwei Stunden ausverkauft sind (dort wo der "zu liberale" Theaterdirektor durch Fidesz-Anordnung
nun durch einen "Nationalkonservativen" ersetzt wird, Anm.), während auf anderen Bühnen, wie dem "Új Színház" (dort, wo der "zu liberale" Direktor durch Fidesz-Anordnung durch einen Neonazi ersetzt wurde, Anm.) die Ränge leer bleiben. Es werden ganze Vorstellungen abgeblasen. Diese Situation ist definitiv nicht normal.

Man sagt ja, dass Zeiten des Druckes Kreativität freisetzen?

Die meisten Theater befinden sich dabei momentan in einer Findungsphase und sind darum bemüht, möglichst viele Besucher anzulocken und ihnen Stücke zu präsentieren, die nicht nur unterhaltsam sind, sondern auch gesellschaftskritische Ansätze vermitteln. Es muss dabei sowohl ein Bespaßungsprogramm wie auch tiefergehende Reflexionen angeboten werden.

Welche Rolle spielt die ungarische Regierung hierbei?

Eines der großen Probleme der heutigen ungarischen Theaterszene ist die zu starke Einflussnahme der Politik. Meine persönliche Meinung ist, dass die Regierung in Bezug auf die Theaterkultur nur ein Aufgabenfeld hat:
Finanzierung und Förderung. Außerdem sollten die Politiker als Vorbild der Gesellschaft regelmäßig Theateraufführungen besuchen. Damit hört die Rolle der Politik im Kulturmilieu aber auch schon auf.

Welche Rolle übernimmt denn die Regierung noch?

 

Der Staat oder die Regierung sollte weder das Theaterprogramm noch den Intendanten bestimmen. Leider gibt es dazu hierzulande solche Beispiele. Des weiteren finde ich es vermessen, wenn sich Politiker als Theaterkritiker ausgeben. Das sollten sie uns überlassen. Diese ganze Entwicklung empfinde ich als ungesund. Ich schaue aber doch zuversichtlich in die Zukunft. Früher oder später werden die Politiker begreifen, dass sie keinen Platz auf dieser Bühne haben.

Werden Sie diese Probleme auch im Rahmen des "Hungarian Showcase" thematisieren?

Nein, wir sind unabhängige Kritiker. Beim Festival liegt das Augenmerk in erster Linie auf den schauspielerischen Qualitäten und den Theatern. Zudem haben wir im Hinterkopf zu behalten,
dass die ausgewählten Stücke vor allem auch ein internationales Publikum begeistern sollen. Letztendlich trifft unser vielfältiges Programm hoffentlich den Geschmack der meisten und zeichnet gleichzeitig ein kreatives Bild der ungarischen Theaterszene.

Das Interview führten Saskia Bücker und Zsófia Schmidt
Der Pester Lloyd ist Medienpartner der Veranstaltung


 

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