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(c) Pester Lloyd / 23 - 2013   BOULETIK   03.06.2013

 

Wahlverbot für Polittrottel?

Regierungspartei in Ungarn plant Wahlverbot für Personen mit mangelnder "notwendiger Einsichtsfähigkeit"

Wer dachte, der Zenit des Wahnsinns in Ungarn sei überschritten, der irrte wieder: noch ist es ein Entwurf, doch, was vom Staatssekretär im Justizministerium zusammen mit dem Abgeordneten Gergely Gulyás, natürlich beide Fidesz, stellt einen neuen Höhepunkt politischer und ideologischer Absurdität dar: Gerichte sollen die Möglichkeit bekommen "volljährige Personen vom Wahlrecht auszuschließen", "denen zur Ausübung des Wahlrechts die notwendige Einsichtsfähigkeit" in politische Prozesse fehlt.

Poet Zsolt Bayer, Parlamentsschutzengel Kövér und Nationenretter Orbán beim Sektfrühstück (Orbán trinkt nur Wasser, arsenabhängig?).

Spezifiziert wird in dem Papier, das, wir wiederholen, bisher nur einen Gesetzentwurf darstellt, der dem Parlament zur Beratung vorgelegt wurde, lediglich "aufgrund seiner/ihrer psychischen Verfassung, geistiger Behinderung oder Suchtkrankheit dauerhaft oder zeitweilig in großem Maße beeinträchtigt ist, oder aufgrund seiner/ihrer psychischen Verfassung, geistiger Behinderung dauerhaft nicht gegeben ist.” (Übersetzung Pusztaranger).

Was genau die "notwendige Einsichtsfähigkeit" definiert, oder ab wann ihr Fehlen gegeben ist, wird nicht deutlich. Ginge das Gesetz so durch, läge die Einschätzung dessen allein im Ermessen der Richter. Gerichte handeln auf Antrag von Klägern, privaten wie öffentlichen (Staatsanwälten), damit wäre sowohl dem individuellen Denunziantentum als auch dem politisch indizierten Ausschluss von ganzen Personengruppen Tür und Tor geöffnet. Man sollte dabei nicht vergessen, dass z.B. Romakinder gern pauschal als "unterentwickelt", "erziehungsgeschädigt" etc. deklariert und in Sonderklassen zusammengefasst werden, es ist daher nicht undenkbar, dass man mit Hilfe eines solchen Absatzes, ganze, als unberechenbar oder unliebsam geltende Bevölkerungsgruppen von der Wahl ausschließen könnte.

 

In Demokratien gilt der Entzug des Wahlrechts übrigens meist nur für Personen, die auch sonst als komplett geschäftsunfähig eingestuft werden müssen. Doch selbst dieser Gruppe wird eine Einzelfallprüfung gewährt. "Suchtkranke", zu denen also auch Alkoholiker, Medikamentenabhängige, Internetsüchtige (anerkannte) gehören, von den Wahlen auszuschließen ist hingegen so absurd, dass wir dafür schon ein neues Ressort, Bouletik, erfinden mussten. Was ist mit Zigarettenrauchern? Nikotinsucht ist auch eine Sucht. Vielleicht hat der Preis für den Nichtraucher des Jahres, den Orbán gerade von der WHO bekam, ihn beflügelt? Was machen wir mit religiösen, rassiischen Fanatikern, was mit Bayer? Wie weit ist deren "Einsichtsfähigkeit" eingeschränkt?

Der Entwurf begründet die Notwendigkeit dieser Gesetzesänderung mit Anpassungen an das neue BGB, ohne diese Notwendigkeit jedoch näher zu belegen. Leise wurde aus Fidesz-Kreisen die vielleicht voreilige Dreistigkeit (man könnte auch komplette Blödheit) des Entwurfes erkannt und "Gesprächsbereitschaft" angedeutet. Offenbar unternahmen die Hardliner der Regierungspartei einen Versuch, ihre bisherige Wahlgesetzgebung durch den individuellen Zugriff auf Bürgerrechte noch etwas abzurunden.

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Man könnte sarkastisch ergänzen, dass der Entwurf zu begrüßen wäre, wenn er auf das passive Wahlrecht Anwendung fände. Denn der Ausschluss von "uneinsichtigen" Personen von den Kandidatenlisten würde auf einen Schlag die für Ungarn so dringend nötige völlig neue Parteienlandschaft kreieren. In dieser wäre dann sehr, sehr viel Platz. Und was ist, wenn ein Richter auf die Idee kommt, dass die Anhängerschaft an die Regierungspartei, die MSZP oder Jobbik der allgemeinen menschlichen Vernunft widerspräche, für die "Einsichtsfähigkeit" doch durchaus eine Grundlage darstellt?

Ob in Ungarn überhaupt noch freie und faire Wahlen möglich sein werden, haben wir
in diesem Beitrag untersucht. Der Blog Pusztaranger hat sich tiefergehend mit der aktuellen Initiative befasst und auch internationalem Recht gegenübergestellt.

red. / a.l.

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