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(c) Pester Lloyd / 08 - 2013   WIRTSCHAFT 19.02.2013

 

Ein Flaschengeist für Vasen

Ist die Porzellan- und Keramikmanufaktur Zsolnay in Ungarn nun gerettet?

Seit Jahren dümpelt Zsolnay, die traditionsreiche Porzellan- und Keramikmanufaktur von Weltruf, im südungarischen Pécs vor sich hin, am Tropf der Stadt und am Rande des Bankrotts. Nun wurde ein "Retter" gefunden, der alle praktischen und esoterischen Kriterien erfüllt: er hat Geld, Ahnung und Mut und ist gleichzeitig Ungar, Schweizer und Syrer. So kann man die Marke in Ungarn halten und etwas für die "Ostöffnung" tun. Die Präsentation geriet zur Staatsoperette, aber die Hoffnung lebt nun wieder.

Kulturbeschränkte Buchhalter

Die Stadt Pécs, die den 1853 gegründeten Betrieb 2006 von der Privatisierungsagentur regelrecht aufgedrängt bekam, weil von den kulturbeschränkten Buchhaltern in Budapest keiner recht wußte, was man mit der einst stilprägenden Sezessions-Werkstatt anfangen sollte, trennte sich 2009 von ihrem Mehrheitsanteil. Nach vielen gescheiterten Gesprächen kaufte sich ein illustrer Immobilienunternehmer in den Betrieb ein und die Nationalkonservativen unter Bürgermeister Zsolt Páva übernahmen 2010 die Kontrolle über die Sperrminorität des irdenen Kulturgutes, doch auch die Nationenschützer wussten nicht so recht, was man damit anfangen sollte und überwarfen sich schließlich mit dem Partner.

Stilprägendes Zsolnay-Design aus der Goldenen Zeit der Manufaktur (um 1902)

Pécs fand nie ein Konzept und vergraulte die Investoren
 
Geld und ein Konzept mussten her. Dabei machte man es potentiellen Investoren nie leicht, denn die Bedingungen, unter denen das "nationale Kulturerbe" an einen "strategischen Investor" übergeben werden sollte, waren alles andere als lockend. Der Minderheitseigner Pécs will nämlich die Patente an den Verfahren und die Urheberrechte an den Modellen behalten und auch bei der Gestaltung der Produktpalette mitreden. Um die Pleite abzuwenden, mussten immer wieder Millionen nachgeschossen werden, das sollte nun der private Investor übernehmen. Auch das Jahr der Kulturhauptstadt 2010, in der das frisch auf Staats- bzw. EU-Kosten renovierte "Zsolnay-Quartier" sowie das Zsolnay-Museum eine der Hauptattraktionen war, verhalf dem etwas abgeliebten Charme der Manufaktur nicht zu neuer Innovation und dem internationalen Comeback, das sich die Stadtväter vorgestellt hatten.

Der Mehrheitseigentümer Gellért aber hatte irgendwann auch keine Lust mehr, selbst Geld einzuschießen, auch sein Geschäftskonzept, auf Massenware umzusteigen, so wollte er u.a. IKEA beliefern, eigentlich ein Sakrileg für eine Firma von diesem Rufe, ging einfach nicht auf. Er legte dann ein ultimatives, grundlegendes Sanierungskonzept über 11 Mio. EUR vor, wovon die Hälfte aus EU- und Staatsquellen fließen sollte, doch die Politik ließ den Geschäftsmann einfach im Regen stehen. Nur ein Notrückkauf durch die Stadt rettete Zsolnay dann vor dem Untergang, als der Geschäftsman ausstieg.

Einzigartige Tradition, einzigartiges Know how. Vor allem auch die Mitarbeiterinnen haben eine Zukunftsperspektive verdient und lange genug in Unsicherheit gelebt.

Jedes Jahr eine weitere Million Verlust

2009 setzte Zsolnay nur noch 740 Mio Forint (2,7 Mio. EUR) um und erwirtschaftete dabei Verluste von 150 Mio Forint. (ca. 540.000 EUR). Im Jahr darauf wurden es zwar knapp 1 Mrd. Forint, ca. 3,5 Mio EUR Umsatz, doch die Verluste reduzierten sich kaum. 2011 lag der Umsatz bei 840 Mio. HUF, die Verluste lagen bei 282 Mio, 2012 kommen nochmals 270 Mio. Forint Minus, also praktisch jedes Jahr 1 Mio. EUR hinzu, der Umsatz schrumpfte zum Schluss auf gerade noch 602 Mio. Forint, also 2 Mio. EUR. Seit 2006 wurden rund 150 Mitarbeiter entlassen, seit 2010 nochmals 50, heute verbleiben noch knapp 200 Angestellte am Tropf der Stadt. Wenn man bedenkt, dass Zsolnay-Vasen, vor allem die aus der goldenen Ära des Jugenstil, nicht nur begehrte Sammlerstücke in der ganzen Welt, wörtlich königliche Gaben waren und sogar das Dach des Wiener Stephandomes oder die Hallen der Musikakademie in Budapest mit Kacheln aus Pécs gedeckt wurden, die Tafeln der "oberen" Zehntausend auch mit den üppigen Zsolnay Geschirren gedeckt waren, ist der Niedergang besonders dramatisch.

Das Gebäude des Museums für Kunsthandwerk in Budapest. Gedeckt mit Kacheln aus Zsolnay, wie auch die Matthias-Kirche und der Stephansdom in Wien

Ein syrisch-schweizerisch-ungarischer Wunderheiler?

Nun scheint man, glaubt man der Verlautbarung der Budapester Zentralregierung, den Stein der Weisen oder eher Flaschengeist für Vasen für die Manufaktur gefunden zu haben. Es klingt zunächst etwas kompliziert: der in der Schweiz lebende syrische Geschäftsmann Bahcar Najari, der vor allem durch den Handel mit Luxusuhren zu Vermögen gekommen ist, übernimmt 74,5% der Anteile an der Zsolnay Porcelánmanufaktúra Zrt., der Rest verbleibt bei der Stadt. Die Regierung benennt uns Najari als schweizerisch-ungarischen Geschäftsmann mit syrischen Wurzeln, denn er hat in Budapest fast drei Jahrzehnte verbracht und hier auch ein Architekturstudium absolviert.

Diese genetischen, sozialen und entwicklungsbiographischen Umstände sind in Ungarn sehr wichtig, denn den Deal muss man auch dem Volk erstmal verkaufen, glaubt man zumindest im Ministerium für ländliche Entwicklung. Die Botschaft: Das ungarische Kulturerbe Zsolnay bleibt in "ungarischer Hand" und "Der Eigentümerwechsel passt zur Politik der Ostöffnung", so die Überschrift der Regierungsaussendung. D.h., je nach Zielstellung, wechselt der Investor vom Ungarn (Bewahrer des Kulturgutes), zum Syrer (Ostöffnung) oder zum Schweizer (Geld, Korrektheit, Geschäftskontakte). Wie praktisch.

Der Melonenkommissar macht die Vase

Wichtiger für den Bestand der Firma und der Marke ist natürlich, wie das geschäftliche Konzept aussieht? Zunächst erwirbt Najari den Mehrheitsanteil für einen bescheidenen Betrag von 180 Mio. Forint, also rund 670.000 EUR, zusätzlich verpflichtet er sich zu einem Kapitaleinschuss von 500 Mio. Forint (1,7 Mio. EUR) in das Unternehmen. Auch diesemal bleiben Sperrminorität und Patent- wie Modellbestand unter der Kontrolle der städtischen Miteigner. Auch in das erste Haus am Platze, Herend, hatte sich die Regierung wieder mit 25% eingekauft, um einen kompletten Ausverkauf zu verhindern.

Passendes Design zur “Ostöffnung”. Üppige Muster, viel Glanz und wuchtige Farben, ob nun orientalisch oder altrussisch inspiriert, bestimmten schon immer die Form- und Mustergebung der Zsolnay-Kunst

Den Ruhm für dieses Konstrukt und die "Rettung von Zsolnay" heftete sich der verhaltensauffällige Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium, Gyula Budai, ans Hemd, der unserem Lesepublikum bereits als Orbáns privater Kommunistenjäger und als Melonenbeauftragter bekannt geworden ist und alle paar Monate in anderer Funktion durchs Land geistert. Heute macht er uns die Vase. Er streute dann auch sich selbst und dem Investor Vorschusslorbeeren, dass "dieser Verkauf ein herausragendes Exempel dafür gibt", welche internationale Markt-Power in den "Hungaricums" liegt, wenn man sich nur richtig darum kümmert.

Operetteninszenierung mit “Prinzen aus dem Morgenland”

 

Der Verkauf musste dann auch in einer operettenreifen staatlichen Zeremonie besiegelt werden, wobei Budai fürs "Ostöffnungs"-Ambiente noch eine Handvoll Botschafter aus arabischen Länder heranfahren ließ und gegenüber den Prinzen aus dem Morgenland nicht unerwähnt lassen wollte, dass man auch schon "massenweise Szentkiráyli Mineralwasser" nach Saudi-Arabien schiffe, freilich ohne Kreuz auf dem Etikett, was Budai aber nicht erwähnte.

Realitätsnäher erläuterte der Pécser Bürgermeister, Páva, von den unvollendet gebliebene Versuchen der Stadt, die Marke und den Betrieb zukunftsfähig zu machen und er hofft, dass es diesemal klappen möge. Der Investor, Bachar Najari, der natürlich auch exzellent Ungarisch spricht, versprach, seine Dreifachrolle als Syro-Swiss-Ungar blendend spielend, dass er versuchen werde, Zsolnays alte Größe zurückzugewinnen. Ihr Überleben soll ein Signal sein, dass Ungarn seine Werte respektiert und bewahrt. Außerdem hatte, so Najari launig, er immer wieder mal Probleme originelle Geschenke für seine Geschäftspartner zu finden, daher dachte er immer mal darüber nach, doch gleich in ein entsprechendes Unternehmen einzusteigen.

Für eines dieser Geschenke empfahl sich sodann der palästinensische (!) Botschafter, der von der "kommenden Erfolgsgeschichte" fabulierte und über die technologischen Parallelen zur islamischen Welt bei der Keramikkunst berichtete. Da möchte man nur hoffen, dass Staatssekretär Budai gegenüber Israel mit dieser beiläufigen Staatsgründung nicht mehr Porzellan zerschlägt als Zsolnay fertigen kann...

Bachar Najari kennt sich mit schönen und teuren Dingen aus. Im Luxushandel machte er sein Geld.
Wird er Zsolnay zurück auf die Erfolgsspur bringen?

Chance und Gefahr als Edel-Accessoire

Ein Business-Konzept ist noch nicht bekannt, allerdings kann man davon ausgehen, dass Najari mit seinen einschlägigen Kontakten in die Welt des Luxus-Shoppings, die immer noch namhafte Marke in den Konsum-Tempeln der arabischen, fernöstlichen und auch der westlichen Welt als Edel-Accessoire etablieren wird. Ob bei dieser Positionierung, bei der das Luxus-Image immer vor der Kuntsfertigkeit und der Tradition zu stehen hat (denn die meisten Geldsäcke der Welt, vor allem die Neureichen, haben weder Geschmack noch historisches Gefühl), das Unverwechselbare des Hauses Zsolnay, der Hauch der großen Geschichte erhalten werden kann, ist offen. Doch auch im mittleren Preissegment lassen sich mit feinen Stücken und bezahlbaren Serien Geschäfte machen. Die das Orientalische stets betont adaptierende Mustergebung aus dem Hause Zsolnay kommt diesem Konzept immerhin entgegen und die Hoffnung, dass der neue Eigentümer die Gratwanderung zwischen Geschäfts- und Kunstsinn schafft, lebt nun wieder.

red. / m.s.

Zum Thema:

Scherbenhaufen: Pécs trennt sich von Zsolnay Porzellan (März 2009)
http://www.pesterlloyd.net/2009_12/0913zsolnay/0913zsolnay.html

Airport Pécs und Zsolnay unverkäuflich (Juli 2009)
http://www.pesterlloyd.net/2009_28/0928pecsprivat/0928pecsprivat.html

Pécs wird angehübscht: die Kulturhauptstadt 2010 erhält ein neues Stadtviertel (Zsolnay-Quartier, Aug. 2009) http://www.pesterlloyd.net/2009_34/0934pecs/0934pecs.html

Unzerstückelt: Pécs erwarb günstig eine einzigartige Sammlung von Zsolnay-Porzellan (Dez. 2009)
http://www.pesterlloyd.net/2009_49/49zsolnay/49zsolnay.html

Zsolnay muss ohne Staatshilfe auskommen (Nov. 2010)
http://www.pesterlloyd.net/2010_47/47zsolnay/47zsolnay.html

Ungarn holt sich 25%igen Anteil an Herend zurück (Mai 2011)
http://www.pesterlloyd.net/2011_20/20herend/20herend.html

 

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