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(c) Pester Lloyd / 12 - 2013   SERBIEN 17.03.2013

 

Von Habermas zu Machiavelli

Zum 10. Todestag von Zoran Dindic, Ex-Premier von Serbien

Am 12. März vor zehn Jahren starb Zoran Ðindic. Der erste demokratisch gewählte Ministerpräsident Serbiens fiel einem Mordanschlag zum Opfer und mit ihm eine ganze Reihe von Hoffnungen. Zu seinem Henker wurde Zvezdan Jovanovic, der vier Jahre danach zu 40 Jahren Haft verurteilt wurde. Bis heute bleiben Hintermänner im Dunkeln und die Geschichte hält wenig Lehren, dafür eine bittere Ironie bereit.

Zoran Ðindics Lehrjahre

Als Startpunkt für für Zoran Ðindics Lehrjahre und seinen Aufstieg als Politiker, soll das Jahr 1974 dienen, als er unter dem Vorwurf, er sei ein Dissident, für einige Zeit im Gefängnis landete. Zusammen mit kroatischen und slowenischen Kommilitonen hatte der Philosophie-Student aus Belgrad auf die Krise der jugoslawischen Gesellschaft aufmerksam gemacht. Einige Jahre später emigrierte Ðindic nach Deutschland, wo er unter Jürgen Habermas in Frankfurt/Main studierte und schließlich in Konstanz promovierte. Sein Promotionsthema „Marx' kritische Gesellschaftstheorie und Begründungsproblematik“ war eine rigorose Marxismuskritik. Als europabegeisterter Mensch, dessen Einstellung übrigens fernab von irgendwelchen Ideologien war, kehrte Ðindic 1989 nach Serbien zurück. Mit diesem Rüstzeug versehen, war er 1990 dann einer der Mitbegründer der „Demokratischen Partei“ (DS), deren Vorsitz er ab 1994 innehatte.

Die Wandlung zum Machiavellisten

Mit diesen Schritten erwachte immer stärker der Politiker in Zoran Ðindic und damit entfremdete er sich zunehmend von der Lehre seines ehemaligen Dozenten Jürgen Habermas, um letztendlich zum Machiavellisten zu werden. Inhaltlich bedeutet dies die Wandlung einer Person, die im freien Diskurs die Voraussetzung für die besten, und mit Hilfe von Öffentlichkeit gerechtesten, Ergebnisse sieht, hin zu jemandem, bei dem der Machtgewinn bzw. deren Erhalt das oberste Gut ist.

Die Entfernung von der Habermas’schen Doktrin zeigte sich beispielsweise an seiner Art der Politik bzw. auch der politischen Kommunikation an sich. So nahm Ðindic nur selten zu jenen Punkten Stellung, mit denen die Erwartungen des Publikums verknüpft waren. Stattdessen wich er mit dem Ziel aus, den Zuhörer von der ursprünglichen Frage abzulenken. Klare moralische Äußerungen und Appelle, galten ihm als politisch „naiv“.

Diese Ausweichtendenzen hatten allerdings einen pragmatischen Charakter, der schon früh einen sehr hohen Stellenwert einnahm, womit wir bereits bei Niccolo Machiavelli angekommen wären. Zoran Ðindic zufolge sei es viel wichtiger zuerst Konsequenzen in die richtigen Bahnen zu lenken, als Motive und Hintergründe zu beleuchten. So ging es ihm in den 1990er Jahren um die Methode der Politik, im Kern also um die Wandlung politischer Verfahren im Sinne eines demokratischen Werteparadigmas. Als Paradebeispiel für diesen Pragmatismus, der seinem Handeln vorherrschte, kann die Gründung der „Demokratischen Opposition Serbiens“ (DOS) im Jahre 2000 gelten, für die Ðindic mitverantwortlich war. Das aus 18 teils unterschiedlichster Gruppierungen bestehende Bündnis, wurde einzig und allein zu dem Zweck gegründet, um Slobodan Miloševic zu stürzen.

Das schien zu gelingen, denn der Spitzenkandidat der DOS, der erzkonservative Vojislav Koštunica, gewann die Präsidentschaftswahl, doch Miloševic ernannte sich trotzdem zum Sieger. Es folgten Generalstreiks und Demonstrationen, Ðindics DOS hatte das Volk hinter sich – ganz so, wie es nach Machiavelli sein muss. Als der Diktator am 5. Oktober 2000 letztendlich gestürzt wurde, griffen dessen ehemaliger Bewacher, die „Roten Barette“, nicht ein. Zoran Ðindic hatte in der Nacht zuvor mit deren Kommandanten Milorad Ulemek, genannt „Legija“, einen Deal ausgehandelt: Ihr lasst uns gewähren, dafür sichere ich euch euer Fortbestehen zu.

Zoran Ðindic als Ministerpräsident

Am Ende wurde Koštunica Präsident und Ðindic hatte als Ministerpräsident, zu dem er im Januar 2001 gewählt wurde, endgültig jene Position inne, von der aus er seine Reformbestrebungen am besten umsetzen konnte. Einer seiner ersten Amtshandlung war die Auslieferung Slobodan Miloševics nach Den Haag, wo dieser vor dem Kriegsverbrechertribunal angeklagt werden sollte. Koštunica hatte sich öffentlich dagegen ausgesprochen, aber Ðindic zog seine Linie durch, kündigte an, er würde die Auslieferung notfalls sogar mit Waffengewalt durchsetzen und ließ den Ex-Diktator in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gen Den Haag verfrachten.

Während seiner Amtszeit ringt Ðindic mit der Demokratisierung, der Annäherung an den Westen, der Implementierung einer modernen Marktwirtschaft, letztendlich mit der Modernisierung Serbiens, dessen Volkes Majorität aber nur wenig mit den westeuropäischen Bestrebungen ihres Ministerpräsidenten anfangen kann. Doch der will das Land schnell und radikal umgestalten, was sich als schwierig erweist: Die Kassen sind leer, Unmut regt sich, alte Miloševic-Kader treten stärker ins Rampenlicht und nationalistische Zeitungen hetzen gegen den Ministerpräsidenten. Der derzeitige Präsident Serbiens, Tomislav Nikolic, unkt, auch Tito hatte kurz vor seinem Tod Probleme mit seinem Fuß gehabt, womit er auf eine Fußverletzung Ðindics anspielt, weshalb er zu jener Zeit auf Krücken geht.

Dann folgt der 12. März 2003. Aus 180 Metern Entfernung ermordet der Scharfschütze Zvezdan Jovanovic Zoran Ðindic durch Schüsse in Bauch und Rücken.

Hunderttausende kommen zur Beerdigung.

Alle Wege führen in den Sumpf  der Kriminalität

Der Attentäter wurde im Jahre 2007 zu 40 Jahren Haft verurteilt. Die gleiche Strafe bekam auch Milorad „Legija“ Ulemek, mit dem sich Ðindic einst verbündet hatte, um Slobodan Miloševic endgültig aus dem Weg räumen zu können. „Legija“ wurde gerichtlich nachgewiesen, der Organisator des Anschlages zu sein. Doch wer die wahren Hintermänner sind, ist bis heute unbekannt, was wohl auch so bleiben soll. Denn das erklärt einige Geschehnisse rund um den damaligen Prozess zur Aufklärung des Mordes. Zum einen wurden zwei Zeugen vor ihrer Vernehmung ermordet und zum anderen legte der Richter während des Prozesses sein Amt nieder. Sowohl er, als auch seine Nachfolgerin erhielten Todesdrohungen. Der Bezug zur organisierten Kriminalität liegt auf der Hand. Hinzu kommen engste Verbindungen von „Legija“ und auch Jovanovic zur Unterwelt, deren Teil sie sogar waren. Auch Zoran Ðindic hatte sich darauf eingelassen, um seine Ziele zu erreichen. Es heißt, ohne solche Kontakte hätte Ðindic die Entmachtung Miloševics sowie dessen Auflieferung nach Den Haag keinesfalls unblutig über die Bühne bringen können.

Doch Ðindics Reformprozess beinhaltete auch die Loslösung von der Vergangenheit und der Ära Miloševic, was nichts anderes bedeutete als die Zerschlagung der kriminellen Strukturen, deren sich Ðindic noch kurz zuvor bedient hatte, um das Land endgültig vom Ex-Diktator zu befreien. In der Tat stand vor dem Anschlag eine Verhaftungswelle kurz bevor.

Denkt man es zu Ende, führen alle Indizien letztendlich zu Slobodan Miloševic. Ob dieser nun wirklich der Drahtzieher war, ist pure Spekulation, aber zumindest im nationalistischen Dunstkreis seiner Ära scheinen die Hintermänner zu stehen.

Ðindics Erbe und der Niedergang seiner Partei

Das Erbe von Zoran Ðindic wurde zunächst von Boris Tadic verwaltet, der von 2004 bis 2012 Staatspräsident und unantastbarer Parteichef der DS war. Dieser malte ein schwarz-weiß-Bild, in dem dessen Partei per Definition für alles Gute stand und allen anderen Parteien überlegen war. Von diesem Bild zehrte man so lange fernab der Realität, bis das politische und moralische Kapital, was Ðindic seinerzeit aufgebaut hatte, aufgebraucht war. Wo Ðindic noch Machiavellist im positiveren Sinne, nämlich zur Erreichung großer, allumfassender Ziele war, wurden dessen Erben zu Machiavellisten im negativeren Sinne. Machterhalt wurde zum Selbstzweck, Bestrebungen die Demokratie zu stärken gehörten der Vergangenheit an und man ließ sich auf dubiose Tycoons und Netzwerke ein, die ganz bestimmt nicht das Beste für das Land waren. Die Reformideen Ðindics blieben auch der Strecke. Nun ist die Partei quasi bankrott und kann nur noch auf die Unterstützung von 13% der Wähler zählen.

Ironie des Schicksals

 

Seit den Wahlen 2012 hat die DS ihre Macht eingebüßt. Präsident ist aktuell Tomislav Nikolic von der rechtskonservativen Serbischen Fortschrittspartei  (SNS). Die Posten von Premierminister bzw. Vizepremierministers bekleiden der Parteivorsitzende der sozialistischen Partei (SPS) Ivica Dacic und Aleksandar Vucic von der SNS. Was diese drei führenden Politiker Serbiens gemeinsam haben? Alle drei sind ehemalige Mitstreiter von Slobodan Miloševic und waren damit erbitterte Gegner Zoran Ðindics. Nikolic war Vizeregierungschef, Dacic der ehemalige Sprecher Miloševics und Vucic war jener Informationsminister, der versucht hatte, regierungskritischen Journalisten durch absurd hohe Bußen das Wort zu verbieten. Dieses Dreigestirn hat sich, mindestens zu Gunsten pragmatischer Politik, d.h. zu Gunsten von Gestaltungsmöglichkeiten, in jene Nische bewegt, die ihr ehemaliger Widersacher Zoran Ðindic hinterlassen und die Boris Tadic nur ungenügend ausfüllen konnte. Nun steuert Serbien entschlossen in Richtung Europäische Union. Mit einem Starttermin für EU-Beitrittsverhandlungen wird im Juni gerechnet, sofern Belgrad und Priština in ihren Verhandlungen Fortschritte erzielen, wonach es zurzeit aussieht. Ivica Dacic und Aleksandar Vucic hatten diesem Ziel schon lange Priorität eingeräumt.

Wie es die Ironie des Schicksals will, scheint der Geist Zoran Ðindics nun durch dessen ehemalige Widersacher gelebt zu werden. Auch der Korruption hat Serbien in Person von Aleksandar Vucic den Kampf angesagt! Dass dessen Premierminister Ivica Dacic verdächtigt wird, sich mit Unterweltsgrößen eingelassen zu haben, soll an dieser Stelle mal verschwiegen werden…

Christopher Schulz

 

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