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(c) Pester Lloyd / 14 - 2013   POLITIK 02.04.2013

 

Informelle Monarchie

Orbán bastelt weiter an seinem Präsidialsystem für Ungarn

Per Dekret wurde die Zuständigkeit über die Außenhandelsbeziehungen und die Außwenwirtschaftsförderung jetzt auch offiziell vom Wirtschaftsministerium ins Amt des Ministerpräsidenten verlegt. Regierungschef Orbán baut damit sein "Kanzleramt" immer weiter zu einer parallelen Zentralregierung, einer Art Präsidialsystem um. Den anderen Ministern bleibt nur der Verwaltungskram.

Der im Amt des Premiers angesiedelte Staatssekretär für Außenbeziehungen, Péter Szijjártó, vorher nur Regierungssprecher, hat seit 2012 dort mehr Einfluss auf die Außenpolitik als Außenminister Martonyi, ihm unterstehen im Rahmen der strategischen "Ostöffnung" außerdem acht bilaterale Komitees für Handelsbeziehungen und nun auch die Außenwirtschaftsförderung, wie aus der jüngsten Ausgabe des Amtsblattes Magyar Közlöny hervorgeht. In diesem erfährt die Öffentlichkeit immer erst im nachhinein über teils wichtige Entscheidungen, die als "Dekrete" (ordre de mufti) nicht die parlamentarische Gesetzgebungsverfahren durchlaufen müssen.

Stabschef János Lázár, der frühere Fidesz-Fraktionschef, ist eine Art zweiter Vizepremier und sowohl für die Regierungskommunikation (für die es eigentlich noch ein eigenes Staatssekretariat gibt) als auch für wichtige Personalentscheidungen zuständig und gilt als wichtigster Exekutor der Machtsicherung nach innen in die Regierungspartei Fidesz. Ihm wird ab diesem Jahr auch die Vergabe der EU-Milliarden anvertraut, die man der Nationalen Entwicklungsagentur (NFÜ) auf Weisung Orbáns abgenommen hat, womit die disziplinierenden "Argumente" gegenüber möglicherweise überambitionierten Strebern in den eigenen Reihen auch materiell unfüttert werden können.

Mit der kürzlichen Entsendung seines Wirtschaftsberaters und Vertrauten Mihály Varga, der zuvor im "Kanzleramt" tätig war, an die Spitze des Nationalwirtschaftsministeriums (Wirtschaft und Finanzen) und der Übernahme der Zentralbank durch den orbánhörigen, wenn auch vollkommen unfähigen Matolcsy, konzentriert sich die gesamte staatliche Wirtschaftsmacht nun auf eine Handvoll Leute im direkten Umkreis Orbáns, inklusive aller wichtigen Vergaben öffentlicher Aufträge, einschließlich des Zugriffs auf die staatliche Entwicklungsbank.

Von den linientreuen Ministern Navracsics (Justiz, öffentliche Verwaltung), Pintér (Polizei, Katastrophenschutz, Kommunale Zwangsarbeit) und Balog (sämtliche "Soft"-Ressorts: Bildung, Kultur, Soziales, Frauen, Jugend, Sport) abgesehen, führen alle anderen Ministerien nur noch rudimentäre Verwaltungstätigkeiten aus.

Die parlamentarischen Ausschüsse, die eigentlich die Arbeit der Ministerien kontrollieren sollen, werden daher auch nominell überflüssig, wenn die wichtigsten Entscheidungen und Geldflüsse ohnehin beim unberühbahren Premierminister angesiedelt werden. Durch die Mehrheitsvershältnisse waren diese Ausschüsse allerdings vorher schon de facto obsolet.

 

Orbán verfügt - neben dem normalen Budget seines Amtes sowie einem international üblichen Notfall- und Sonderausgabenfonds - zusätlich noch über eine frei verfügbare Budgetreserve, die sich taktisch einsetzen lässt. Auch das Antiterrokommando TÉK, eine 400 Mann starke Spezialtruppe, ist zwar offiziell beim Innenministerium angesiedelt, untersteht aber "auf Anforderung" (wie z.B. der weit auslgebaren Frage des Personenschutzes) der Befehlsgewalt des Premiers. Das TÉK hat informelle Zugriffsrechte wie ein Geheimdienst und ebenfalls ein beachtliches Budget, Beschaffungen unterliegen der Geheimhaltung wegen der "nationalen Sicherheit", versteht sich.

Mit dieser Machtkonzentration, die im Hintergrund immer weiter gestärkt wird, unterläuft Orbán - nach der Aufhebung des Primats des Verfassungsgerichtes für Verfassungsfragen - sowie der Gleichschaltung so gut wie aller Kontrollinstanzen des Rechtsstaates, einschließlich der Justiz (work in progress), ein weiteres Mal das für Ungarn konzipierte und verankerte Regierungs- und Staatssystem und baut seine Ein-Mann-"Demokratie" allmählich zu einer informellen Monarchie aus.

red.

 

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