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(c) Pester Lloyd / 07 - 2013   NACHRICHTEN 11.02.2013

 

Wer sitzt am Schalter?

Energiepreispolitik in Ungarn zwischen Wahlkampf und Ökonomie

Die großzügigen Ankündigungen weiterer Preissenkungen im Energie- und Kommunalsektor, die  Fidesz-Fraktionschef Rogán gerade in den Raum gestellt hat, werfen nicht nur finanzielle, sondern auch politische und strategische Fragezeichen auf. Dass der Staat sich die Macht über die Energieversorgung zurückholen will, erscheint legitim, warum sollte ein Land seine Bürger profitgierigen Großkonzernen ausliefern, zumal auf einem so lebensnotwendigen Gebiet? Die Antwort darauf ist aber kniffliger als viele, auch diese Regierung, denken.

Nachdem seit Anfang des Jahres per Dekret die Preise für Strom, Gas und Fernheizung für private Abnehmer um 10% gesenkt wurden, sollen ab Juli auch die Abgaben auf Kommunaldienste wie Abwasser- und Wasser sowie Müll um 10% gesenkt werden. Für den Juli 2014 stellte Rogán sogar eine weitere 20%ige gesetzliche Senkung der Strom-, Gas- und Wassertarife in Aussicht (also - wie auch die 13. Monatsrente - abhängig vom Wahlausgang). Auch der Preis für Kohle und Gas in Flaschen soll "interverniert" werden. Vielleicht könne man an den Energiepreisen auch schon "vor der nächsten Heizperiode" noch etwas drehen, hieß es kryptisch.


Eine Rückverstaatlichung der Bereiche Energieversorgung und Kommunale Dienstleistungen ist durchaus legitim, sprich im Interesse der Menschen - wenn sie richtig gemacht wird...

Die Steuer- bzw. Gewinnausfälle (da auch staatliche Unternehmen involviert sind) führen zu einem erweiterten Korrekturbedarf beim laufenden Budget, d.h. die Einnahmeausfälle müssen durch höhere Steuern oder weitere Ausgabenkürzungen an anderer Stelle kompensiert werden, sind aber bei weitem nicht die einzigen Punkte, die Nachjustierungen bedürfen. Während die Regierung von einer "Sozialmaßnahme" spricht, die man sich angesichts der "Erfolge in der Wirtschaftspolitik" vor allem aber wegen der "Verantwortung für die ungarischen Bürger" leistet, sehen Fachleute dahinter einen politisch gut vermarktbaren Schritt, auf diese Weise die privaten Anbieter aus dem Energiemarkt zu drücken und gleichzeitig das Volk zu beglücken.

Für den Haushalt und auch die Energiewirtschaft selbst stellen sich daraus aber ein paar ganz objektive Fragen, abseits der "nationalstrategischen" Überlegung, ob eine Rückverstaatlichung der Bereiche Energieversorgung und Kommunale Dienstleistungen nicht durchaus legitim, sprich im Interesse der Menschen, sein könnte.

Zunächst ist zu fragen, wie kompensiert man die Steuerausfälle, wer bezahlt bzw. finanziert notwendige Investitionen in Leitungssysteme, Netze, Lagerstätten und Infrastruktur, wenn Gewinne nicht mehr realisierbar sein sollen, wei sie in diesem Sektor als "unmoralisch" abgelehnt werden? Wer kontrolliert dahingehend die Staatswirtschaft, ob die Versorgungssicherheit gewährleistet wird und verhindert Amtsmissbrauch derjenigen, die dann "am Schalter" sitzen. Mittelabflüsse durch Korruption und Hinterziehung sind ja bei staatlichen bzw. staatlich kontrollierten Unternehmen kein Ding der Unmöglichkeit, wie das bei der Staatsbahn MÁV, vor allem aber bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben BKV über Jahre vorgeführt wurde, um nur das prominenteste Beispiel zu benennen.

Preisdiktate als Belohnungs- oder Bestrafungssystem für das Wahlvolk?

Die andere Frage ist die, wie sozial der Ansatz der Regierung hier wirklich ist. Warum entzieht man den ärmeren Bevölkerungsschichten (in Ungarn die Mehrheit) durch eine asoziale Steuerpolitik (Flat tax, höchste Mehrwertsteuersätze der EU für Grundnahrungsmittel, Besteuerung von Mindestlöhnen und unter dem Mindestlohn liegender "1-Forint-Jobs", Kürzung der Medikamentenzuzahlung etc.) zuerst reales Einkommen, um es dann stückweise und abhängig von bestimmten Wahlergebnissen wieder zu gewähren? Als Almosen und Wahlprämie sozusagen.

Die Antwort: weil Preisdiktate schneller und umstandloser umsetzbar sind als eine ständige Veränderung des Steuersystems. Sprich, die Belohnung oder Bestrafung kann durch einen einfachen Knopfdruck über die Energierechnung geschehen, genauso hat es (sinngemäß) auch Fraktionschef Rogán erklärt und genauso ist es auch der Plan. Was die Regierung dabei jedoch nicht bedacht hat: das Volk könnte, im Wissen um diese Mechanismen, mehr fordern als ökonomisch noch vertretbar ist und die wahlwerbende Regierungspartei in eine ruinöse Spirale zwingen.


Was aber nutzt nun eine Staatskontrolle über die Energiewirtschaft, wenn, wie in Ungarn, niemand mehr da ist, der den Staat kontrolliert?
 

Zweifel an der technischen und wirtschaftlichen Kompetenz sind angebracht

Auch bei der praktischen Umsetzung wird die Sache schwierig: eine Arbeitsgruppe auf interministerielle Ebene soll die Preiskürzungen umsetzen, weitere prüfen und dabei auch "regionale Unterschiede" ausmerzen. Es könne nicht sein, meint Rogán, das hier 180 Forint pro Quadratmeter Nebenkosten enstehen, woanders über 1000. Diese Regulierung wird spannend. Es gibt vielleicht Gründe dafür, warum die Nebenkosten im II. Budapester Bezirk höher sind als in einem Dorf an der ukrainischen Grenze?

Rogán meint, der Staat sei "in der Lage und bereit die Kommunalen Dienste anzubieten" und man dürfe sehr stolz darauf sein, dass "Ungarn das erste europäische Land ist, in dem die Regierung die Energiepreise" senkt. Er rechnet das an einem Beispiel vor: "eine typische Familie mit zwei Kindern" bezahlt monatlich im Schnitt 74.000 Forint an Energiekosten, die 10% weniger pro Jahr bedeuten also eine Ersparnis von 80.000 Forint, mithin fast ein ganzer zusätzlicher Monatsmindestlohn. Dabei, so Rogán "will niemand die Unternehmen ruinieren, aber die Regierung sorgt dafür, dass nur die wirklichen Kosten zu bezahlen sind".

Übernahme von Energieunternehmen bedeutet auch Verantwortung und Risiko

Sollte es bis Mitte 2014 wirklich eine ingesamt 40%ige Verringerung der Wohnnebenkosten geben, die nicht durch Steuer- oder Abgabenmaßnahmen, versteckte Kostensteigerungen an anderer Stelle oder einen späteren dramatischen Abfall in der Versorgungssicherheit gefährdet wird? Woher kommt das Geld dafür? Mit dem Einstieg bei MOL (für rund 2 Mrd. EUR), dem Rückkauf der E.ON-Gastöchter (für rund 800 Mio. EUR), dem Ausbau des AKW Paks (mindestens 4 Mrd. EUR für die direkten Investitionen + unbekannte Folgekosten wie z.B. für ein neues Zwischenlager etc.) sowie der Wiederrichtung von staatlichen bzw. kommunalen Monopolen bei der Abfall- und Wasserwirtschaft (noch nicht flächendeckend) hat die Regierung Orbán ein klares machtpolitisches Statement abgeliefert, aber auch eine gigantische Verantwortung übernommen.

E.ON konnte man notfalls verklagen - einen Fidesz-Bürgermeister auch?

Denn es ist nicht nur das technische und logistische Know how bei der Gasversorgung oder der Abfallentsorgung, das staatliche bzw. kommunale Unternehmen nach der Verdrängung der privaten Mitbewerber mit schultern muss, es ist auch die Einkaufspower, die z.B. E.ON in Russland Dank seiner gigantischen jährlichen Abnahmemengen für ganz Europa entsprechende Rabatte einräumt. Wieviel Rabatt bekommt Herr Orbán? Der Staat übernimmt mit den Gasleitungen von E.ON oder den Aufgaben der "Saubermacher" aber auch die Gewährleistungspflicht für die Grundversorgung und die Pflicht zur Einhaltung ökologischer Grundnormen. Einen versagenden Stromlieferanten, der nach dem dritten Frostausfall die Leitungen immer noch nicht repariert hat, kann ein Bürger und der Staat notfalls auf Schadensersatz verklagen, wie das auch schon geschehen ist. Versuchen Sie das einmal mit der Regierung von Ungarn oder einem Fidesz-Bürgermeister, der - zufällig - über seine Tante Teilhaber am kommunalen Abfallbetrieb geworden ist und dort schaltet und waltet wie er das für richtig hält.

 

Der Energiepreis in Ungarn wird zu einem gefährlichen Zwitterwesen zwischen politischer Preisgestaltung und marktwirtschaftlichen Erfordernissen und Zwängen gemacht. Das daraus resultierende erhebliche Risiko für Haushalt und Bürger wird anderswo durch entsprechende Regulierung bei den Energieprovidern belassen, wofür denen natürlich auch ein Gewinn zugestanden werden muss, bei dem der Staat durch Steuern und Sondersteuern auch mitschneidet. Meistens geschieht dieser Deal - hier sei Deutschland als Paradebeispiel benannt - in einem groben Missverhältnis zu Gunsten der Energiekonzerne, was aber in erster Linie an den Politikern liegt. Das ist schlimm genug und die Frage stellt sich immer wieder, wer sitzt wirklich am Schalter?! Was aber nutzt nun eine Staatskontrolle über die Energiewirtschaft, wenn, wie in Ungarn, niemand mehr da ist, der den Staat kontrolliert?

red.

 

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