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(c) Pester Lloyd / 25 - 2013   POLITIK 20.06.2013

 

Budapest muss Istanbul werden...

Regierung von Ungarn solidarisiert sich mit türkischem Knüppelregime

Das ungarische Außenministerium teilt mit, dass die "Straßendemonstrationen und das politische Geschehen deutlich das Funktionieren der Demokratie in der Türkei belegen. Die ungarische Regierung unterstützt die türkische Führung und hat vollstes Vertrauen in die türkische Demokratie." so der Parlamentarische Staatssekretär Zsolt Németh in einem Statement für die offizielle Nachrichtenagentur MTI.

Staatssekretär Németh verbat der EU gleichzeitig jeden Gedanken an die Nichtöffnung anstehender EU-Aufnahmekapitel mit der türkischen Regierung. Es wäre "unverantwortlich, wenn die EU irgendwelche "Sanktionen" auch nur ins Auge fasse. "Diese Art von Erpressung" akzeptiere Ungarn nicht.

Die Türkei ist nicht EU-reif, die Türken sind es längst

Exzessive Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten ist in einer Demokratie nicht hinnehmbar. Das findet auch die ungarische Regierung, allerdings nur, wenn diese Gewalt von der "falschen" politischen Seite ausgeht. So wie 2006, als Polizisten in Budapest unter der Verantwortung der "sozialistischen" Regierungspartei MSZP
Demonstranten zusammenknüppelten, ihnen mit Gummigeschossen das Augenlicht nahmen. Bis heute will man damit das undemokratische Wesen der Regierung Gyurcsány beweisen, stellte Polizisten vor Gericht, zahlte Schmerzensgelder.

Gleiches, nur in noch viel größerem Maßstab, findet derzeit in der Türkei statt. Dort artikulierten Demonstranten friedlich ihren Unwillen, sich Machtanmaßungen und Behördenwillkür zu beugen. Erst waren es Bäume, nun geht es um ihre Freiheit. Die Antwort der Regierung Erdogan auf die Demonstrationen kostete bereits mehrere Menschen das Leben, Tausende wurden verletzt, es gibt Verhaftungswellen, Tränengasgranaten in Gesichter, sogar Ärzte, die Verletzten halfen, werden festgenommen. Die Türkei war und ist ein Polizeistaat. Erdogan hat das in den letzten Wochen wieder bewiesen. Bewiesen wurde auch: Die Türkei ist nicht EU-reif, die Türken sind es längst.

“Undemokratisch”: Budapest, Herbst 2006

“Demokratisch”: Unweit des Taksim-Platzes in Istanbul, 6. Juni 2013.

Erdogan und Orbán verachten Demokratie und Rechtsstaat und handeln entsprechend

Ungarn ist ein strikter Befürworter des EU-Beitritts der Türkei, aber nicht, weil er ökonomisch gut für die EU sein und global ideologisch entkrampfend wirken könnte, dadurch liebevoll gehegte Vorurteile und Feindbilder aufgelöst würden, sondern nur, weil man sich aufgrund seiner Lage einen wirtschaftlichen Vorteil verspricht. Doch das allein ist nicht der Grund für die erklärte Solidarität mit dem Knüppelregime in Ankara.

Erdogan und Orbán sowie die ihnen dienenden Parteien sind sich in ihrem Machtrausch sehr ähnlich, auch wenn AKP und Fidesz, erst Recht Tayyip und Viktor vom Format in etwa wie Wolf und Pinscher wirken. Beide sehen sich von einer historischen Sendung angetrieben, beide verachten Demokratie und Rechtsstaat und lullen das Volk beim strukturellen Abbau seiner Grundrechte mit frömmelndem Beiwerk ein: dort dient der Islam, bzw. die Behauptung davon als eine dem Staat übergeordnete Ideologie, hier ein abstruser christlich-frömmelnder Magyarismus mit angeschlossenem expansivem Revanchismus als alles bestimmende Leitlinie für das politische Handeln und Basis des "nationalen Zusammenhalts". Das Ergebnis ist das gleiche: ein Obrigkeitsstaat mit massiven Grundrechtseinschränkungen, einer profitierenden "Elite", einem Oligarchensystem und einem großen verarmten Bodensatz. In beiden Ländern ist das Tor zur Diktatur weit offen, Erdogan steht schon mit einem Bein drinnen, bei Orbán ist es noch die Fußspitze.

"Ostöffnung" ohne Skrupel

Die außenpolitische Attitüde beider "Herren" ist sich ebenfalls sehr ähnlich: wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Aus ungarischer Regierungssicht schmiedet die EU andauernd Putschpläne gegen Ungarn, nun sind sogar schon - wie eine Regierungsgazette gerade behauptete - die "Bilderberger" (lies: Freimaurer, Ostküste, Finanzjudentum) involviert. Die Zukunft Ungarns liegt daher in der "Ostöffnung". Die ungarische Liebeserklärung an den Pascha von Ankara überrascht jene nicht, die die schmierigen Annäherungsversuche an die
saudiarabischen Prügelscheichs, die kuwaitischen Ölsäcke, an die Paten des aserbaidshanischen Axtmörders, ja sogar den Iran (Städtepartnerschaften seitens Jobbik, Regierungsdelegationen) zur Kenntnis genommen haben. Der Feind meines Feindes ist mein Freund, so lautet Némeths Devise und die der ganzen Regierungspartei.

Némeths Spruch würde in einem wachen Land zu offenen Protesten führen

 

Die Solidarisierung des Vertreters des ungarischen Außenministeriums gibt einen weiteren deutlichen Wink: allfällige Unzufriedenheiten sollten die Ungarn nicht durch die Anmaßung von Mitspracherechten äußern, gar auf der Straße und gar in Massen. Sie sollen sie runterschlucken, dafür hat man ja extra den selbstgebrannten Pálinka steuerbefreit, eine Möglichkeit, die Erdogan wegen seiner "Religion" nicht hat. Dafür hat er Wirtschaftswachstum. Aber nicht einmal das reicht, das muss den Herrschern in Budapest Angst machen.

In einem wachen Land wären Némeths unverschämte Äußerungen Anlass für Solidaritätsproteste, z.B. von Studenten und Bürgerrechtlern mit den Menschen in Istanbul und Ankara. In einem gesunden Land wären Gestalten wie Németh nichtmal in der Nähe eines politischen Amtes.

Die Parallelen zwischen den Regimen Erdogan und Orbán liegen auf der Hand. Budapest ist heute mehr Ankara, müsste aber alsbald Istanbul werden. Doch man sieht auch hier, die Regierungsparole stimmt: "Ungarn macht´s besser". Hier hat man das Volk (noch) im Griff.

Csaba Szabó

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