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(c) Pester Lloyd / 18 - 2013   POLITIK 29.04.2013

 

Langer Marsch ins Nichts...?

Allianz der Opposition in Ungarn beginnt mit fatalem Zeichen - Eine kritische Analyse

Die Erstellung gemeinsamer Kandidatenlisten der demokratischen Oppositionsparteien, eine der wichtigsten Voraussetzungen, um 2014 überhaupt eine Chance gegen die Orbán-Parteien zu haben, rückt näher. Doch schon bei der Abstimmung einer glaubwürdigen Programmatik und der Sammlung der zersplitterten Kleinstparteien zur Aktivierung frustrierter Wählerschichten bleibt noch immens viel Arbeit. Die könnte jedoch völlig nutzlos werden, wenn man tatsächlich Ex-Premier Gyurcsány ins Boot holen will. Und dann wäre da noch der politische Gegner...

G2014-Chef Bajnai und MSZP-Kollege Mesterházy am Wochenende nach ihren Beratungen

MSZP und G2014 suchen nach gemeinsamen Kandidaten
und wollen sich nicht mehr auf den Schlips treten

Die größte parlamentarische Oppositionspartei, MSZP, hat auf einer erweiterten Vorstandssitzung am Samstag die Marschrichtung für die Wahlkampagne Richtung 2014 vorgegeben. Gleichzeitig einigte sich Parteichef Mesterházy mit dem Vertreter der wichtigsten außerparlamentarischen Oppositionsbewegung, der Wahlallianz Gemeinsam 2014 von Ex-Premier Bajnai grundsätzlich auf eine Kooperation, die als wichtigsten Punkt beinhaltet, dass beide Gruppen jeweils nur einen gemeinsamen Kandidaten pro Direktwahlkreis stellen werden, um so die Chancen auf einen Sieg über den jeweiligen Kandidaten der Regierungspartei zu erhöhen. Um ein Direktmandat, die im kommenden, stark verkleinerten Parlament fast 2/3 aller Mandate ausmachen werden, zu erlangen, genügt künftig die realtive Mehrheit in einem Wahlgang (früher die absolute in max. 2 Wahlgängen).

Auch wolle man in Zukunft verhindern, sich gegenseitig bei politischen Aktivitäten Konkurrenz zu machen und sich auf den Schlips zu treten, in dem man dem jeweils anderen ständig belehrende Botschaften über die Medien überbringt (u.a. dazu, wer hier den Hut auf). Bei Zwischenwahlen wolle man sich zudem abstimmen, welcher Kandidat wohl am aussichtsreichsten ist.

Gyurcsány ist das Problem, nicht Teil der Lösung

Interessant und einigermaßen verstörend war die Äußerung Bajnais, dass man zwar die Hauptallianz mit der MSZP schmieden wolle, aber auch eine Kooperation mit der "Demokratischen Koalition" DK, von Ex-Premier Gyurcsány, nicht ausschließt. Dieser jedoch gilt, aufgrund seiner Performance als Premier von 2006-2009, seines allgemein diskreditierten Ansehens sowie seines sektenartigen Gehabes mit seiner DK (einer Abspaltung aus der MSZP) als Haupthindernis für die Mobilisierung nicht dezidiert linker Parteiwähler sowie als Hemmschuh für die Kooperation mit anderen linken, liberalen und bürgerlichen Gruppen.

Eine klare Abgrenzung von ihm wäre der wichtigste Schritt, Wähler im Nichtwählerbereich zu reaktivieren, denn nur über diese ist Fidesz zu besiegen, zumal auch ein großer Teil der Gyurcsány-Anhänger (3-4%) im Zweifel 2014 eher taktisch stimmen würden als ihre Stimme unbedingt für ihren Guru zu verschwenden. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Regierungs-Rhetorik von der "Gyurcsány-Bajnai"-Ära vor Übertreibungen, auch Lügen nur so strotzt. Es sollte aber auch kein Zweifel daran bestehen, dass Gyurcsánys Wirken sowohl Orbán als auch die Politikverdrossenheit einer guten Hälfte des Landes zu großen Teilen geschaffen bzw. befördert hat. Er wäre auch ohne Fidesz vom Volk zum Teufel gejagt worden...

Auf der Suche nach dem Gelben vom Ei. Unsere Illustration zur Analyse des Zustands der Opposition vor einem halben Jahr trifft auch noch für heute zu.

Zersplitterte "Truppenteile" der Opposition

Zu einigen gibt es im oppositionellen Spektrum abseits von MSZP und Gemeinsam 2014 noch viel: da wären z.B. die sehr eigensinnige unggefähr grün-liberal-bürgerrechtliche LMP (ebenfalls gespalten, ein Teil der LMP ist als “Dialog zu Ungarn” zu Bajnai übergelaufen), die am liebsten zu allen gleiche Distanz waren will, koste es auch das politische Leben, die "linkspatriotische" 4K!, die sich auch noch ziert mit den "Vertretern des althergebrachten Parteiensystems" ein Bündnis einzugehen, sodann etliche Splittergrüppchen aus dem alternativen bis sozialdemokratischen Spektrum, die kaum der Rede Wert sind, dann die neue liberale Partei von Ex-SZDSZ-Chef Fodor, bei der keiner weiß, wieso sie überhaupt auch noch gegründet wurde und auch die gerade gegründete "bürgerliche, marktwirtschaftliche, pro-europäische" MOMA von Ex-MDFler und Ex-Finanzminister Bokros, die als einzige im (gemäßigt) bürgerlichen Lager wildern könnte.

Die in der Kriegsführung bewährte Taktik "getrennt marschieren, vereint schlagen", funktioniert jedoch nur, wenn sich die vielen "Truppenteile" rechtzeitig in erkennbarer Formation und mit einem gemeinsam Plan einfinden, was momentan als eher unwahrscheinlich gilt. Das Zeichen, Gyurcsány könnte tatsächlich als kooperabel betrachtet werden, wäre fatal und könnte - ganz zu Recht - alle anderen Anstrengungen zu Nichte machen, denn darin manifestiert sich die Verweigerung einer Erneuerung, viel mehr noch die Verweigerung des unausweichlichen Bekenntnisses, dass es nicht mehr so werden darf, wie es war.

Die Komitats- bzw. Kommunalstrukturen von MSZP und G2014 sollen nun im Einzelnen die jeweils aussichtsreichsten Kandidaten in den Wahlkreisen erkunden, ein Vorgehen, das - neben einer überzeugend formulierten und transportierten Programmatik - letztlich entscheidend für das Abschneiden bei den Wahlen im Frühjahr 2014 sein wird, bei dem jedoch alle Experten, auch die ernstzunehmenden, von einem erneuten klaren Sieg der Orbán-Parteien ausgehen.

Die MSZP versteht nicht, warum sie für so viele unwählbar ist

Die MSZP, die es - ganz im Geiste der neuen Kooperation mit G2014 - das Thema "Spitzenkandidat" aufs Trapez zu heben, nimmt sich nun vor, sich vor allem um die "alltäglichen Probleme" der Menschen zu kümmern, was für die "Sozialisten" offenbar eine ganz neue Regung darstellt. Man woll die Fragen der Arbeitslosigkeit und des Sozialabbaus angehen, werde aber auch weiter auf "rassistische und antisemitische Äußerungen" hinweisen. Neben der Mobilisierung der Kernwählerschaft wolle man über die soziale Frage auch bei den "Unentschlossenen" Zugänge eröffnen, wobei sich hier die Frage stellt, ob das nicht viel eher das Revier von G2014 sein müsste, weil für die rund 50% Politikmüden die "Sozis" schon oft per se als unwählbar gelten, da sie nichts weiter als die andere Seite der Medaille eines Systems repräsentieren, das sich für sie - so oder so - nie in klingender Münze auszahlt.

Gyurcsány und eine Bande Neonazis sind die Machtgaranten Orbáns

In diesem Zusammenhang ist auch die Rolle der neonazistischen Jobbik nicht zu unterschätzen, die in einigen (nicht so wenigen) Wahlkreisen mit Fidesz um Platz 1 buhlt, sich dort die Frage der demokratischen Opposition über den aussichtsreichsten Kandidaten praktisch gar nicht stellt. Sollte sie landesweit wieder ein Ergebnis wie 2010 einfahren - und die Umfragen sehen das als wahrscheinlich an - ist die erneute absolute Macht der heutigen Regierungsparteien (auch wegen des noch verstärkten Mehrheitswahlrechts) ohnehin fix. Halten wir fest: Gyurcsány und eine Bande Neonazis sind die wichtigsten parteipolitischen Machtgaranten Orbáns.

Zu langsame Annäherung an die Realität

Mesterházy glaubt jedenfalls "fest" daran, dass es gelingt eine "gemeinsame Kandidatenliste" der "demokratischen Opposition" zu erstellen. Schon vor Monaten sah er ja den Sieg zum Greifen nahe, davon mochte er so direkt jetzt nicht mehr sprechen, insofern scheint der MSZP-Chef sich ganz langsam der Realität zu nähern, was auch auf vielen anderen Gebieten der politischen Arbeit, aber auch bei der Selbstreflexion und Vergangenheitsaufarbeitung, auch der personellen, noch aussteht. In Summe hat sich der Zustand der Opposition in Ungarn seit 2010 kaum und seit einem halben Jahr, trotz Auftretens der Bajnai-Bewegung, nicht geändert. Das ist viel zuwenig für den angestrebten Macht-, Politik- und Regimewechsel.

Machivellistisches Imperium, bestens gerüstet und rücksichtslos

Und da haben wir über den Gegner noch gar nicht gesprochen: der ist umso besser gerüstet: als gleichgeschaltete Ein-Mann-Partei sind seitens Fidesz-KDNP keine Rücksichten auf interne Opposition, demokratische Entscheidungsfindungen oder Koalitionsbildung zu nehmen, die argumentative Wahrheit wird ausgeblendet, der wirtschaftliche Niedergang der Mehrheit, die sozial-ökonomische Ausgrenzung der “unteren” Stände im Orbánschen Ständestaat mit einem Stellvertreterkrieg, ja Glaubenskrieg mit Prügelknaben und Fremdschuldigen weggekämpft, die Debatte und gesellschaftliche Kommunikation durch eingängige Kampfparolen ersetzt.

Die Propaganda zielt auf den Gegner, der natürlich nichts anderes als eine antionationale Hasskampagne fährt, die den Frieden im Lande gefährdet. Angst schüren war schon immmer ein bewährtes Muster, während die Politik auf die im "nationalen Geiste" Verbündeten vom rechten Rand zielt, die man durch inhaltliches aber auch formales Entgegenkommen, also durch teilen, auf vielen, viel zu vielen Ebenen, zu beherrschen und so die nicht ganz so zum Extrem neigenden Anhänger auf seine Seite zu ziehen versucht. Dass es dabei Kolletarlschäden gibt, die die Reputation des gesamten Landes in den Dreck ziehen und Geister rufen, die man bald nicht mehr los wird, wird in Kauf genommen. Die Prämisse heißt Machterhalt.

Tugend braucht einen langen Atem

 

Diesem machivellistischen Imperium, das zudem schamlos aus allen öffentlichen Ressourcen auch außerhalb der Partei schöpft, bei gleichzeitiger massiver Beschränkung der medialen und finanziellen Mittel (geplant sind max 3.000 EUR Wahlkampfkosten pro Kandidat...) der Opposition, ist eine - zumindest in Teilen - demokratisch ausgerichtete Allianz von Unten zunächst zwangsläufig unterlegen. Dies sollte aber nicht zu dem Schluss führen, dass sich die Opposition den Methoden und Argumenten ihres politischen Gegners annähern muss, sondern, dass auch Geduld und die Gewissheit, dass Aufrichtigkeit und Wahrheit langen Atem brauchen, Tugenden der Politik sein müssen, wenn sie nicht nur für die beteiligten Parteien, sondern auch für die betroffenen Bürger von Erfolg gekrönt sein soll.

Dazu aber müssten die Träger dieser Botschaft selbst Aufrichtigkeit und Wahrheit repräsentieren, ein nicht nur für Ungarn wahrlich naiv klingender Wunsch, der die Perspektivlosigkeit der heutigen Opposition schmerzhaft aufzeigt und die Hoffnung auf die Evolution Ungarns zu einer halbwegs balancierten, normalisierten Gesellschaft aus selbstbestimmten Bürgern - wie schon so oft - wieder für viele Jahre auf Eis legt.

m.s.

Der Wasserstand aktuell in der Sonntagsfrage (Durchschnitt der wichtigsten Umfrageinstitute +/-, daher Summe nicht gleich 100): Fidesz-KDNP 48% (genügte bei entspr. Erststimmenergebnis für 2/3 der Mandate), MSZP 23, Jobbik 17, G2014 8, LMP 4, DK 3, sonstige jeweils 1 bzw. <1)

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