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(c) Pester Lloyd / 18 - 2013   POLITIK 05.05.2013

 

Schnapsideen

Jeden Freitag erklärt Orbán den Ungarn die (seine) Welt

In der freitäglichen Radiosendung "180 Minuten" hat Premier Orbán einmal mehr ein Feuerwerk Orwellschen Neusprechs gezündet. Politische Lüge, Unterschlagung oder Leugnung von Fakten, Umdeutung, Schuldumkehr, kurz, es war wieder eine Demonstration seiner unangefochtenen innenpolitischen Stärke. Dabei ist es ganz gleich, ob es um EU-Vertragsverletzungsverfahren, das Haushaltsdefizit, die Gerichtsbarkeit, Schnaps oder Zigaretten geht: Orbán hat auf alles eine Antwort und es muss immer das ganz große Kaliber sein.

Einen kleinen Leitfaden des Orbánschen Neusprechs, samt Vokabelliste, haben wir in diesem Beitrag erarbeitet: Das philosophische Quartett oder: Porno mit Konfuzius

Orbán konterte die aktuellen Verwarnungen und Entwicklungen auf EU-Ebene zunächst mit seinen üblichen Phrasen: Ungarn habe erfolgreich sein Defizit gesenkt und "performt besser als andere". Wenn also “die EU zu ihrem Prinzip der Gleichbehandlung” stünde, müsste es das Defizitverfahren aufheben. Anderen Ländern erlaube man schließlich größere Abweichungen, die Behandlung gegenüber Ungarn sei daher schlicht "ungerecht". Orbán erwähnte nicht, dass die anderen Länder von Anfang an auch mit der EU kooperierten, während seine Regierung vor allem 2011/2012 ein ums andere Mal Fristen zu Stellungnahmen und Vorschlägen einfach verstreichen ließ.

Auch die Initiative des Europarates, die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn mit einem Monitoring-Komitee näher zu beschauen, sieht Orbán als "Attacke", die beweise, dass "Europa den Respekt vor den Bürgern von Nationalstaaten nicht garantiert", so der Premier in seiner freitäglichen Radiosendung "180 Minuten" auf dem staatlichen Kossuth Rádió. Dort würden Urteile gefällt, ohne dass jemand über die ungarischen Regularien bescheid wüsste. Wie sich der ungarische Vertreter beim letzten Besuch der Venedig-Kommission produzierte, kann hier nachgelesen werden. Zum Thema "Respekt vor den Bürgern" wäre hier noch etwas gesagt: Das Volk als Waffe, der Bürger als Statist.

Hinter allem, was in der EU "gegen Ungarn" geschieht, stecke die "Rache der internationalen Konzerne", die in Ungarn nun größere Bürden tragen müssten, weil seine Regierung sie "gerechter an den Kosten der Krise" beteilige als das anderswo geschieht. "Sie können uns nämlich hinsichtlich demokratischer Standards nicht einen einzigen Fehler nachweisen! (kurze Pause) Was ihnen weh tut, ist, dass multinationale Unternehmen nicht mehr hunderte Millionen Forint aus dem Land tragen können, wie sie das problemlos während der Sozialistenregierung taten, von der sie dazu sogar noch ermuntert wurden. Das ist nun vorbei und die Milliarden werden hier bleiben, deshalb ist Ungarn das Subjekt ihrer Rache", so Orbán. Auf das Wegtragen von Gewinnen kommen wir am Ende des Textes nochmal zu sprechen. Interessant an Orbáns Ausführungen zum Defizitverfahren war auch, dass er sie machte, noch bevor (!) die EU ihre Stellungnahme am Freitag tätigte, denn "die EU war schon oft so unfair".

In der Radiosendung, die im Volksmund als "Freitagspredigt" bekannt und vor allem an die eigenen Anhänger gerichtet ist, kaprizierte sich der Premier auf ein weiteres, jüngst eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren hinsichtlich der Nicht-Besteuerung von selbstgebranntem Pálinka (wegen der 2 unterschiedliche Mehrwersteuersätze auf Alkohol entstehen, was nicht erlaubt ist), die seine Regierung bis zu einer äußert großzügigen Obergrenze des Eigenbedarfs, einführte. Da dieser Pálinka "nur aus ungarischen Früchten" gebrannt werde, gehe die ganze Sache die EU überhaupt nichts an, sei nur eine Lobby-Aktion und Schnapsidee der Spirituosenhersteller und Großkonzerne und man sei daher bereit, dieses "traditionelle Rechte des ungarischen Landmannes" (so Orbán an anderer Stelle) auf vor dem Europäischen Gericht zu verteidigen. Mehr in: Kulturgut Suff.

Den durch die Publikation eines Abhörprotokolls wieder aktualisierten Fall der Absprache eines Geheimdienstleiters unter der sozialistischen Regierung mit einer Unterweltgröße - zum Zwecke der Diskreditierung des politischen Gegners - erklärte Orbán in seiner Radioverlautbarung zu einer Priorität. Hier müsse volle Aufklärung geschaffen werden, "andernfalls bleibt die Demokratie brüchig". Für ihn habe die ganze Sache "einen kommunistischen Geruch", daher müssten hier alle Details ans Licht. Mehr zu dem Fall, der gar nicht so eindeutig gelagert ist, wie ihn die Regierung heute darstellt, in: Geheimer Dienst.

Auch auf den für das allgemeine Publikum wohl größten Skandal der Orbánschen Amtszeit, nein, nicht die Einparteienverfassung, sondern die Vergabe der Tabakhandelslizenzen, ging der Premier in der Radiosendung ein und lieferte hier sein dieswöchiges Meisterstück ab: Er glaubt, dass die Reduktion der Verkaufsstellen durch das Staatsmonopol von 44.000 auf 5.000 die "rauchbedingten Todesfälle reduzieren" wird. 35.000 Ungarn würden jedes Jahr am Rauchen sterben, ein Viertel der Jugend raucht - und zwar wegen des "unkontrollierten Zugangs" zu Tabakwaren. Zum Vorwurf, dass die Konzessionen für die Trafiken - nachweislich - flächendeckend unter Fidesz-Freunden und -vettern verschoben worden sind, sagte Orbán überhaupt nichts, zuvor kommentierte er die Angelegenheit lediglich mit dem Satz, dass es ihm egal sei, ob ein Tabakhändler rechts oder links ist. Dass das arme Würstchen von Fragesteller nicht nachhakte, kann man ihm kaum verübeln, siehe hier.

 

Den garantierten Gewinn von 12%, den er per Eilgesetz den neuen Tabakbaronen zukommen ließ (selbst sein Adjudant Lázár wollte zunächst nur 10%), als sich herausstellte, dass die Lizenzen wirklich an die "Richtigen" gegangen sind, nannte er: "eine fairere Verteilung des Gewinns im Rahmen der nationalen Politik der Unterstützung lokaler Geschäftsinhaber". So könnten nun die "ungarischen Kleinunternehmer doppelt so viel Profit machen wie zuvor", so Orbán im Stolze der Gewissheit, es den Multis mal wieder gezeigt zu haben. Diese waren zwar nie im Zigaretteneinzelhandel in Ungarn engagiert, aber egal. Und ohnehin würden alle Konzessionsverträge öffentlich gemacht, sagte Orbán und flog zu einer Konferenz ins portugiesische Estoril. Mehr zum Thema in: Rauchzeichen des Widerstands - Tabakhandelsskandal weitet sich zur Staatsaffäre aus.

red.

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