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(c) Pester Lloyd / 15 - 2013   MEDIEN 09.04.2013

 

140 stürmische Jahre

Wird die "Volksstimme" in Ungarn bald verstummen?

Die Népszava (Volkstimme), eine der ältesten durchgängig erscheinenden Tageszeitungen in Ungarn, wird dieser Tage 140 Jahre alt. Doch Grund zu Feiern haben die Blattmacher kaum, denn die Zeitung steht praktisch täglich vor der Pleite und ringt um ihr Überleben. Ihr Untergang, wenn auch folgerichtig und ökonomisch wohl unausweichlich, wäre ein weiterer warnender Hinweis auf die zerschundene politische Kultur im Land, denn die rechten Widerparts blühen gleichzeitig auf.

Gegründet wurde die Népszava 1877 von Viktor Külföldi (geboren 1844 als Jakab Mayer-Rubcsis im deutschen Thalheim), als Tageszeitung der sich auch in Ungarn etablierenden Sozialdemokratie, was sie bis 1948, von einer knapp einjährigen Pause während der Naziherrschaft abgesehen, blieb. Külföldi, was übersetzt Ausländer heißt, gründete in Ungarn mit dem Allgemeinen Arbeiterverein die Keimzelle der Sozialdemokratie, machte sich für eine allgemeine Krankenversicherung für Arbeiter stark, arbeitete eine Weile auch für den eigentlich großindustriellen und regierungstreuen Lloyd. Die Népszava gab damals wirklich dem Volk eine Stimme, bis dato waren die Zeitungen nur Lautsprecher der Herrschenden. Külföldi starb schon 1894, gerade 50jährig. Spätere Chefredakteure waren u.a. Ernő Garami, der 1919 in Károlyis Erster Republik kurzzeitig Justizminister wurde, sowie Árpád Szakasits, der von 1948 bis 1949 der wohl machtloseste Präsident war, den Ungarn jemals hatte (einschließlich heute). 1948 übernahmen die Stalinisten und formten aus dem Blatt die zentrale Gewerkschaftszeitung der Einheitsgewerkschaft.

Metamorphosen einer Zeitung: Vom aufstrebenden Organ der oppositionellen Sozialdemokratie, einer wahren Stimme des Volkes (Abb. 1) über ein Stalinisten-Propagandablatt (2), zur Gewerkschaftszeitung des Gulaschkommunismus (3) wieder zurück zur - nun allerdings sehr schwachen Opposition (4). Gibt es von dort eine Perspektive?

2002 wurden die letzten noch verbliebenen Gewerkschaftsanteile verkauft, verschiedene Teilhaber brachten jedoch keine ruhige Arbeitsbasis, selbst unter den sozialliberalen Regierungen ging es mit der Zeitung immer weiter bergab, dem allgemeinen Trend der klassischen Tageszeitungen folgend. Heute, die Sozialdemokratie ist lange verschwunden, die Népszava aber immernoch da, gehört die Mehrheit einer Schweizer, explizit auf "Nischenmedien" spezialisierten Firma TGD Intermedia sowie dem Managament und den Mitarbeitern. Die Népszava hat ein klar linkes Profil und ist noch "sozialistischer" als die ebenfalls in schwierigen Fahrwassern befindliche eher links-liberale "Népszabadság", dem Flagschiff der ungarischen Tageszeitungslandschaft in Händen des Schweizer Ringier-Verlages, der diesen Klotz am Bein eher früher als später loswerden will. (die neuesten Entwicklungen dazu hier)

Schamlose Zensur, gekauftes Wohlwollen

Die Auflage der Népszava wird mit täglich rund 16.500 bis 21.000 Exemplaren angegeben, wobei die verkaufte Auflage nicht selten unter die 15.000er Marke rutscht. Seit Machtantritt des Fidesz ist das Anzeigenaufkommen von Seiten staatlicher oder staatsnaher Unternehmen dramatisch eingebrochen und damit die wichtigste Einnahmequelle, neben spärlich fließenden privatwirtschaftlichen Anzeigen, Abos und Spenden, nahezu versiegt: die öffentliche Hand annoncierte im letzten Jahr für rund 7 Mio. Forint (rund 25.000 EUR) in der Népszava, während die rechtsradikale Magyar Hírlap (Heimat des Orbán-Freundes und Hasspredigers Bayer), die nur rund die Hälfte der Auflage der Népszava hat, 250 Mio. Forint (also fast 900.000 EUR) kassierte. Diese hat zudem noch einen steinreichen Magnaten im Rücken.

Dieses Missverhältnis zeigt indes nur einen Mosaikstein der fragwürdigen Finanzierungspraxis im Medienbereich, die längst soweit geht, dass sich die Regierungspartei durch entsprechende Verträge direkt wohlwollende Berichterstattung kauft und sich kommunale Amtsträger lokale Medienmonopole gestalten, von der Gleichschaltung des öffentlichen Rundfunks und dem offen zensurierenden Gebahren des Medienrates ganz abgesehen. Die Medien waren natürlich immer Instrumente der Herrschenden, wurden als Beute und Propagandainstrumente ge- und missbraucht, nie aber war das Missverhältnis in "demokratischen" Zeiten so offensichtlich und schamlos wie heute.

Bekommt die Népszava noch eine Chance?

Die Blattmacher der Népszava erinnern nun, anlässlich ihres Jubiläums, den Staat daran, dass der "sozialistische" Premier Gyula Horn 1996 dafür sorgte, dass die konservative "Magyar Nemzet", die damals in eine schwere Finanzkrise geraten war (und heute das gut betuchte Sprachrohr der Orbán-Regierung ist) überleben konnte. Im Sinne der Pressevielfalt stünde auch der Népszava, zumal als geschichtsträchtiges Kulturerbe, das Überleben zu. Ob die heutigen Machthaber hier jedoch Gnade walten lassen werden, ist angesichts der scharfen Kritik der Zeitung am Orbán-Regime und der Kritikempfindlichkeit Orbáns auszuschließen.

Der Untergang der "Volksstimme", wenn auch wirtschaftlich nachvollziehbar und journalistisch nicht besonders verlustreich, wäre - bei gleichzeitigem Aufblühen der rechten Widerparts - ein kulturhistorischer wie symbolischer Verlust von Vielfalt und Ideen und ein weiterer warnender Hinweis auf die zerschundene politische Kultur im Land, ein weiterer Schritt in die publizistische Barbarei. Mit Hinnblick auf die Sprachlosigkeit des Volkes und der Hilflosigkeit politischen Opposition wäre das Ende der Volksstimme indes nur folgerichtig. Der Glückwunsch an die knapp 20 Jahre jüngeren Kollegen zu vorerst 140 stürmischen Jahren "Népszava", verbindet sich daher mit einer traurigen Ahnung.

Marco Schicker

 

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