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(c) Pester Lloyd / 25 - 2013   POLITIK 20.06.2013

 

Die Schatzinsel

Präsident von Ungarn stoppt vorerst Beschlagnahme der Margareteninsel in Budapest

Der Staatspräsident sandte ein von Justizminister und Vizepremier Tibor Navracsics verfertigtes Gesetz, das am 10. Juni mit der Regierungsmehrheit (254:54:44) verabschiedet wurde, ans Parlament mit dem Hinweis zurück, dass es gegen internationales Recht vertößt. Doch dieser Einwand dürfte die nimmersatte Fidesz-Riege nur kurz aufhalten. Als Ausweg eröffnet sich die "nationalstrategische Bedeutung" der wertvollen Erholungs- und Freizeitinsel...

Justizminister Navracsics (Fidesz), der eigentlich wissen sollte, was er darf und was nicht, ermächtigte in dem nun erstmal gestoppten Gesetz den Budapester Oberbürgermeister, István Tarlós (Fidesz), die Margareteninsel aus dem Eigentum des XIII. Bezirks in das Eigentum der Hauptstadt zu überführen. (
Wir berichteten.) Der XIII. Bezirk ist der einzige in Budapest und einer der ganz wenigen landesweit, der von einem MSZP-Bürgermeister geführt wird.

Tarlós machte entwicklungsstrategische Ziele sowie "Geldverschwendung" des Bezikrs geltend. Angeblich würde eine vom Bezirk eingehobene "Bausteuer" nicht sachgerecht verwendet, außerdem lägen bereits "fertige Ausbaupläne" für die Erholungsinsel im Herzen Budapests vor. Beobachter mutmaßen eher private Interessen von Parteifreunden (Stichworte: EU-Förderungen, Tabakhandelslizenzen, Landvergabe) hinter der versuchten Enteignung. Die Rede ist von weiteren Hotels auf dem Kleinod, auf dem eigentlich ein Bebauungsverbot herrscht, sowie der Verkauf oder die langfristige Verpachtung einzelner Parzellen für verschiedene Sport- und Freizeitanbieter sowie einschlägig vernetzte Gastronomen. Auch lukrative Anlegerechte für Bootsfahrten sind im Gespräch und würden die Marktanteile eines Unternehmens der linken “Reichshälfte” in Budapest weiter schmälern, bei dem auch ein prominenter Ex-Bürgermeister involviert ist. Der Möglichkeiten gibt es viele, auf der “Schatzinsel” mitten in der Stadt.

Was hindert nun den Beutezug? Präsident Áder wies darauf hin, dass Ungarn 1992 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung beim Europarat beigetreten ist, die 1994 in Kraft trat. In Artikel 5 der Charta ist festgelegt, dass Grenzveränderungen an Gemeinden / Kommunen nicht ohne Rücksprache mit selbigen und nicht ohne eine lokale Volksabstimmung vorgenommen werden dürfen. Die gleichen Argumente brachte bereits auch der Bezirksbürgermeister vor, was aber bei Fidesz niemanden interessierte.

Allerdings wies Áder einen Weg: der Schlüssel für die Rechtmäßikeit der Enteignung sei die "vorherige Konsultation" der Betroffenen. Dem Staat stünden nämlich durchaus "spezifische Rechte" zu, die eine Eigentumsübernahme trotz der o.g. Einschränkungen und internationalen Verpflichtung rechtfertigen könnten. Der Justizminister argumentierte bereits zuvor, dass die Margareteninsel von "strategischer" Bedeutung für den Tourismus des Landes ist und daher Investitionen getätigt werden müssen, die ein Stadtbezirk gar nicht erbringen kann, zumal die Entwicklung der Insel "in das Gesamtkonzept der Hauptstadt" passen muss, was der XIII. allein gar nicht überschauen kann.

 

Áders Einwand dürfte - wie stets - die Sache selbst nur ein wenig aufhalten, notfalls ist die Regierungsmehrheit bei der Durchsetzung ihrer Interessen auch willens die Verfassung zu ändern und sei es aus noch so abwegigem Grund. Die letzte Zurückweisung eines wichtigen Gesetzes, die massive Einschränkung der Informationspflicht von Behörden gegenüber Bürgern, erledigte die Fidesz-Fraktion umstandslos durch ein paar kleine formale Änderungen. Auf diese Weise gewinnen beide: Fidesz bekommt was es will, der Präsident festigt seinen Ruf als unabhängige Instanz, zumindest in den Augen der Gut- und Leichtgläubigen.

Wird die “Lex Margareteninsel” auf die eine oder andere Art umgesetzt, wird eine weitere gefährliche Präzedenz für Amtsmissbrauch und Behördenwillkür gesetzt. Dies gilt nicht nur gegenüber kommunalem Eigentum, sondern auch gegenüber privatem: Vertreter der Regierungspartei schlugen bereits vor, die Enteignung von privatem Wohnraum zu ermöglichen, um Parlamentariern die "Wohnungssuche in der Hauptstadt zu erleichtern"...

red.

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