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(c) Pester Lloyd / 22 - 2013   MEDIEN 27.05.2013

 

Kurz vor Sendeschluss?

Neue Werbesteuer in Ungarn gefährdet Medienvielfalt weiter

Mit der Zusatzsteuer auf Anzeigenumsätze, bei Print-, Online-, TV- und Rundfunkwerbung will die ungarische Regierung weitere 35 Mio. EUR im Jahr einnehmen. Es ist die zwanzigste neue Steuer, die sich die Orbán-Regierung seit 2010 erdacht hat, um das Budget und das Defizit in den Griff zu bekommen. Für kleine, unabhängige Medien kann und wird sie das Aus bedeuten, ein Rückzug der großen Privatsender RTL Klub und TV2 aber, könnte für Orbán zum unangenehmen Bumerang werden.

Steuern, statt Wirtschaftspolitik - das immer gleiche Muster

Neue Steuern unter der Regierung Orbán seit 2010

Bankensondersteuer (mittlerweile dauerhaft)
Sonderumsatzsteuer für Telekomunternehmen (vor EU-Gericht)
Sonderumsatzsteuer für Energieunternehmen
Sonderumsatzsteuer für Handelsunternehmen
98% Sondersteuer für Abfindungen (von EU-Gericht kassiert, aber weiter in Kraft)
Extrasteuer für Gewinne von Energieuunternehmen
Chipsssteuer auf "ungesunde" Lebensmittel
höhere Verbrauchssteuer für alkoholische Getränke
Unfallsteuer (als Zusatzsteuer für die Autoversicherung)
Telefonier- und SMS-steuer
Erschließungssteuer (auf Kabel und Rohre)
Onlinespielsteuer
Versicherungssteuer
Erhöhte Mineralölsteuer
Finanztransaktionssteuer
Erhöhung der lokalen Gewerbesteuer
Lebensmittelliefermanagementabgabe
Wettersteuer für Medien (in Arbeit)
Flaschenpfand (mit Zwangsabgabe für Händler und nicht refundierbarem Anteil für Verbraucher) (in Arbeit)
Werbesteuer (in Arbeit)

Von Anfang an ersetzen die fast wöchentlichen Steueerhöhungen oder eben Neuerfindungen jene strukturellen Reformen und Wachstumsanreize, die eigentlich von einer nachhaltigen Fiskal- und Wirtschaftspolitik gefordert werden. Dass Ungarn nun doch aus dem Defizitverfahren entlassen werden könnte, hat vorwiegend politische und vor allem über Ungarn hinausreichende Gründe, womit die EU nun das tut, was man ihr aus Ungarn vorwarf, wenn auch aus anderen Motiven als die aus Budapest behaupteten.

Bei ihrem Steuerexzess folgen die Gesetzgeber von der Regierungspartei stets dem gleichen Muster: 1. die Steuer wird notwendig wegen der Vorgaben aus Brüssel, nicht wegen der eigenen Misswirtschaft, 2. die Steuer darf nicht direkt die Bürger treffen, zumindest sollte es sich nicht so anfühlen (am Ende zahlts ja doch der Kunde-Bürger), 3. die Steuer soll möglichst einen politischen Zusatznutzen erbringen, also z.B. gepflegte Feindbilder vom "bösen Multi" bedienen.

Steuer retroaktiv und gestaffelt, Polit-PR bleibt steuerfrei

Rund 10 Milliarden (also rund 35 Mio. EUR) Forint erhofft sich Fidesz-Fraktionschef von der neuen Anzeigen- eigentlich Werbesteuer. Um Steuervermeidung bzw. -umgehung zu verhindern, wird die Steuerpflicht direkt an die "Publikanten von Annoncen" angelegt, d.h. der Fernsehsehnder, der den Clip bringt, die Zeitung, die Annonce druckt, zahlt. Die Unternehmen müssen bis 20. Juli diesen Jahres ihre Steuererklärung hinsichtlich der ersten sechs Monate 2013 abgeben und die Beträge dann in zwei Raten bis 20.11. bezahlen, d.h. die Steuer wird retroaktiv eingeführt, hier würde in einer Demokratie das Verfassungsgericht auf den Plan treten, nicht aber in Ungarn, denn das VfG, ist hier "für Fragen das Budget betreffend" nicht mehr zuständig.

Bis zu einer Million Forint Jahresumsatz (3.350.- EUR) werden steuerfrei bleiben, also ungefähr eine halbe Zeitungsseite; zwischen 1 und 5 Mio. HUF Umsatz werden 1% des Nettoumsatzes, zwischen 5 Mio. (17.000 EUR) und 10 Mrd. HUF (35 Mio. EUR) schon 10% und ab 10 Mrd. werden sogar 20% der Nettoumsätze eingezogen. "Politische PR und Annoncen im öffentlichen Interesse" werden "nicht als zu besteuernden Anzeigen definiert", was hingegen als "öffentliches Interesse" gilt, wurde ebenfalls nicht definiert. Dieser Passus ist besonders wichtig, da die regierungsnahen Medien über entsprechende Kampagnen massiv mit Staatsgeldern finanziert werden.

MSZP: Angriff auf die Medienfreiheit, FIDESZ: Vorgabe aus Brüssel

Die linke Opposition sieht in dem Vorgehen eine Art finalen Angriff auf die freien Medien des Landes. Die Steuereinnahmen seien viel zu gering, um einen wirklichen budgetären Einfluss zu haben, daher geht es um politische Motive: was das Mediengesetz nicht schaffte und dem Medienrat durch Frequenzgängeleien, Geldbußen und Zensurvorschriften noch nicht gelang und was durch Abzug der Anzeigen staatlicher Behörden und staatsnaher Unternehmen immer noch nicht Pleite gegangen ist, soll nun durch diese Steuer "in die Knie gezwungen" werden, während sich die regierungstreuen Medien großzügiger Annonceaufträge und sogar direkter Zuwendungen erfreuen, so Sándor Burány von der MSZP.

Die Mitte-Links-Allianz "Gemeinsam 2014" sieht in der neuen Steuer einen "fatalen Schlag" gegen den "von der Krise ohnehin schon gezeichneten Anzeigen- und Medienmarkt". Die Steuer ist eine offene "Drohung der Regierung gegen die beiden großen, komerziellen TV-Sender, zwei freie Medien, die immer noch die Wahrheit über Orbáns Regime verbreiten können." so G2014 in einer Aussendung. Um dem Defizitverfahren zu entkommen, würde Orbán alles tun, doch die notwendige budgetäre Ausgeglichenheit erlangt man nicht durch neue Steuern, sondern durch besseres regieren und die Kürzung Kürzen von Ausgaben, heißt es da.

Fidesz funkte nur kurz angebunden zurück, dass es schließlich die EU sei, die Sparmaßnahmen verlange, daher solle man sich auch dort und nicht bei der ungarischen Regierung über die Steuern beschweren. "Die EU behandelt Ungarn unfair und fordert immer weitere Sparpakete. Doch Fidesz ist nicht willens die ungarischen Familien weiter zu belasten", so Selmeczi mit ihrer Universalerklärung für alles Ungemach der letzten drei Jahre.

10% weniger Umsatz bedeuten für kleinere Medien das Aus

Wie wird sich die Steuer auswirken? Für kleine, vom Anzeigengeschäft unabhängige Zeitungen und Radiosender können 10% weniger Umsatz schnell das Aus bedeuten, bei einigen - auch nahmhaften - bereits seit Jahren angeschlagenen Medien werden sie das. Auch Steuer 19, die noch nicht umgesetzt, aber fix vorgesehen ist, nämlich die Wettersteuer steht den Medien schließlich auch noch bevor. Absolut sind hingegen die TV-Sender RTL Klub (Bertelsmann) und TV2 (Pro7Sat1-Gruppe), die zusammen fast 80% Marktanteil beim Fernsehen repräsentieren, die größten Verlierer. Von den 10 erwarteten Milliarden werden rund 6-7 von ihnen geschultert werden, RTL Klub hat Jahresumsätze von rund 30 Mrd. HUF in Ungarn angegeben, rund 2/3 davon dürften aus dem Werbesegment stammen. TV2 hingegen schreibt schon jetzt seit einigen Jahren rote Zahlen. Mit der neuen Belastung, könnten sie die Lust verlieren, in Ungarn weiter auf Sendung zu gehen.

Die Privaten haben die Pressefreiheit erst verkauft, um sie jetzt einzufordern

Dass sich Orbán nach den Banken, den Handelskonzernen, den Energieprovidern und den Telekoms nun auch die (ausländischen) Medien vornimmt, mag zunächst nicht verwundern, zählen ja auch sie nicht zu Branchen, die einfach so weiterziehen und anderswo produzieren können, sondern zu jenen, die ihre Umsätze vor allem mit dem Inlandsmarkt machen. Allerdings verschonte man die großen TV-Anbieter bisher weitgehend, in Hintertürgesprächen verhandelten sie mit der Regierung damals, als die Welt wegen des Mediengesetzes aufschrie, ihre Werbequoten und Product Placement-Regularien. Damals scherten sie sich nicht um die Medienfreiheit, doch heute rufen RTL und TV2 nach der Freiheit der Medien und beklagen die gegenüber dem öffentlichen Rundfunk wettbewerbsverzerrenden, unfairen und demokratiegefähredenden Maßnahmen, wie es einer der leitenden Manager von RTL Klub ausdrückte. Gleichzeitig mutmaßen Fachleute darüber, dass man die Kabelgebühren entsprechend anheben könnte, um die Verluste auszugleichen. Dann wäre die Steuer doch direkt bei den Leuten angekommen und Einnahmen aus Kabelgebühren werden nicht gesondert versteuert.

Was passiert, wenn 80% der Fernsehzuschauer plötzlich mit der tristen Realität konfrontiert sind?

Orbán könnte sich mit seinem neuen Einfall verrechnet haben. Nicht im Sinne dessen, was die Opposition von "Gemeinsam 2014" sagte, dass RTL und TV2 noch die "Wahrheit über das Orbán-Regime" verbreiten. TV2 hat zwar ein paar kritische Politsendungen im Programm, die den Medienrat und auch Orbán persönlich ärgern, doch dominiert dort - wie auch bei Marktführer RTL - reines Kommerz-TV aus der untersten Niveauschublade, das gesamtgesellschaftlich einen sehr wichtigen Ruhigstellungseffekt erfüllt. Es ist ja bezeichnend, dass RTL Klub nicht ein einziges Mal wegen politischer Berichte nach Artikel 13 abgeurteilt wurde, wie z.B. ATV oder TV2, sondern fast immer nur wegen zu viel "jugendgefährdender" nackter Haut oder Brutalität...

 

Diese mediale Volksbelustigung bzw. -verdummung sollte Orbán eigentlich pflegen, denn das worst case scenario wäre, zögen sich die beiden Sender wegen zu geringer Profitmöglichkeiten aus Ungarn zurück und 80% des Fernsehpublikums strömten dann auf die gelichgeschalteten Staatssender. Was sie da geboten kommen, ist so langweilig, manipuliert und absurd, dass sich manch einer doch einmal für die wahren Zuständen im Lande, jenseits der bunten Flimmerkiste interessieren und in Ermangelung virtueller Ablenkung aktiv nachzudenken beginnen könnte und den Fernseher ausschaltet. Und dann könnte der "Sendeschluss" schneller kommen als gedacht.

Wie steht es um die Pressefreiheit in Ungarn, eine Bilanz nach 3 Jahren Fidesz
http://www.pesterlloyd.net/html/1318pressefreiheitbilanz.html

cs.sz.

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