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(c) Pester Lloyd / 08 - 2013   POLITIK 18.02.2013

 

Splitter im eigenen Fleisch

Neue Liberale Partei in Ungarn fragmentiert Opposition weiter

Und noch eine Partei: der schon als SZDSZ-Chef glücklose Gábor Fodor will auf die politische Bühne zurück und gründete mit der MLP, Magyar Liberális Párt (Ungarische Liberale Partei), eine weitere Splittergruppe im Mitte-Links-Spektrum. Fodor glaubt, dass es "Hundertausende Wahlberechtigte gibt, die sich als liberal" empfinden, aber keine der existierenden Parteien als ihre Heimat erkennen können. Warum gerade er diese Heimat sein soll, bleibt unkenntlich.

“Freiheit”. Das ist bisher das einzige, was man über Ziele und Wege der neuen Partei weiß, ein Schlagwort, das im Politspektrum einer gewissen Inflation unterliegt...

Gábor Fodor, 51, Jurist und Politiologe, betonte, dass seine neue Partei MLP mit der linken Opposition (also MSZP bzw. "Gemeinsam 2014" und LMP) zwar einige Ansichten teile, in "noch mehr aber auseinanderliegt". Seine Partei wolle "freiheitliche Werte kompromisslos" vertreten und er sieht dafür "Hundertausende" potentielle Wähler. Fodor kündigte in Kürze ein Programm, "ausgearbeitet von exzellenten Fachleuten" sowie die Präsentation einer Führungsmannschaft an. Zu Aussagen über denkbare Bündnisse ließ er sich noch nichts entlocken.

Alleinstellungsmerkmal nicht erkennbar

Das liberale Spektrum wurde nach dem endgültigen Niedergang des SZDSZ 2010 zunächst von der LMP aufgefangen, die sich mittlerweile aber selbst - an der Frage eines Wahlbündnisses - gespalten hat. Was gerade zu ihr den Unterschied ausmachen soll, wo sich doch auch die LMP um größtmögliche Distanz zu den Parteien des "Establishments" rechts wie links bemüht, ist nicht erkennbar. Die Wahlallianz "Gemeinsam 2014" versucht hingegen auch den Mitte-Links-Wählern, für die weder die MSZP/DK, noch die nationale Rechte (Fidesz/KDNP/Jobbik) in Betracht kommt, ein Angebot zu machen, allerdings war deren Kopf, Ex-Premier Bajnai, Ministerpräsident einer MSZP-Minderheitsregierung. Dennoch gilt diese Bewegung als die aussichtsreichste Oppositionskraft außerhalb der MSZP.

Liberaler “Enthusiasmus” gestützt auf die Linke 2009, die SZDSZ-Politiker: Gábor Demszky (OB von Budapest), János Koka (Wirtschaftsminister) und Gábor Fodor.

Mehr Machtwillen als Führungstalent

Fodor ist kein unbeschriebenes Blatt, er lieferte sich im SZDSZ, das neben dem MDF einst die maßgebliche Wendepartei der Dissidenten war, nach den Wogen der Lügenrede Gyurcsánys einen zermürbenden Kampf mit dem Gyurcsány-treuen Ex-Chef und Fraktionsvorsitzenden János Kóka um eine neue Richtung und bewies dabei vor allem Machtwillen, weniger programmatischen Einfallsreichtum oder Führungstalent. Eine Kampfabstimmung gewann Fodor, der sich deutlicher von der MSZP absetzen wollte, beim Krisenparteitag im Juni 2008 mit 346 zu 344 Stimmen. Danach verweigerte die SZDSZ-Fraktion im Parlament - unter Führung von Kóka - dem Parteivorsitzenden den Gehorsam und stützte die MSZP weiter bis zu den Wahlen 2010. Fodor war letztlich machtlos.

Schon 2009, nach dem Desaster bei der Europawahl, trat Fodor, nach nur einem Jahr, vom Parteivorsitz wieder zurück und wurde von Attila Retkes abgelöst, der versuchte, mit einem "national-liberalen" Kurs das Ruder der Partei zu den Ufern der "neuen" Zeit herumzureißen, was das SZDSZ aber endgültig in die Richtungslosigkeit und ins politische Aus katapultierte. Zu den Parlamentswahlen traten SZDSZ-Kandidaten nur noch "unter ferner liefen" auf der Liste des konservativen "Partners" MDF an, beide scheiterten vollständig und versanken im Nichts.

Taktisch ist die MLP ein einziger Unsinn

Was den 1962 geborenen Fodor, der 1994-95 Bildungs- und 2007/08 (also unter Gyurcsány) Umweltminister war und der bis heute Vorsitzender der "Liberalen Stiftung" ist, bewogen hat, sich mit einer eigenen Partei wieder ins politische Rampenlicht zu setzen, bleibt ein ziemliches Rätsel, das im Moment nur mit persönlichem Ehrgeiz erklären ließe. Denn taktisch ist die MLP ein einziger Unsinn, läuft doch für die Wahlen 2014 auf eine Lager- bzw. Richtungswahl hinaus, bei der die Opposition nur dann überhaupt eine Chance hat, Orbán vom Thron zu stoßen, wenn sich sämtliche Kräfte auf je einen Kandidaten pro Wahlbezirk einigen können und auch die Zweitstimmen (Parteilisten) sich möglichst nur auf zwei, höchtens drei bindungsfähige Parteien aufteilen.

Schon jetzt ein unsortierbares Puzzle

 

Durch die Spaltung der MSZP (DK von Ex-Premier Gyurcsány), der LMP ("Dialog für Ungarn" von Ex-Fraktionschef Jávor), die Gründung von allerlei eigensinnigen Splittergruppen (z.B. die "patriotische Linkspartei" 4K! oder eine weitere "liberale Partei", Szema) sowie das ohnehin komplizierte Zueinanderfinden der drei großen Beteiligten am Projekt "Gemeinsam 2014" (Milla, Szolidaritás, "Heimat und Fortschritt"), ist die demokratische Opposition in Ungarn ohnehin schon in ein schier unsortierbares Puzzlespiel fragmentiert. Selbst das denkbare Kalkül, dass Fodor im "Auftrag" der "Gemeinsam 2014" nicht-linke, liberale Wähler binden soll, um dann mit einer entsprechenden Allianz im letzten Moment die Wählerbasis zu verbreitern, zieht nicht, denn diese Funktion erfüllen schon die LMP-Abspaltung "Dialog für Ungarn" sowie Milla. Außerdem gilt Fodor nicht unbedingt als einer, der die enttäuschten Massen aus den Sesseln reißen könnte. Eine weitere "liberale" Partei, die, wenn auch wenige, doch womöglich entscheidende Stimmen auf sich zieht, hilft nur einem: Orbán.

Mehr zur aktuellen Gemengelage bei der demokratischen Opposition
http://www.pesterlloyd.net/html/1307gemeinsam2014partei.html

Aktuelle Wahlumfragen
http://www.pesterlloyd.net/html/1304ipsoswahlumfrage.html

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red. / m.s.

 

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