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(c) Pester Lloyd / 20 - 2013   GESELLSCHAFT 14.05.2013

 

Der Best-practice-Zigeuner

Wie ein Roma als Bürgermeister in Ungarn seinen Ort umkrempelt

Dass die "Romastrategie" funktionieren kann, beweist Bürgermeister László Bogdán im südungarischen Cserdi, weil er aus der "nationalen" eine "lokale" Strategie machte und weil er selbst Roma ist. Er versteht und spricht die Sprache, die Roma respektieren ihn, weil er sie respektiert, viele "Magyaren" im Ort sehen ihn als Problemlösung, nicht als Gegner, immerhin. Selbermachen ist seine Haupt-Devise und der Erfolg gibt ihm - bei allen Schwierigkeiten - recht. Viele haben nun erstmals überhaupt eine Perspektive. Dabei geht er mit den eigenen Leuten mitunter sehr ruppig, ja schon autorassistisch um: mit religiösem Eifer erzieht er sie um, Horrortrip in den Knast inklusive.

Der kleine Ort Cserdi bei Pécs ist sehr gewöhnlich, optisch, aber auch sozial. Hier "die Ungarn", da "die Zigeuner". Alle zusammen gerade 400 Seelen. Friktionen gab es wie anderswo auch, Hass auf der einen Seite; Vandalismus, Diebstähle, auch Gewalt auf der anderen Seite, zumindest von einem Teil, aber der genügte schon für den Hass gegen alle. Dann marschierten die Nazi-Garden. Viele der Orte, in denen diese Jobbik-Banden auftauchten, wählten sich später einen Rechtsradikalen zum Bürgermeister, der Ordnung schaffen sollte. Nicht so in Cserdi, László Bogdán ist selbst Roma und seit 2006 im Amt. Cserdi ist doch nicht so gewöhnlich, eher ein Unicum.

Kann zuhören und zupacken: László Bogdán, Bürgermeister von Cserdi, unweit von Pécs

Von 170 Diebstähle zu ein paar geklauten Trauben

Bogdán hat viel geschafft, seit 2002 war er Vizebürgermeister, seit 2006 ist er Bürgermeister. Rund die Hälfte der 400 Einwohner von Cserdi sind Roma wie er, aber die Arbeitslosigkeit bei ihnen lag 2005 um die 90%, heute ist es ein Drittel weniger. Pro Jahr gab es früher 170 angezeigte Diebstähle und Einbrüche, die größte Straftat im Vorjahr waren nur noch ein paar geklaute Trauben, berichtet Bogdán nicht ohne Stolz. Regelmäßige Bürgerforen sollen die Probleme auf den Tisch bringen, bevor sie eskalieren. "Brücken bauen" heißt das Motto, sinnbildlich und wörtlich. 2008 ließ Bogdán eine Brücke über einen Graben errichten, der "das Ghetto" mit dem Ortskern verbindet.

Doch über Jahrzehnte angehäufte Probleme, eine asozialisierte Gemeinschaft, Vorurteile auf beiden Seiten, die schafft man nicht von Heute auf Morgen ab, es braucht seine Zeit, bis aus den Roma des Ortes selbst- und pflichtbewußte Bürger werden, bis auch die Nicht-Roma zumindest wieder zur Akzeptanz bereit sind. Immerhin sei er aber der Beweis, dass Führungsqualitäten nicht von der Herkunft abhängen. Er kümmert sich so gut er kann um jeden Fall, will es nicht hinnehmen, dass Familien mit vielen Kindern von vornherein benachteiligt werden. So bereiten nun die Omas die Kleinen in Kursen auf die Schule vor, das funktioniert, sagt Bogdán, er hat kaum noch Schulschwänzer, die Noten werden besser, freuen sich Lehrer und Eltern.

Praktisch und symbolisch: Eröffnung einer Brücke zwischen Roma-Ghetto und Ortskern...

Wo ein Wille ist, ist auch ein Mangalica

Auch in Cserdi werden die
berüchtigten kommunalen Beschäftigungsprogramme des Innenministeriums umgesetzt, doch nicht - wie fast überall im Lande -, um die Leute zu beaufsichtigen und herumzukommandieren, sondern um jenen, die gar nichts haben, eine Arbeit und damit Teilhabe an einer Gemeinsacht zu ermöglichen - und natürlich auch etwas Geld. "Ohne Arbeit gibt es kein Geld", macht Bogdán allen klar. Doch im Unterschied zur gleichlautenden Regierungsparole, kümmert sich Bogdán auch um die Arbeitsplätze. Die finanziell bescheidenen Mittel für die Programme kommen aus der Zentrale, die Umsetzung ist Kommunalangelegenheit.

Eigentlich ist Bogdáns Engagement nur die Manifestation einer denkbaren Normalität, doch gerade deshalb ist sie heute in Ungarn so etwas ganz besonderes.

In Cserdi tat sich einiges, auf 40 ha Gemeindeland zieht der Ort einen eigenen kleinen Landwirtschaftsbetrieb auf: Kartoffeln, Zwiebeln und andere Gemüse gibt es hier, Mangalica-Schweine in Freilandhaltung. Wer arbeiten will, kann hier Arbeit finden, sagt der Bürgermeister. 15 Hektar Wald gehören zur Gemeinde, sogar Weinberge. Fast 100 Häuser hat man - in Gemeinschaftsarbeit - renoviert, unabhängig davon, wem sie gehören, die Frage war nur, ob er mithilft und ob Bedarf bestand. Später kam ein Laden hinzu, Groß- und Einzelhandel mit den eigenen Produkten, auch selbst errichtet. Zur Eröffnung reiste sogar ein Staatssekretär an, auf das positive Image wollte die Politik mit drauf, das Dorf lebt ja die "nationale Romastrategie", eben weil sie nicht national, sondern lokal herangeht. Doch Lehren für andere Orte hat der Staatssekretär daraus nicht gezogen. Cserdi bleibt ein Unicum.

Kampf gegen Stereotypen und schlechte Traditionen

Cserdi hat saubere Straßen, der Friedhof wurde renoviert, der Fußballplatz erneuert, auch Dank eines zinslosen Kredites der Regierung, die Kneipe aber musste zumachen, das Verbot für Geldspielautomaten habe dem Wirt das Genick gebrochen, heißt es. Immer wieder gab es dann Konflikte, Jugendliche spielten laute Musik auf der Straße, Nachbarn beschwerten sich, die Stimmung begann zu kippen. Die ganze Gemeinde packte mit an, um eine 160 Quadratmeter große Gemeindehalle zu errichten, hier ist nun Platz für alle, zu unterschiedlichen Zeiten, versteht sich. Erst im März gab es wieder ein Konzert "gegen Rassismus". Es war gut besucht.

Bogdán, der Vorzeigebürgermeister kam öfter im ungarischen Fernsehen vor, gilt als "best practice"-Beispiel. Er wollte sich mit beidem nicht abfinden, nicht mit den "schlechten Traditionen" seines Volkes, aber auch nicht mit den "Stereotypen", die bei der Mehrheit über die Zigeuner herrschen. Selbermachen war sein Motto, keiner würde etwas ändern, wenn sie es nicht selbst tun. Es ist offensichtlich, wie wichtig es ist, dass der Bürgermeister als Dreh- und Angelpunkt einer Gemeinde, die Sprache der Einwohner spricht, Bogdán ist gerade 40, er versteht die Jungen wie die Alten, die Roma fühlen sich durch ihn vertreten und "die Ungarn" trauen ihm bei den "Problemfällen" Kompetenz zu, zumindest jene, die noch nicht völlig von der rassistischen Ideologie betäubt worden sind. Eigentlich ist Bogdáns Engagement nur die Manifestation einer denkbaren Normalität, doch gerade deshalb ist sie heute in Ungarn so etwas ganz besonderes.

Während anderswo Horthy- und Trianondenkmäler entstehen, entsteht in Cserdi ein Denkmal an die Deportationen von Juden und Roma im Holocaust, gebaut von Roma des Ortes im Rahmen der kommunalen Beschäftigungsprogramme. Hier wird gezeigt, dass es nicht nur darauf ankommt, was gemacht wird, sondern wie man es macht und wer es macht...

Traditionelles Romadorf als nächstes Projekt

Bogdáns nächstes Projekt kostet fast 1,7 Mio. EUR, er hofft auf Staats- vor allem EU-Gelder, der Antrag läuft. Er will eine Roma-Skanzen errichten, ein traditionelles, historisches Zigeunerdorf, so wie es die Magyaren in Szentendre und auch anderswo für ihre Kultur gebaut haben und betreiben. Es soll eingebettet sein in die Landschaft, von der Geschichte und den guten Traditionen seines Volkes berichten, richtiggehende Gehöfte mit Landwirtschaft werden entstehen, am Lagerfeuer soll es typische Speisen und Getränke geben, Kartenlesen inklusive. Er hofft auf viele Familien, die zu Besuch kommen werden, vielleicht sogar Schulen, denen man Führungen machen, das Bild über die Zigeuner selbst gestalten kann. Romafestivals sollen abgehalten werden und ein paar Arbeitsplätze wird das Projekt auch wieder schaffen und das ist immer noch das Wichtigste von allem. Stimmen wurden laut, dass Gelder womöglich abgezweigt werden, sich die "Familie" des Bürgermeisters ein Zubrot verdient. Ob es Neider sind oder Besorgte? Bewiesen ist es nicht, ausszuschließen schon gar nicht. Nicht weil Bogdán Roma ist, sondern weil Ungarn Ungarn ist.

Schocktherapie im Knast: Rassismus gegen sich selbst?

Bogdán kann mit den eigenen Leuten auch resolut werden, denn auch sein Ort ist natürlich nicht frei von Kriminellen und Gefährdeten. “Ein Schwabendorf werden wir wohl nicht”, lacht er in eine Kamera. So resolut kann er werden, dass er gegen sein eigenes Volk zum Rassisten wird. Am vergangenen Freitag kutschierte er zwei Dutzend Angehörige der, seiner Romaminderheit ins Gefängnis der Komitatshauptstadt. Nach einem Rundgang durch die Zellen mit Eisenbett, Tisch und Toilette, kam der Höhepunkt: im Rahmen einer Schocktherapie ließ der Bürgermeister einen pensionierten Polizeioffizier darüber referieren, was einen Insassen hier alles außer dem Weggepserrtsein noch so erwartet: sexuelle Belästigung, Vergewaltigung und Prügeleien, die Selbstmordrate sei höher als draußen und so weiter.

Das Ziel sei es "den Zigeunern vor Augen zu führen, was sie erwartet, wenn sie kriminell werden", sagte er offenherzig gegenüber eine Lokalzeitung und der Ausflug war dar nur der "Höhepunkt" einer Serie von "Lektionen", denen er den martialischen Titel "Teufelsaustreibungen" gab, sehr milde übersetzt, auf Ungarisch klingt es noch etwas ordinärer. Dass an diesem Programm nur Roma teilnehmen, als ob nur sie als potentielle Straftäter in Frage kommen, was ja Rassimus gegen sich selbst demonstriert, diese Frage stellt sich für Bogdán nicht. Er verweist auf den Mordfall Kata Bándy, eine junge Polizistin, die vor wenigen Monaten, hier in Pécs, bestialisch getötet wurde, der Mörder war ein Angehöriger der Roma-Minderheit. Er will seine Leute vor diesem Weg bewahren.

Ohne höhere Mächte gehts wohl nicht....

 

Das Lokalblatt, dass Bogdán und seine potentiellen Delinquenten begleitete, zitiert die Teilnehmer mit den Worten, dass sie nach diesen "deprimierenden Einblicken" "froh" seien, "wieder draußen zu sein." - "Da drinnen gibt es keinen Gott, man soll wirklich tausendmal nachdenken, was man tut..." sagte ein anderer. Offenbar ging die Rechnung des Bürgermeisters auf, der schon an anderer Stelle formulierte, wie wichtig ihm eine Belebung des religiösen Lebens sei. Der Ausflug mit dem Einblick in die "Hölle auf Erden" war offenbar also ein "voller Erfolg." Ohne höhere Mächte scheint es auch in Cserdi nicht zu gehen.

Vielleicht fährt der Bürgermeister seine Bürger, Roma und Nichtroma, vor der nächsten Wahl, anstatt in den Knast, einmal nach Gyöngyöspata oder in einen anderen Ort mit Jobbik-Bürgermeister und lässt ein paar Einwohner berichten, die Zustände dort dürften - für beide Seiten - die beste Gewaltprävention sein, ein Blick
die reale Hölle auf Erden sozusagen. Auch Ausflüge in Fidesz-geführte Orte oder zu Minister Balog könnten nicht schaden, dort würden die Cserdianer von zu Hause berichten und manch einer versteht dann vielleicht, warum die "nationale Romastrategie" woanders nicht funktioniert...

red. / M.S.

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