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(c) Pester Lloyd / 17 - 2013   NACHRICHTEN 22.04.2013

 

Sargnagel oder Eintagsfliege?

Ex-Finanzminister in Ungarn gründet "konservative, proeuropäische" Partei

Am Sonntag hat der Ökonom Lajos Bokros, 1995-96 Finanzminister der sozialdemokratischen Horn-Regierung und Begründer eines berühmt-berüchtigten Privatisierungs- und Sparpaketes, seine Anfang März angekündigte Parteigründung vollzogen. Das neue Mosaiksteinchen in der ungarischen Parteienlandschaft wird "Bewegung Modernes Ungarn", kurz MOMA (Modern Magyarország Mozgalom) heißen und soll eine "konservativ, liberale, pro-europäische" Partei sein. Es ist das erste Mal, dass sich jemand in Orbáns politisches Jagdrevier traut.

Das Personal rekrutiert sich im Wesentlichen aus alten Bekannten des Demokratischen Forums (MDF), der einstigen maßgeblichen Wendepartei, die wegen der Hegemonialkraft des Fidesz und interner Streitereien 2010 bei den Wahlen kläglich unterging. Man stehe kompromisslos zu europäischen Werten, zur Solidarität, zum nationalen Zusammenhalt, wobei Bokros Wert darauf legte, dass er - in der Tradition des Heiligen Stephan - all jene als der ungarischen Nation zugehörig betrachte, die sich zu ihr bekennen (was einen, feinen, nicht unbedeutenden Unterschied zur Blut-und-Boden-Definition von Fidesz-KDNP und Jobbik darstellt, die indirekt so auch in der Verfassung verankert ist, wo die ethnischen Ungarn als untrennbare Nation dargestellt werden, die anerkannten Minderheiten jedoch nur als staatsbildender Teil Ungarns). Ganz am Anfang seiner Parteiagenda steht jedoch das Wort Marktwirtschaft.

Der charismatische und als fachlich versiert geltende, doch wegen seines neoliberalen Kurses in den 90ern nicht unumstrittene Bokros, der immer noch auf einem MDF-Ticket im Europaparlament sitzt, ließ am Ziel seiner Partei keinen Zweifel, auch er will das Orbán-Regime, das für ihn "autoritär" ist 2014 ablösen. Das Land müsse sich bei den kommenden Wahlen entscheiden, ob es eine "klassische europäische Entwicklung" nehmen wolle oder mit dem "autoritären Orbán-Regime" den Weg in die "internationale Isolation und den sozialen Zerfall" wählen will. "Weitere vier Jahre Orbán", so Bokros halte das Land jedenfalls nicht aus.

Auch Bokros meinte, dass man für das Ziel des Machtwechsels die Oppositionskräfte bündeln müsse. Wer dazu nicht bereit sei, lade "eine riesige, historische Schuld" auf sich. Ob er mit der maßgeblichen Wahlallianz Gemeinsam 2014 und den Sozialisten bereits verhandelt habe, mochte Bokros noch nicht beantworten. Letztere erhielten gerade einen Korb von G2014 von Ex-Premier Bajnai, der erst im Juni über eine endgültige Absprache zu gemeinsamen Kandidaten Verhandlungen aufnehmen will.

Derzeit ist die demokratische Opposition in Ungarn noch sehr gespalten: zunächst gründeten sich einige kleinere Bürgerbewegungen wie Milla, 4K!, etc., dann spaltete sich Ex-Premier Gyurcsány mit seiner Demokratischen Koalition von der MSZP ab, es folgte die Rückkehr Bajnais mit "Heimat und Fortschritt", das Zusammengehen mit Szolidaritás und Milla zur Wahlallianz “Gemeinsam 2014”, schließlich die Spaltung der "Dialog für Ungarn" von der grün-liberalen LMP, die sich jeder Kooperation verweigert. Auch die untergegangene liberale Partei SZDSZ erlebt, zumindest auf dem Papier ein Revival, Ex-SZDSZ-Chef Fodor gründete kürzlich - ohne strategischen Sinn - die Liberale Partei Ungarns. Wahlarithmetisch birgt nur die Einigung auf je einen Kandidaten pro Wahlkreis die - theoretische - Chance auf einen Erfolg 2014.

 

Während jedoch alle genannten Gruppierungen dem linksliberalen Spektrum zuzuordnen sind, die kaum Chancen haben, im Lager rechts der Mitte Stimmen zu gewinnen, hat Bokros Potential bei unzufriedenen Konservativen, denen Orbáns Politik zu falsch, sein Populismus zu plump ist, zu punkten. MOMA könnte so für einen Machtwechsel sehr wichtige Prozentpunkte aus den rund 50% potentiellen Nichtwählern für die Wahlen aktivieren und Orbán auf dessen eigenem Terrain, bzw. am "linken" Rand des Orbán-Spektrums wildern, immerhin ist die MOMA die erste (erwähnenswerte) nicht-linke Parteigründung seit dem Machtwechsel 2010.

Ob die Aktivierungskraft Bokros` jedoch für den Machtwechsel genügt, darf angesichts der treuen Fidsz-Stammwählerschaft, die bei rund einem Fünftel bis einem Viertel der wahlberechtigten Bevölkerung liegt und von denen ein viel höherer Anteil "bestimmt zur Wahl gehen" will, bezweifelt werden. Wenn man derzeit überhaupt von einer Strategie der Opposition sprechen kann, dann von dieser, dass sie offenbar so viele Sargnägel wie möglich sammelt, um dann gemeinsam die Macht Orbáns 2014 beerdigen zu können.

Die Facebookseite der neuen Partei:
http://www.facebook.com/momapart

red.

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