Hauptmenü

 

KLEINANZEIGEN für UNGARN und OSTEUROPA ab 35.- EUR / 30 Tage!

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 24 - 2013   NACHRICHTEN 14.06.2013

 

Nationaler Gummistiefelwettbewerb: Presseschau zum Hochwasser in Ungarn

Neben den faktischen Meldungen über Hochwasserstände, Verkehrssituation, Schäden und Schicksale, stand in den Medien in den letzten Tage und Wochen vor allem die Rolle der Regierung als Krisenmanager im Zentrum. Lagerübergreifend wurde die "nationale Einheit" beschworen, sah man Menschen in Jobbik-Shirts neben linken Politikern, vor allem aber sah man: Orbán in Gummistiefeln. Dessen Omnipräsenz war Thema von Nachbetrachtungen, die wir hier in Form einer Presseschau wiedergeben.

In der links-liberalen "Népszabadság", immer noch die auflagenstärkste Qualitätstageszeitung des Landes, bezeichnet Chefkommentator Sándor Révész Orbáns Auftritte an der "Flutfront" als "reine Propaganda". Er sei "omniscient, omnipresent und omnipotent". In modernen "Medien-Demokratien" wird zwar das Bild vom Regierungschef am Flußufer erwartet, doch ein wirklicher Führer sollte den Ereignissen besser von seinem Büro aus folgen, denn dort könne er Informationen aufnehmen, Ressourcen mobilisieren und koordinierend eingreifen. "An den Deichen entlang zu paradieren" helfe den Rettungskräften wenig und koste mitunter sogar noch Zeit und Ressourcen. "Das Bild, das Orbán transportiert, ist dass eines Führers, der sein Land alleine regiert, durch direkte Befehlsausgaben vor Ort", eine Strategie, die an "bolschewistischen Führerkult" erinnert. In einem anderen Leitartikel beschwerte sich ein Autor darüber, dass Orbán in jedem Ort, in dem er auftrat, sich mit dem jeweiligen Bürgermeister zeigte, nur nicht in Esztergom, weil dort eine unabhängige dieses Amt inne hat, die seit 2010 von einer Fidesz-Mehrheit im Stadtparlament blockiert wird. Daran sehe man, wie weit her es mit der postulierten "nationalen Einheit" in Zeiten der Not sei.

Die regierungstreue bis rassistisch-nationalistische "Magyar Hírlap", publizistische Heimstatt von Orbán-Freund und Hassprediger Zsolt "Roma sind Tiere" Bayer, sieht die Sache natürlich anders. Es war ja klar, dass "professionelle Hassspender, die seit drei Jahren Ungarns Ruf im Ausland durch das Verbreiten von Falschinformationen schädigen" nun auf den Premier losgehen, der nur versuchte "das Land so schadlos wie möglich durch die Flut zu führen". Dazu hätte man sogar "ausländische Unterstützung angeheuert", behauptet Chefredakteur István Stefka und nennt dabei ausgerechnet die F.A.Z. als Beispiel. Den Kritikern seien die Schicksale der Flutopfer egal, behauptet Stefka. Im Gegensatz dazu habe "Orbán außerordentliche Führungskraft und politisches Talent auf einem Gebiet gezeigt, das eigentlich nicht das Hauptfeld seiner Fähigkeiten darstellt"...

Gábor Török, ein namhafter politischer Kommentator und Alleswisser mit eigenem Blog meint, dass die "linksliberalen Kritiker" (der überdimensionierten Medienpräsenz Orbáns, Anm.) mit ihren "verzweifelten Angriffen" "das Konzept von Führung" nicht verstünden. In solchen Situationen handelten "Weltführer" genauso, so Török, der dann sogleich an Gerhard Schröders Gummistiefel-Auftritte 2002 erinnerte. Aus einer zynischen Sichtweise, so Török, seien "Hochwasser die Traum-Drehbücher für politische Führer", denn sie garantierten "Drama" bei gleichzeitig absehbarem, glimpflichen Ende. Es sei auch verständlich, dass Orbán "sein eigenes Medienteam rekrutierte", um die Sache zu dokumentieren, genauso verständlich ist aber auch das Kofpschütteln der Leute angesichts der medialen Überpräsenz, die bis hin zur Dokumentation reichte, wie Orbán seine Socken wechselt. Die Regeln der Medienpräsenz sind erfüllt: zu tief sinken kann man nicht, die Präsenz ist praktisch alles wert. Dass sich Ministerpräsident Orbán in die Niederungen einer Realityshow begab, mag - eventuell - sein politisches Image beschädgit haben.

 

Die regierungsnahe "Magyar Nemzet" betont den gemeinsamen Kampf gegen die Donaufluten, der eine Einheit herbeigeführt habe, die nur mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichbar sei, so, sehr pathetisch György Pilhál. "In Zeiten tiefer Krisen haben die Ungarn immer weider gezeigt, dass sie in der Lage sind ideologische Unterschiede zu überwinden". Zweimal bedankte sich die Regierungsgazette bei ihren linken Widersachern von der Zeitung "Népszava", weil diese dazu aufrief, die Bemühungen der Regierung im Kampf gegen die Fluten zu unterstützen. In nämlicher "Népszava" hieß es, "dass der Ministerpräsident sehr wenig Lob in den Spalten dieser Zeitung erhält", "doch jetzt ist die richtige Zeit, die politischen Kämpfe zu unterbrechen." Kein verantwortungsvoller Bürger dürfe der Regierung jetzt seine Unterstützung versagen.

Mehr Kuriositäten um das Orbán-Hochwasser-Spektakel bei Pusztaranger
http://pusztaranger.wordpress.com/2013/06/11/feldherr-gegen-die-welle-bad-romance-a m-deich-und-israelisches-sonderkommando/

red.

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?