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(c) Pester Lloyd / 17 - 2013   FEUILLETON 26.04.2013

 

Mentale Umvolkung

Die Akademie der Wissenschaften in Ungarn legt Verbotskatalog für Straßennamen vor

Die Straßenumbenennungen sind nur die kosmetische Fortsetzung eines tiefergehenden Eingriffs, eines Kulturkampfes und einer mentalen Umvolkung, die das Bewusstsein der Menschen in eine ganz bestimmte Richtung und zu einer neuen Identität drängen soll. Mit dem Vorgehen stellt sich die Regierung ein weiteres Mal auf eine propagandistische Stufe mit den Systemen, deren Erinnerung (die ja auch Mahnung sein könnte!) man aus dem öffentlichen Leben verbannen will. Das Land läuft vor der eigenen Geschichte, letztlich vor sich selber weg. Es wurde bisher immer wieder eingeholt.

Eines von vielen neuen Denkmalen und anderen Ehrungen für den Massenmörder Horthy, der - im Pakt mit Hitler - die eigene Armee in den Untergang schickte, unter dem Regierungen Menschen an den Ostwall deportieren ließen, weil sie Kommunisten und/oder Juden waren, unter dem Massaker in besetzten Gebieten stattfanden, das Denkmal dieses “ungarischen Helden” wird von einem Reserveoffizier, einem “Husaren” und einem amtlichen Pfarrer und anderen Geschichtsoperettenstatisten eingeweiht. Am nächsten Tag fand man ein Schild “Kriegstreiber - Massenmörder” und rote Farbe an Horthy kleben, der Täter wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, denn Unrecht muss bestraft werden...

 

Die Akademie der Wissenschaften, von der Regierung zur Zensurkommission befördert oder - je nach Sichtweise - degradiert, hat eine No-Go-Liste für die Benennung von Straßen und öffentlichen Plätzen erstellt. Die Akademie erklärte, dass es sich um eine "Handlungsempfehlung" handelt, doch die Verwendung von Namen, die mit "diktatorischen Regimen in Verbindung gebracht werden können", ist in einem neuen Gesetz für Kommunalverwaltung untersagt, darin ist die Akademie "autorisiert" worden, "zweifelhafte Fälle zu entscheiden". Derer gibt es reichlich, zumal man die heikelsten Fälle ausspart, aus "Staatsräson".

Gorki geht nicht, Marx vielleicht, - keine Befreiung, dafür Fortschritt

Nach dem Papier sollen bestimmte Personen der Weltgeschichte, darunter auch der Schriftsteller Maxim Gorki, der Dichter Wladimir Majakowski, aber auch der Begründer der ersten ungarischen Republik, Graf Mihály Károlyi, in Zukunft aus dem öffentlichen Raum verbannt bleiben, auch Wörter wie: Pionier oder Partisan, Rat, Volksfront, Befreier oder Befreiung, Roter Stern sind danach nicht statthaft bzw. "nicht empfehlenswert". Andere Denker und Persönlichkeiten erfuhren eine gewisse Gnade, so dürfe Karl Marx verwendet werden, schließlich hat der Ökonom und Philosoph "nicht den real existierenden Kommunismus begründet, doch ist sein Name in Ungarn eng mit der Diktatur sowjetischer Prägung verknüpft." Wie sich dieser Vorbehalt in der Praxis umsetzen lässt, dazu lässt uns die professorale Zensurkommission allerdings im Unklaren, im Falle Károlyis tat man dies bereits einmal durch Weglassung des Vornamens... Auch Iwan Michurin, einem sowjetrussischen Evolutionsbiologen sowie dem kommunistischen Funktionär der Vorkriegszeit und Opfer des Horthy-Regimes, Zoltán Schönherz, wurde die Gnade der Akademie "unter Vorbehalt" zu Teil. Begriffe wie 1. Mai, Frieden, Fortschritt oder Republik seien auch genehm.

Von der Republik zum Gottesstaat: an diesem Platz ist der Wandel formal vollzogen

Namen, die historisch durchaus zwiespältig zu beurteilen sind, wie der Politiker Bajcsy-Zsilinszky, der mit der Gömbös-Partei arbeitete und eine offen rassistische Zeitung betrieb, dann aber auch gegen die deutsche Naziokkupation kämpfte, der jüdisch-kommunistische Journalist Leo Frankel sowie der Armendichter Attila József (dessen Denkmal man gerade vom Parlamentsplatz entfernt hatte) werden auch "unter Vorbehalt" gesehen. Ervin Szabó, ein Sozialrevolutionär und Bibliothekar ist auch gestattet, allerdings verleugnet die nach ihm benannte Hauptstädtische Bibliothek seinen Namen inzwischen.

Die Erinnerung an Roosevelt wurde getilgt, Reagan heißt der neue Held. Über die Iran-Contra-Affäre und andere Kriege reden wir nicht, denn der Antikommunismus adelt ihn...

Die gelebte Praxis überflügelt die Vorgaben

Die ganze Absurdität der Namensvorgaben zeigt sich u.a. am Beispiel Juri Gagarin. Der erste Mann im All ist genehmigt, allerdings war er, folgt man z.B. dem Ausschluss Majakowskis, eindeutig auch ein Repräsentant oder Diener der stalinistischen Sowjetunion. Die Akademie versucht mit ihrer Aktion einen allgemeinen Leitfaden zu erstellen, scheut sich jedoch, so heikle Themen wie die Herren Horthy, die antisemitischen Blut-und-Bodenschriftsteller und Nazipolitiker Wass oder Nyirö, die Anerkennung von "ganz Oben" erfahren, zu besprechen. Zudem werkelt jeder Bürgermeister an seinem eigenen Geschichtsbild, dabei sind teilweise nicht einmal offene Faschisten von Ehrungen ausgenommen.

Nach den groß angelegten Demontagen der Zeugnisse des Poststalinismus ab 1989, die im Statuen-Park vor der Stadt zu einem beliebten Touristenziel, weniger einem Ziel für die Einheimischen geworden sind, gibt es bereits seit 2010 im ganzen Lande, vor allem aber in Budapest massive Umbenennungen von Plätzen und Straßen. So musste der Moskauer Platz dem Széll Kálmán tér, nach einem "Reform"-Premier der vorletzten Jahrhundertwende weichen, was beim "strategischen Partner" im Osten einiges Stirnrunzeln auslöste. Der "Platz der Republik" ist nun nach einem polnischen Papst benannt, der Roosevelt Platz, der an einen Besuch des Ex-Präsidenten in Budapest erinnerte, wurde Széchenyi gewidmet, obwohl gefühlt bereits jede dritte Straße nach ihm heißt. Ronald Reagan bekam eine Statue, Elvis eine kleine Ecke, während man Graf Károlyi und Attila József am Parlament entfernte.

Das Denkmal von Graf Károlyi, belagert und geschändet von Jobbik-Nazi-Größen, mittlerweile entfernt. Károlyi, ein Adeliger und ein Linker, tat in etwa, was Friedrich Ebert in Deutschland tat, er rief die erste Republik aus. Die diktatorische Räterepublik kam erst danach durch Béla Kun. Die Schuld an Trianon, die haben nicht die kriegstreibenden Parteien oder die formidable, egoistische Bündnispolitik der ungarischen Magnaten auf sich geladen, die sich an Habsburg banden, um ihr Volk ungestört auspressen zu können, nein, die Juden warn´s, wie immer...

Die Akademie hat ihren Ruf nachhaltig beschädigt

Ein eigenes Kapitel stellen die Horthy-Statuen und Gedenktafeln, auch Parks und Plätze dar, die in etlichen Kommunen sprießen, aber auch an Unis Einzug hielten, genauso wie diverse Trianon-Gedenkareale, die offen revanchistische Ansprüche manifestieren. An das Thema wollten sich die Herren Professoren aber nicht heranwagen, denn Horthy ist heute Teil der "Staatsräson". Die Liste der Akademiker ist im heutigen Ungarn - so absurd sie in Summe ist - sogar noch als relativ liberal zu betrachten, die Praxis sieht viel konsequenter aus: eine Straße nach einem Linken, wenn auch mit patriotischen Ambitionen, dafür aber mit jüdischen Wurzeln zu benennen, das würde sich kaum ein Bürgermeister heute wagen. Die Akademie mag glauben, ihren ihr aufgenötigten Job mit Würde und ausgewogen erledigt zu haben, doch allein, dass sie ihn erledigte, hat ihren Ruf als unabhängige Einrichtung, der ohnehin beschädigt war, endgültig vernichtet. Liebedienerei, Feigheit und Angepasstheit der Wissenschaft. Kein neues Phänomen, aber ein weiteres bedenkliches Zeichen.

Die Regierung versucht die historische Generalabsolution des “Ungarntums”

Grundlage für die Geschichtsumschreibung, denn nichts anderes ist die "Bereinigung" von historisch gewachsenen Straßenbezeichnungen durch regierungsseitige Dekrete, die sehr an die ideologischen Vorgaben- im real existierenden Sozialismus erinnern, stellt das allgemein promotete revisionistisch-ahistorische Geschichtsbild der Regierungsparteien Fidesz-KDNP dar, das die Horthy-Ära - angeblich die ungarischen Unabhängigkeitsbestrebungen repräsentierend - als löblich und erstrebenswert reinwäscht, während Nazi- und Stalinistendiktatur nicht nur auf die gleiche Stufe gestellt, sondern auch als weitgehend von außen aufgedrückte Systeme dargestellt werden, die mit dem ungarischen Wesen nichts zu tun haben und daher darin auch kaum ungarische Schuld entstanden ist. Mehr zu den konkreten Verbrechen unter Horthy und dem regierungsaffinen Geschichtsbild lesen Sie hier im Beitrag: Horthy, die Juden, der Minister und sein Onkel - Eine Geschichtsstunde mit dem Wirtschaftsminister von Ungarn

Auch die ständische Dividierung der Gesellschaft, das an feudale Strukturen angelehnte Wirtschaftssystem der Horthy-Zeit, erkennt man im heutigen sozio-ökonomischen Gebaren der Orbán-Regierung wieder. Zu Horthy aber durfte sich die Akademie gar nicht äußern, denn die Begründung der Horthy-Legende hat für die Regierung Orbán (“Horthy war sicher kein Diktator”) nicht nur selbstrechtfertigenden Charakter, sondern folgt auch dem wahltaktischen Kalkül, die Regierungspartei für Sympathisanten des rechten Randes mit diesem völkisch-nationalistischem Tant wählbar zu machen. Das geht mitunter so weit, dass Jobbik-nahe Garden zusammen mit Fidesz-Ortsgrößen auftreten und politische Podiumsdiskussionen zwischen Fidesz und Jobbik stattfinden, während man mit der demokratischen Opposition möglichst kein Wort wechselt.

Diese Schaukelpolitik mit den Neonazis in Ungarn, die laut Gericht und Medienrat nicht einmal mehr so genannt werden dürfen, ist ein aktives Erbe der Horthy-Zeit und spiegelt sich u.a. auch im inkonsequenten Umgang mit Neonaziaufmärschen und dem Verbot rassistischer Hetze, das zwar existiert, aber kaum je durchgesetzt wird, zumal, wenn die Täter aus den eigenen Reihen stammen, wie die Fälle Kövér und Bayer, unter anderem, belegen. Auch die Umschreibung der ohnehin schon fachlich unterirdischen Geschichtsbücher für die Pflichtschulen dienen diesem Zweck nationaler Verklärung und Neuerfindung, ebenso wie die permanente Diffamierung alles Liberalen, Linken, Grünen, Nicht-Ungarischen und die "nationale Säuberung" der Kulturinstitutionen durch eine offen antisemitische und streng nationale Vorgaben leistende Leitung der "Akademie der Künste". Ja, nicht einmal der Premier selbst schreckt vor offenen Blut-und-Boden-Reden zurück, ganz abgesehen von seiner andauernden politischen Frömmelei, die in “Gottes Gesetzen” die Lösung aller Probleme erkennen will.

Die Straßenumbenennungen sind also letztlich nur die kosmetische Fortsetzung eines tiefergehenden Eingriffs, eines Kulturkampfes und einer geistigen Umvolkung, die das Bewußtsein der Menschen in Ungarn in eine ganz bestimmte Richtung lenken soll. Letztlich soll eine neue Identität, ja ein neuer Mensch entstehen. Das kennt man schon. Mit den Maßnahmen stellt sich die Regierung auf eine propagandistische Stufe mit den Systemen, deren Erinnerung (die ja auch Mahnung sein könnte!) man aus dem öffentlichen Leben verbannen will. Das Land läuft vor der eigenen Geschichte, letztlich vor sich selber weg. Es wurde bisher immer wieder eingeholt.

m.s.

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