Hauptmenü

 

KLEINANZEIGEN für UNGARN und OSTEUROPA ab 35.- EUR / 30 Tage!

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 24 - 2013   POLITIK 10.06.2013

 

Verfassungsänderung, die Fünfte

Ungarn kommt EU-Kommission entgegen, blockiert aber EU-Parlament und spioniert Richter aus

Ungarn steht die 5. Verfassungsänderung bevor, die drei Korrekturen an der
4. Verfassungsänderung vornehmen soll. Danach soll der Passus, der es der obersten Gerichtsaufsichtsbehörde erlaubt, Fälle von gesetzlich zuständigen Gerichten abzuziehen und an andere zu verweisen, aus der Verfassung wieder gestrichen werden, in erster Linie, um einem einem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission entgehen. Doch auf anderen Gebieten bleibt Budapest konfrontativ.

Die “Verfassungsstraße” wird immer länger...

Die Streichung dieses nicht rechstaatlichen Absatzes aus der Verfassung wird kaum etwas an der Praxis ändern, denn andere Gesetze und Durchführungsbestimmungen, die nicht im Verfassungsrang stehen, können dieses Vorgehen weiter ermöglichen, dessen Notwendigkeit von der Regierung mit Arbeitsüberlastung von Gerichten begründet wird, während Kritiker darin eine Handhabe sehen, politisch motivierte Rechtssprechung zu ermöglichen und die Unabhängigkeit der Gerichte weiter zu untergraben. Orbán hatte bereits angekündigt, dass, "falls das der EU nicht passt, wir eine andere Lösung finden werden.", was nichts weiter bedeutet, als dass er seinen Willen in von Europa nicht beeinspruchbarer Weise durchsetzen wird.

Ebenfalls gelöscht wird der Artikel, der die Erhebung von Sondersteuern wegen "unerwarteter Kosten aus Gerichtsurteilen des Verfassungsgerichtshofes, des Europäischen Gerichtshofes oder anderer internationaler Gerichte" zulässt. Steuereranhebungen oder -neueinführungen bleiben natürlich weiter möglich, nur darf als Grund dafür nicht der obige benannt werden. Auch die Beschränkung von Wahlkampfkosten wird modifiziert, sie darf nun Europawahlen nicht mehr betreffen. Außenminister Martonyi hofft, dass dadurch nun "all die vielen Angriffe gegen Ungarn" aufhören.

Gleichzeitig opponiert die Regierungspartei Fidesz im Europäischen Parlament massiv gegen den
Tavares-Report über den Zustand von Rechtsstaat und Demokratie in Ungarn, der noch vor der Sommerpause im Europaparlament zu einem mehrheitlichen Statement mit Handlungsempfehlung an die Kommission verabschiedet werden soll. Zusammen mit dem vorzeitig an die Öffentlichkeit geratenen und noch deutlicheren Bericht der Venedig-Kommission will die EU dann weitere Schritte bezüglich Ungarn beraten, die über normale Vertragsverletzungen hinaus gehen könnten. Nicht weniger als 500 Änderungsanträge brachten die EVP-Kollegen zu dem 30seitigen Bericht ein, allein 200 direkt von Fidesz. Offenbar will man das Parlament auf diese Weise arbeitsunfähig machen und überträgt die Verachtung für demokratische Prozesse, die in Ungarn gelebt wird, auch auf europäische Ebene.

 

Ein Gesetz bzw. Dekret, das noch nicht im Verfassungsrang ist, bringt für die Orbán-Regierung weiteres Konfliktpotenzial mit Brüssel. Ungarische Richter und Staatsanwälte beschweren sich über eine Dienstanweisung, die es dem Innenministerium gestattet, alle öffentlich Bediensteten im Justizwesen ohne richterlichen Beschluss an bis zu 60 Tagen im Jahr geheimdienstlich überwachen zu lassen, einschließlich Telefone abhören, Privatwohnungen per Video überwachen und Post öffnen. Klagemöglichkeiten gegen dieses Vorgehen oder eine Transparenzpflicht über die gesammelten Daten gibt es nicht. Vize-Generalstaatsanwalt András Varga kritisiert in einem Brief an EU-Kommissionpräsident Barroso auch, dass sehr private Kriterien wie eheliche Treue, Verhalten außerhalb der Arbeit oder finanzielle Verhältnisse ausspioniert werden sollen. Im öffentlichen Dienst gibt es einen Kündigungsgrund "Vertrauensverlust", der nicht weiter begründet werden muss. Varga sieht die Gefahr, dass so wahllos Angestellte entlassen werden können, auch wenn sie sich rechtskonform und arbeitsvertragstreu verhalten.

red.

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?