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(c) Pester Lloyd / 08 - 2013   GESELLSCHAFT 21.02.2013

 

Pfeilkreuze im Kopf

Totes Recht und lebendige Rechte: Paragraph 269 und Ungarn - Kommentar

Die Frage ist nicht, ob Pfeilkreuze etc. in den öffentlichen Raum dürfen, denn da sind sie längst etabliert, die Frage ist, wie man sie aus den Köpfen bekommt. Totes Recht garantiert genausowenig das Recht der Toten auf ein würdiges Andenken wie amtliche Gedenktage und es garantiert schon gar nicht die Rechte der Lebenden auf eine friedliche, nicht-dikatorische Zukunft. Das haben die Menschen nur selber in der Hand, kein Gericht dieser Welt.

Am Dienstag hat das ungarische Verfassungsgericht den Paragraph 269b des Strafgesetzbuches für verfassungswidrig erklärt, per 1. Mai erlischt das Gesetz damit. Dies bedeutet, dass die Präsentation von Zeichen totalitärer Systeme, wie Hakenkreuze, Pfeilkreuze, SS-Runen, Roter Sowjetstern, Hammer und Sichel etc. straffrei wird.

Ungarische Gerichte hatten zuvor in einem konkreten Fall das Tragen des Roten Sternes mit Strafe belegt, der Betroffene klagte dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und bekam Recht. Das Verfassungsgericht begründete sein jetziges Urteil damit, dass das Verbot mit dem Recht auf Meinungsfreiheit unvereinbar sei, selbst wenn die Exhibition der o.g. Symbole an die Menschenwürde - auch ein Verfassungsgut - rühre.

Die “Garde” marschiert, “das Volk” steht Spalier.

Dass man ein Grundrecht über das andere stellt, lässt sicherlich Raum für Diskussion. Auch stellt sich die Frage, warum Paragraph 269b aufgehoben wird, 269c, die Leugnung des Holocausts und der Verbrechen anderer Diktaturen, aber nicht, wenn denn die Meinungsfreiheit so hoch bewertet wird. Mit mangelndem Geschichtsbewußtsein "im Osten", fehlendem Respekt vor den Toten der Diktaturen oder einer unkontrollierten Meinungsfreiheit als (Irr)Lehre aus den Knebeln der letzten Dikatur, ist das alles nur unzureichend erklärt.

Man sollte in diesem Zusammenhang zunächst erwähnen, dass Pfeilkreuze, also das ung. Hakenkreuz, Hitlers "Mein Kampf" auf Flohmärkten, der Hitlergruß und etliche verbale Hakenkreuze in Form von antisemitischen und rassistischen Ausfällen übelster Sorte - übrigens nicht nur bei bekenennden Rechtsextremisten (siehe die Fälle Kövér und Bayer bei der Regierungspartei) - in Ungarn alltäglich sind und das fast immer sanktionslos. Daher war Paragraph 269 ohnehin totes Recht und höchstens noch ein Feigenblatt für das schlechte Gewissen der Regierenden. Nur, wenn man damit ein paar renitente Altstalinisten vorführen konnte, wurde es zuletzt noch angewandt, im emsigem Bemühen rote und braune Epochen auf eine Ebene zu heben.

Die Fragen, die sich daraus ergeben, stellen sich in Ost und West aber gleichermaßen, sind kein Hungaricum, auch wenn die Situation in Ungarn zugespitzer ist als anderswo: weder mit Symbol-, noch Partei- oder Redeverboten verhindert man nämlich extremistische Entwicklungen, das gilt auch für den Westen, siehe das Wiederbetätigungsgesetz in Österreich oder den Krampf um ein NPD-Verbot. Im Gegenteil, solcherart Gesetzgebung ist gefährlich, schließt sie nämlich die Option ein, irgendwann alles mögliche verbieten zu können. Gestern war es nur die Holocaustleugnung, heute hat man schon die Gulags hinzugefügt. Dem kann man noch folgen, doch wenn dann die "Polizeigewalt 2006" ebenfalls im Gesetz aufscheint und am Ende auch das Leugnungsverbot der Göttlichkeit des Ungarntums, wo ist die Grenze staatlichen Definitionsrechts? Und ab wann aber ist ein verbietender Staat eigentlich selbst ein "Extremist", eine Diktatur oder ein sonstiges autoritäres Gebilde? Erst wenn er die gefühlte political correctness verlässt. Wer bestimmt das? Und wer verbietet es dann?

Man sollte auch nicht vergessen, dass Aufruf zu Gewalttaten, Beleidigung, Drohung, Verlumdung und die Störung der Totenruhe etc. durch andere Gesetze des Strafrechtes sanktioniert sind. Es braucht also zur juristischen Eindämmung kein politisches Strafrecht.

Die Mechanismen zur Entstehung von Extremismus sind allseits bekannt, historisch belegt und wirken auch heute: Armut, Perspektivlosigkeit, ein dumm gehaltenes Volk. Daraus folgen die Kreierung von Ersatzschuldigen und plumpen Rezepten immer auf Kosten Schwächerer, der Abbau von Rechten ist dann schon der Beginn des zwangsläufigen Unterganges solcher Systeme ins grausame Chaos.

Solange - auch regierende - Parteien aus Wahlkalkül und krankhaftem Ehrgeiz im Völkisch-Trüben fischen und Stellvertreterkriege anzetteln, sind die "verbotenen" Symbole nur Zeichen der Zeit und öffentlich sichtbare Warnungen. Diese Politik ist der Dünger, das Symbol selbst nur die Blüte. Ob man sie juristisch verbietet oder nicht, ist dabei völlig belanglos, sie müssen vor allem wahrgenommen werden, um Konsequenzen außerhalb von Anlass- und Feigenblattgesetzen daraus ziehen zu können und - um das botanische Gleichnis zu Ende zu führen - keine reife, giftige Frucht entstehen zu lassen.

Die Frage ist nicht, ob Pfeilkreuze in den öffentlichen Raum dürfen, denn da sind sie längst etabliert, die Frage ist, wie man sie aus den Köpfen bekommt. Totes Recht garantiert genausowenig das Recht der Toten auf ein würdiges Andenken wie amtliche Gedenktage und es garantiert schon gar nicht die Rechte der Lebenden auf eine friedliche, nicht-dikatorische Zukunft. Das haben die Menschen nur selber in der Hand, kein Gericht dieser Welt.

m.s.

 

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