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(c) Pester Lloyd / 17 - 2013   POLITIK 17.04.2013

 

Reconquista orbána

Premier von Ungarn feiert in Spanien die Wieder-Missionierung seines Volkes
+ Kommentar: Vorsehung & Irrweg

Voller Stolz berichtete der ungarische Regierungschef auf einer Tagung der spanischen Jesuiten-Organisation "Vereinigung katholischer Propagandisten" in Bilbao, wie er - trickreich - den Ungarn eine christliche Verfassung verpasste und sie so auf den rechten Weg zurückführte. Denn nur die Bibel, die "göttlichen Gesetze", hätten die Antworten auf die Krise, die jene "schreienden" EU-Bürokraten nicht haben.

Bei der Tagung einer spanischen Jesuiten-Organisation, "Vereinigung katholischer Propagandisten", unter dem Titel "Katholiken im öffentlichen Leben" am Montag im baskischen Bilbao, bezichtigte der ungarische Ministerpräsident die Kritiker seiner Regierung wieder einmal, nicht faktenbasiert zu argumentieren. Die geäußerte Möglichkeit, gegen sein Land ein Artikel-7-Verfahren einzuleiten, bezeichnete er als "schlechten Witz" und dass "niemand jemals aktuelle Beispiele" dafür genannt habe, wo Ungarn die demokratischen Werte missachten würde.

I did it my way...

Wenn er ins Europaparlament geht, "um Ungarn zu verteidigen", sei das eine "heftige Erfahrung", denn dort seien "Fakten nicht wichtig, es werden nur Vorwürfe gemacht, die Argumente werden mit ideologischen Äußerungen verwechselt, sie schreien mit aufgestellten Nackenhaaren... und Europa verliert die Selbstkontrolle". Man werde die Entscheidungsträger jedoch durch Wachstum überzeugen, durch die reduzierte Arbeitslosigkeit und die geringeren Schulden und Defizite. Die Wahlen 2014 werden "gemeinsam mit den wirtschaftlichen Erfolgen, die europäische Öffentlichkeit zur Ruhe bringen", so Orbán, der sich auf einem zweitägigen offiziellen Besuch in Spanien aufhält.

"All die Erfolge", die seine Regierung erzielt habe, habe sie auch deshalb erzielt, weil seine Politik "christliche Elemente" enthalte (Jesuitenwahlspruch: Alles zur höheren Ehre Gottes...). Die Wahrheit könne man nicht diktieren, man kann sie nur vertreten. "Wir vertreten unsere eigene Wahrheit und gehen unseren eigenen Weg und hoffen, dafür mehr und mehr Anerkennung zu bekommen", so der Premier, denn Europa befinde sich nicht nur in einer ökonomischen Krise, sondern auch in einer moralischen, in einer Glaubenskrise.

Wie Orbán seine Landsleute zurück zum Glauben führte

Orbán erklärte dem Plenum dann, wie er seinen missionsarischen Kreuzzug angegangen ist, dass er das Volk praktisch ausgetrickst habe, denn auch in Ungarn gibt es "Säkularisation" zu beklagen. "Die meisten Ungarn" hätten eine christliche Verfassung nicht gewollt, aber wir haben sie überzeugt." gibt ihn die Tageszeitung El Pais wieder. Wie? "Wir sandten den Menschen einen Fragebogen mit 14 Fragen. Diese waren aber weder religiösen Inhalts, noch bedienten sie sich einer religiösen Fragestellung." "Wir stellten Fragen wie die: Glauben Sie, dass ein Bürger auch Pflichten oder nur Rechte hat? - Sollten die Bürger von eigener Arbeit oder von staatlicher Beihilfe leben? Und auch Fragen zur Familie..." Dann haben "mehr als eine Million Bürger uns ihre Antworten geschickt und alle stimmten für die Antworten, die wir als christliche Prinzipien verstehen" und so "gelangten die christlichen Werte in unsere Verfassung...".

Zurück zum Gottesstaat?

Mit Blick auf die Themenstellung der Konferenz "katholischer Propagandisten" sagte er, dass Europa der einzige Kontinent der Welt sei, in der "die Mehrheit der politischen Eliten denkt, sie könnten ihre Welt ohne Gott oder göttliche Gesetze organisieren". Es mache aber "keinen Sinn, eine neue, gemeinsame europäische Identität schaffen zu wollen", da "die Menschen das Christentum nicht ablegen werden". Es sei ein "fundamentaler Fakt", dass die "Biblische Geschichte" den "moralischen Rahmen für das europäische Leben" gäbe. "Das Christentum" habe "die Antworten zu den Herausforderungen", denen sich Europa ausgesetzt sieht. Ohne christliche Werte "kann Europa nicht funktionieren".

red.

Vorsehung und Irrweg - Kommentar

Orbáns propagandistische Frömmelei, seine Kreuzzugsattitüde, die der "Reformierte" in Bilbao vor Katholiken zelebrierte, ist den Ungarn nichts Neues und gehört, so lächerlich sie sich in Europa anhören mag, neben Nationalismus und völkischen Legendenbildungen, fest zum Standardrepertoire des Fidesz-Nationalpopulismus. Höhepunkte dieser Ausfälle, die den westlichen Medien meist verborgen blieben, weil sie sich mit seinen verschwurbelten Interviews abspeisen lassen, waren bisher die Blut-und-Boden-Rede in Ópusztaszér sowie ein Interview mit einem polnischen TV-Sender, in der er von der politisch verändernden Kraft massenhafter Mariengebete fabulierte, die nachweisbar sei.

Premier Orbán plauderte auf der Konferenz “katholischer Propagandisten” aus dem Nähkästchen der Missionierung

Orbán betont immer wieder, dass nur ein "christliches Europa" bestehen kann und stellt dieses dem lebensunfähigen, auf Gier und überbordender Macht "der internationalen Finanzmärkte" bestehenden heutigen Europa entgegen. Wie bei vielen seiner politischen Handlungen, geht er bestehende Missstände nicht zu einer Lösung in Richtung Normalität und Ausgleich an, sondern um die entstandene - und berechtigte - Unzufriedenheit der Bürger mit konkreten Lebensumständen in Aversionen gegen politische Gegner zu lenken und so seine eigenen politisch-ideologischen Vorstellungen, die in Wahrheit etwa einer nationalistisch umspielten Oligarchie, einem Ständestaat Horthyscher Prägung entsprechen, denn einer Demokratie, in der das Volk wenigstens etwas zu melden hätte, umzusetzen.

Völkische wie klerikale Momente dienen dabei - wie schon damals - als propagandistische Hilfsverben für das Buch von der Neuerfindung und Neufindung der Nation, das von Orbáns Partei geschrieben wird und ohne das es keine Zukunft geben "kann". Dabei kann sich Orbán auf eine lange Tradition von Opfermythen, Fremdschuldthesen und Stellvertreterkriegen stützen, die "dem Volk" immanent geworden sind. Wie schon bei anderen, den Ungarn bekannten Regimen, sollen Volk, Idee und Repräsentanten unter der "größeren" Idee verschmelzen, die Menschen letztlich glauben, dass die Macht in Händen von Fidesz und Orbán die göttliche = natürliche Ordnung darstellt und die wachsenden Restriktionen bei den Grundfreiheiten nur Mittel zu einem guten Zweck sind. Ungefähr die Hälfte des sich politisch bei Wahlen äußernden Volkes folgt Orbán treu auf diesem Weg. Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut oder knapp daran, es ist dies der höchste Wert seit der Wende.

Ob Orbán selbst der reine Machiavellist ist, als der er gerne dargestellt wird, darf bezweifelt werden, nicht wenig bei ihm deutet darauf hin, dass sich in ihm ein Glaube an eine Art Vorsehung festgesetzt hat, sind doch seine politischen Schachzüge längst nicht nur auf machtsichernde Rationalität, sondern gehen häufig verbissene, idealistische Umwege. Dass diese Wege nur noch selten die Realität kreuzen und sich immer weiter vom gemeinsamen europäischen Ziel rechtsstaatlicher und demokratischer Grundprinzipien entfernen, ist bei diesem ideologischen wie charakterlichen Hintergrund zwangsläufig.

 

Orbáns Weg ist ein Weg der Spaltung, der Diffamierung, der Vereinnahmung humanistischer Werte durch die Behauptung sie seien christlich. Es ist ein Weg weit zurück hinter die zaghaften Fortschritte zivilisatorischer Aufklärung, Glaube ersetzt die Vernunft. Man könnte auch kurz zusammenfasssen, dass Orbán nichts weiter als ein Quacksalber, ein Betrüger am eigenen Volk ist, der das Göttliche anrufen muss, weil er das Irdische nicht auf die Reihe bekommt. Denn alle seine Heilsversprechen müssen an der Realität scheitern, weil sie die Realitäten leugnen und den Bedürfnissen der Mehrheit wie der (meisten) Minderheiten nicht gerecht werden. Doch, wie Orbán selbst sagte: "Wir haben unsere eigene Wahrheit." Orbáns "Kreuzweg" ist ein Irrweg, er tat sich auf, weil Europa derzeit selbst keinen gangbaren Weg aufzuzeigen in der Lage ist.

m.s.

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