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(c) Pester Lloyd / 15 - 2013   POLITIK 09.04.2013

 

Zahnlose Tigerin

EU-Kommissarin Reding führt "kein Krieg gegen Ungarn", droht aber mit "Atombombe"

Die Vizechefin der EU-Kommission, Viviane Reding, hat auf die Vorwürfe der ungarischen Regierung reagiert, sie würde einen persönlichen Krieg gegen Ungarn führen und ihre Kritik nicht an den EU-Regeln ausrichten. Derzeit begutachtet man gründlich die 4. Verfassungsänderung und hält sich alle Optionen offen, bis hin zur "Atombombe", dem Artikel 7. Doch ob die Intervention der EU über Einzelpunkte hinausgehen kann, ist fraglich.

Viviane Reding und der ung. Justizminister Tibor Navracsics

In einem in der linken Tageszeitung Népszava veröffentlichten Interview sprach die EU-Justizkommissarin Reding davon, dass es ihr "in keiner Weise um irgendeinen Krieg" ginge, sonder ausschließlich darum, dass das Rechtssystem des Landes "auf Linie mit den EU-Regularien" zu sein habe, die für jedes Land gelten. Derzeit bereite die Kommission eine detaillierte Analyse der 4. Verfassungsänderungen vor, Reding bedauerte, dass die ungarische Regierung nicht willens war, auf die Orbán persönlich vorgetragenen Bedenken von Kommissionspräsident Barroso einzugehen und die Beschlussfassung zu der Verfassungsänderung zu verlegen, um vorab eine Prüfung auf Kompatibilität durchführen zu können. (Anm.: Orbán meinte, dass man auf Kritik einen Tag vor der Abstimmung nicht eingehen könne...).

Reding wiederholte Barrosos Warnung, dass die EU alle "zur Verfügung stehenden Mittel, ich wiederhole, alle Mittel" einsetzen werde, falls Ungarn "sich nicht an EU-Recht oder die Standards des Europarates" halte. Den Slogan der Demonstranten aufgreifend, sagte Reding "eine Verfassung dürfe niemals ein Spielzeug sein", es ist ein Grundgesetz, dass nicht alle paar Monate geänder werden darf, vor allem nicht, um damit die Unabhängigkeit der Justiz aufs Spiel zu setzen. Sie hoffe, dass Ungarn endlich wirklich auf die Bedenken reagiert und nicht "nur durch Pressekampagnen und Angriffe gegen die EU."

Reding kündigte auch an, sich nicht einfach mit der Wiedereinstellung der rund 750 unrechtmäßig in den Ruhestand geschickten Richter abzufinden, sie müssten auch in ihre alten Positionen mit ihren alten Zuständigkeiten wiedereingesetzt werden. Die ungarische Regierung hatte, nachdem sowohl das eigene Verfassungsgericht das entsprechende Gesetz annulliert hatte, als auch der Europäische Gerichtshof ein entsprechendes Verfahren anstrengte, die Regelung, wonach Richter ab 62 Jahren in Rente gehen müssten zwar gestoppt, in dem abgeänderten Gesetz jedoch verfügt, dass sie nur mehr als Sachbearbeiter, keinesfalls aber als vorsitzende Richter tätig werden dürften. Damit hat die Regierung ihre politische Absicht offenbart, die in der Einsetzung von linientreuen "Neurichtern" bestehtund nicht, wie behauptet, in der Anpassung an das allgemeine Rentensystem des öffentlichen Dienstes. Auch die Verfassungsänderungen tragen klare Züge des Versuchs der Beeinflussung von Gerichtsentscheidungen, u.a. durch das neue Zuweisungsrecht für die Oberste Richterkammer,

Zeigt Barroso Orbán schonmal die Tür?

Obwohl die Luxemburgerin Reding, die übrigens aus einer christlich-sozialen Partei stammt und eher dem EVP-Lager zuzuordnen ist, bestritt, dass es sich bei der Auseinandersetzung mit "Orbáns Ungarn" um "irgendeine Art von Krieg" handelt, wie dies von Seiten Ungarns (zuletzt von Justizminister Navracsics) immer gern betont wird, führte sie doch den Begriff der "Atombome" ins Feld, den die EU in Form des Artikels 7 der Lissabon-Verträge zur Verfügung habe, die freilich "nur angewendet werden soll, wenn nichts anderes mehr hilft", so die Justiz-Kommissarin. Grundsätzlich befindet sie, dass die Entscheidung der Gemeinschaft, sich den "postkommunistischen Staaten zu öffenen, richtig war". Sie hält es aber auch für richtig, dass die EU "interveniert, wenn die Balance zwischen Regierung, ihrer Opposition, dem Parlament und dem höchsten Gericht gefährdet" sei.

 

Allerdings kann Reding genau für diesen Fall grundsätzlicher, systemischer Gefährdungen von Rechtsstaat und Demokratie wie sie derzeit durch die "Einparteienherrschaft" bzw. genauer "Ein-Mann-Demokratie" in Ungarn vorgeführt werden, kein Instrument nennen, das über die Untersuchung und Sanktionierung von Einzelpunkten oder deftige Mahnungen hinausgeht, womit sie das Dilemma der Zahnlosigkeit der EU indirekt eingestanden hat, die Mitgliedern hilflos gegenübersteht, die sich von den Grundlagen des freiheitlichen Europas verabschieden. Dass man sich bei einer politischen motivierten Ausweitung der Anwendung von Defizitverfahren und Co. des Vorwurfs der Kompetenzüberschreitung aussetzt, ist nachvollziehbar. Wie verzwickt hingegen die Anwendung und wie probelmatisch die Auswirkungen des ominösen Artikels 7 würden, ist hier nachzulesen.

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red.

 

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