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(c) Pester Lloyd / 15 - 2013   POLITIK 08.04.2013

 

Restauration des Unleistbaren

"Sozialisten" in Ungarn stellen Sozial- und Gesundheitsprogramm vor

Am Samstag hat die größte ungarische Oppositionspartei, MSZP, Teile ihres Wahlprogramms vorgestellt, mit dem Schwerpunkt bei der Gesundheits- und Sozialpolitik. Dabei legte Parteichef Mesterházy den Finger in viele schmerzende Wunden, die durch den Orbánschen Ständestaat geschlagen oder vertieft worden sind. Die MSZP-Rezepte hatten aber schon damals, als die Partei noch an der Macht war nur zum Preis einer ausufernden Staatsverschuldung "funktioniert".

Schlange bei der Essensausgabe einer Hilfsorganisation in Budapest. Ostern 2013. Solche Anblicke kennen wir auch aus Zeiten der MSZP-Regierung. Ein Konzpet, grassierende Armut nachhaltig (!) einzudämmen, haben beide politischen Hauptrichtungen nicht anzubieten, behaupten es aber stets.

Im Zentrum der Sozialagenda steht derzeit die Forderung nach Senkung der Mehrwertsteuersätze für Lebensmittel (in diesem Beitrag mehr dazu, und hier zur relativ einfachen Gegenfinanzierung). Hier will man - so wie Fidesz bei den Strompreissenkungen - die Unterstützung der Bevölkerung mangels einer Unterschriftenaktion nachweisen. Die Regierungsinitiative nach Senkung der Wohnnebenkosten unterstütze man zwar von der Sache her, wünscht sich aber eine bedarfsorientierte Umsetzung, die jetzt bestimmte pauschale Kürzung von Energie- und Kommunalkosten sei sozial ungerecht, so der Parteivorsitzende bei der Präsentation am Samstag.

Hinsichtlich des Gesundheitswesens zieh man die Regierung eines "nie dagewesenen Abbaus von Ressourcen". Die Regierung rechnete kürzlich vor, dass man durch die Verstaatlichung der meisten Krankenhäuser (z.B. jener der Komitate und Kommunen) enorm Kosten spare und die Mittel so umverteile, dass nicht einige Krankenhäuser Gewinne erwirtschaten, während andere ständig vor der Pleite stehen. Die Überschüsse in den Sozialkassen führt Fidesz als Beleg für den Erfolg an. Die Opposition hält dagegen, dass die "Umstrukturierungen" klar auf Kosten der Versorgung ginge, die Wartezeiten auch für notwendige Operationen verlängerten sich zum Teil lebensgefährlich, die Versorgung auf dem Lande dünne immer mehr aus, Medikamente verteuerten sich zum Teil so sehr, dass selbst lebensnotwendige Therapien für viele, vor allem ältere Menschen, nicht mehr bezahlbar seien. Bei Krebs-, Diabetes- und Psychotherapien werde gespart und
ein menschenverachtendes Auswahlsystem etabliert. Die forcierten Kostenreduzierungen gingen an die Substanz der Krankenhäuser, der Staat spare also auf Kosten der Gesundheit der Menschen.

Die MSZP wolle grundsätzliche Änderungen, zu denen auch rechtliche Garantien für die Mitarbeiter des Gesundheitswesens gehören (z.B. das Recht, nach Erreichen des Pensionsalters ohne Rentenverlust weiterarbeiten zu können) sowie die Schaffung einer Mindestsicherung anstoßen, die diesen Namen auch verdient. Das Sozialwesen des Landes sei so zerstört wie seit dem Ende des Zeiten Weltkrieges nicht mehr,
Armut und Ungleichheit nähmen Überhand, die Arbeitslosenhilfe sei auf wenige Monate zusammengestrichen, aber an Arbeitsplätzen fehle es. Von 90.- EUR Sozialhilfe kann niemand leben, die "Közmunka" biete keinen Ausweg in den ersten Arbeitsmarkt und erniedrige die Menschen zu Sklaven. Auch der Wegfall des Steuerfreibetrages (durch die Flat tax) sei eine soziale Katastrophe, das Vertrauen ins Rentensystem durch den Umgang mit den privaten Rentenbeiträgen ohnehin erschüttert, auch die "Wiederherstellung" eines Systems der Frührente und des Schutzes des Rentenstatus für Invaliden sind Pläne der MSZP.

Bei der Präsentation ließ Parteichef Attila Mesterházy relativ wenig nachvollziehbare, strukturelle Überlegungen erkennen, sondern schoss sich eher auf die Gebiete ein, in denen der Regierungspartei offensichtliches Versagen vorzuwerfen ist. Auch die Gegenfinanzierung der angesprochenen Projekte ist in vielen Fällen zweifelhaft und klingt eher nach einer Restauration eines Systems, das sich Ungarn nie leisten konnte. Andererseits ist die Analyse der Fehlentwicklungen richtig und Kennzeichen der asozialen, ständestaatlichen Klientelpolitik, die die Orbán-Regierung von Anfang an gefahren ist, einschließlich der konsequenten Umverteilung von Unten nach Oben.

 

Die Vorstellung der Sozialagenda der anderen linksliberalen Oppositionspartei um Ex-Premier Bajnai steht noch aus, von dort sind, wie schon in der Wirtschaftspolitik, realistischere Konzepte zu erwarten als von den "Sozialisten", weshalb auch die Diffamierungskampagnen der Regierungspartei in erster Linie "Gemeinsam 2014" treffen, vor denen man deutlich mehr Angst hat als vor dem traditionellen Widerpart MSZP. Diese schoss sich neulich mit einem finster-dümmlichen Propagandafilm, der einseitig nur Kritik übte, aber überhaupt keine realistische Alternative bot, selbst ins Knie, weil man dort ungefragt urheberrechtlich geschütztes Material eines Privatsenders benutzte und sich den Zorn der Witwe von Fußballidole Puskás zuzog, weil man den Namen ihres Mannes politisch vereinnahmte. Mesterhaßzy bezog am Samstag dazu Stellung: Nein, man werde den Film nicht zurückziehen, man habe alles mit Anwälten besprochen, es sei nichts rechtlich relevantes falsch gemacht worden...

red.

 

 

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