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(c) Pester Lloyd / 10 - 2013   POLITIK 05.03.2013

 

Nur die halbe Wahrheit

Oppositionelle Sozialisten zeigen und blamieren sich mit Wahlkampffilm "Ungarn heute"

Den ungarischen "Sozialisten" von der MSZP, größte Oppositionspartei des Landes, fällt in der sich immer stärker anbahnenden Schlacht um die Parlamentswahlen im Frühjahr 2014 weiterhin nicht viel mehr ein als die übliche Negativkampagne wie sie auch die Widersacher vom Fidesz fährt. Der Film beschreibt - emotional zugespitzt und zu ausgewählten Themen - eine traurige Realität und eine desaströse Fehlentwicklung - zeigt aber keinerlei Perspektive auf. Das passt genauso zur Rolle der Partei in der Opposition wie die unnötige Blamage um Urheber- und Persönlichkeitsrechte.

Screenshot aus dem MSZP-Film, ein finster, diktatorisch dreinblickender Orbán

Nachdem man mit ein paar Plakaten, die das Versagen einzelner Minister aufs Korn nahmen, gestartet war, präsentierte die Parteileitung nun einen Film unter dem Titel "Ungarn heute". Das knapp zwanzigminütige Werk, das Parteichef Mesterházy am Wochenende persönlich der Presse vorführte, liefert kaum programmatische Alternativen, zeichnet dafür aber ein finsteres Bild des Zustands des Landes und schießt sich immer wieder auf Premier Orbán und seine Minister ein.

Der Film:

 

Es werden verschiedene "normale Bürger", Arbeiter, Studenten, Rentner interviewt, die über ihre Lebenssituation, ihre Hoffnungen und Enttäuschungen berichten. Grundtenor: Orbán hat das Land zerstört, die Regierungspropaganda ist fern der Realtiät, die sozialen Unterschiede wachsen, die Mittelklasse fällt zurück, es gibt 4 Millionen Arme, 1,5 Millionen davon sind ganz verelendet, die Jugend flieht aus dem Land. Gezeigt werden auch die bigotten Parolen der "Friedensmärschler", die politische Radikalisierung. Mit professionellen Stilmitteln wird zwischen den Regierungsparolen und dem "richtigen Leben" hin- und hergeschnitten, es werden die Dummheiten Matolcsys ausgebreitet, auch das hochsubventionierte Fußballhobby Orbáns wird dezent mit eingeblendet, dann wieder Schilderungen des Elends, alles mit viel Emotionalität aufbereitet. Der Film erinnert in nicht wenigen Elementen an die Produkte der Demokraten wie Republikaner im US-Wahlkampf.

So wahr - wenn auch nicht vollständig - die traurige Schilderung ist, so arm ist der Film an Gegenvorschlägen, wie sie z.B. die neue Allianz "Gemeinsam 2014" versucht, gekoppelt mit einer "Garantie", dass es - bei aller Umkehr - auch nicht wieder so wird wie vor 2010. Diese Garantie mochte die MSZP bisher nicht geben, stellt aber den Anspruch auf Oppositionsführerschaft, auch wenn im Hintergrund heftig darum gerungen wird, letztlich den G2014-Chef Bajnai als gemeinsamen Spitzenkandidaten zu präsentieren.

Ein neues Logo und Negativkampagnen, mehr fiel der MSZP bisher nicht ein.

Der jetzt präsentierte Film zeigt die Realität, aber er zeigt nicht, wie es weitergehen, anders, also besser werden kann. Auch wird jede Mitverantwortung an den Zuständen im Lande einfach ausgeblendet, die immerhin die Basis für Orbáns üebrwältigenden Wahlsieg bildete. Solange diese Einsicht nicht kommt, kann man sich auch eine Fortsetzung des filmischen Wahlkampfs sparen. "Ungarn heute" ist der passende Titel, denn es fehlt jedes Gestern und erst recht das Morgen, doch das ist es, was die Menschen interessiert. Damit spiegelt das "Werk" die einseitige Rolle, die die MSZP seit 2010 im politischen Leben spielt und gleicht sich in der reinen Negativkampagnisierung den Methoden des politischen Gegners an.

 

Und noch eine sehr bezeichnende Blamage konnte sich die Partei nicht ersparen. Kaum war der Film draußen, rief der TV-Sender RTL-Klub an und beschwerte sich per Anwalt darüber, dass die Partei Filmmaterial des Senders ohne Genehmigung verwendet habe, was illegal sei. Tags darauf riefen die Witwe von Fußballidol Ferenc Puskás sowie der Rechteinhaber an den Werken Béla Bartóks in der MSZP-Zentrale an und meldeten die Verletzung von Rechten und die Vereinnahmung von Symbolen. Beide verlangten - freilich in einem ebenso kampagnisierenden öffentlichen Brief - die sofortige Löschung des beanstandeten Materials. Eine Steilvorlage für die Regierungspropaganda, die nun kontert: nicht mal Wahlkampf können die Sozis machen, ohne zu stehlen...

cs.sz.

 

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