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(c) Pester Lloyd / 26 - 2013   POLITIK 24.06.2013

 

In Grund und Boden

Arbeitsteilung beim Bodengesetz in Ungarn: der Pöbel tobt, die Regierung nimmt sich was sie braucht

Am Freitag verabschiedete die Regierungsmehrheit die finale Version des neuen Bodengesetzes. Die Orbán-Regierung sieht damit alle regulativen Bedürfnisse befriedigt und eine blühende Zukunft für den ungarischen Landmann. Die Opposition tobt und spricht von Hochverrat und einem neuen Feudalsystem. Der Lärm kam der Regierungspartei entgegen, konnte man so doch fast unbemerkt weitere Gesetze durch das Parlament bringen, über "öffentliche" Ausschreibungen und die beiläufige Enteignung von Immobilien.

Beim Bodengesetz, das von der Regierungspartei zu einem zentralen Element ihrer Politik skandiert wurde, habe man eine Regelung gefunden, die sowohl EU-Konform ist, als auch dafür Sorge trägt, dass Agrarland in ungarischer Hand bleibt und zudem kleineren Landwirtschaftsbetrieben und Bauernfamilien mehr entgegenkommt als Großunternehmen. Mit dieser Formel mit mehreren Unbekannten geht die Regierung schon seit Jahren schwanger, das jetzige Gesetz untermauert praktisch nur die bisher eher kommissarisch angewandten Praktiken der "Bodenoffensive".

Die Kritik an dem neuen Bodengesetz kommt von allen Seiten: am lautesten protestierten am Freitag die Neonazis der Partei Jobbik, in dem sie die Abstimmung im Parlament durch einen Sturm aufs Präsidium zu verhindern suchten (siehe Foto), das sie eine halbe Stunde lang besetzt hielten. Sie scholten Orbán und dessen Partei als Landesverräter, denn im Gesetz ist nicht ausdrücklich formuliert, dass der Verkauf von Land an Ausländer verboten wird, was für die Verteidiger der "heiligen, ungarischen Erde" natürlich unerträglich ist. Eine solche Formulierung wäre jedoch ab 2014, wenn die letzten Übergangsregelungen auslaufen, nicht mehr EU-konform. Mit Losungen, wie sie von den Revisionisten gegen Trianon bekannt sind (Nein, nein, niemals) stämmten sich die heldenhaften Nationenverteidiger gegen den "Ausverkauf an die zionistische Mafia", die Ungarn zum "Palästina Europas" machen wollen, etc.

Schwammige Formulierungen für eine Fortsetzung der neuen "Landnahme"

Allerdings hat Fidesz durch ein sehr schwammig konditioniertes Vorkaufsrecht für den Staatlichen Bodenfonds nicht nur dafür gesorgt, dass man den Verkauf von landwirtschaftlichen Nutzflächen an Ausländer (oder unpassende Inländer) in der Praxis von Fall zu Fall - oder auch in jedem Fall - verhindern kann, sondern durch entsprechende Regelungen hinsichtlich der "Förderung von Kleinbauern" auch den gesetzlichen Rahmen für die bereits heute gelebte Praxis geschaffen, Ländereien an entsprechende Netzwerke, Kader und Verwandschaft zu verpachten (
hier die Details zur “Fidesz-Landnahme”), die meist nur rudimentär mit Landwirtschaft befasst sind. Diese erhalten durch den Grund und Boden entsprechenden ökonomischen und sozialen Einfluss in ihren Gemeinden.

Auch die Gesetzesabschnitte über die Art und Weise, wie staatliches Land in Zukunft zu verpachten ist, vor allem die mangelnde Transparenz und die vielen Schlupflöcher, lassen keinen Zweifel daran, dass es sich nicht um Kleinbauernförderung, sondern Klientelpolitik handelt. Die Definitionen zum Thema "Taschenverträge", Umwidmungen zu und von Naturschutzgebieten, lassen weiten Spielraum für außeragrarische Motivationen und für die so lautstark promotete "Reconquista" von Ländereien aus den Händen "ausländischer Spekulanten".

Orbán pfiff Premiere der Parlamentsgarde ab

Gegen dieses System der "Landnahme" protestieren wiederum hauptsächlich die linken Parteien, die der Abstimmung in der Mehrheit fernblieben. Die Grünen sprachen von einem neuen Feudalsystem von "Landlords". Auch ein ehemaliger Fidesz-Staatssekretär, József Ángyán, nutzte die Abstimmung für den endgültigen Bruch mit seiner Fraktion. Ángyán war der intransparenten Vergabepolitik des Bodenfonds schon lange auf der Spur und näherte sich in seiner Kritik immer mehr dem Jobbik-Standpunkt an. Nach der Hausordnung hätten die Podiumsbesetzer der Jobbik auch durch die bewaffnete Parlamentsgarde (ein neues Verfassungsorgan) entfernt werden können, allerdings wollte Premier Orbán seinen Konkurrenten um die Wählergunst nicht den märtyrerischen Triumph gönnen, von uniformierten Einheiten aus dem Parlament geschleppt zu werden, daher pfiff er "seinen" Parlamentspräsidenten, der seine Garde gerne einmal ausprobieren wollte, lieber zurück. Nun wird gefordert, die Jobbik-Fraktion von drei Sitzungstagen auszuschließen und ihnen zu untersagen, Besucher ins Hohe Haus einzuladen. Wer die Hysteriker dieser Partei kennt, weiß, dass dies für die Opferpose genügt.

Perfekte Arbeitsteilung zwischen Fidesz und Jobbik

Für Fidesz war der Aufruhr optimal, eine perfekte Arbeitsteilung: die Regierungspartei konnte sich als moderate Kraft der Mitte darstellen und auf die Demokratiefeinde von Jobbik verweisen. Diese wiederum bekamen eine Gelegenheit ihre Hardcore-Sympathisanten zu bedienen. Das Signal: wer gegen Fidesz ist, wählt Jobbik, aber nicht Links. So gewinnen beide und verliert nur einer. Die stillschweigende Koalition der Rechten funktioniert.

In einem offenen, von Krokodilstränen triefenden Brief an den (Fidesz-)Staatspräsidenten Áder, forderte die Fidesz-Fraktion den Präsidenten auf, das Gesetz nun zu unterzeichnen, das sei sozusagen eine demokratische Bekenntnispflicht, nach diesem, seit der Wende noch nie dagewesenen Angriffs auf die parlamentarische Demokratie von Seiten der "Radikalen". Ein Gesetz, dass die EU austrickst, Rechtssicherheit in Grund und Boden stampft und dazu geeignet ist, staatliches Eigentum dem Parteiklüngel unterzuordnen, am Ende noch als Demokratiebeleg hinzustellen, ist schon ein beeindruckendes Kabinettstückchen politischer Manipulation.

Enteignung durch Parteikader - per Gesetz

Ihr - im wahrsten Sinne tiefes - demokratisches Verständnis belegte die Regierungspartei am Freitag mit einem anderen Gesetz, das ebenfalls Ruck-Zuck durchs Haus gewunken wurde, aber in der allgemeinen Aufregung fast unterging. Danach kann
Haus- und Grundbesitz nun deutlich leichter konfisziert, sprich enteignet werden, um "Abgeordnete und andere Würdenträger", die keinen eigenen Wohnsitz in Budapest haben, "angemessen unterzubringen". In einigen Nebensätzen haben die Antragsteller auch die Möglichkeit von vereinfachten Enteignungsverfahren untergebracht, wenn dadurch Lärmbelästigung und Luftverunreinigungen in bewohnten Gebieten reduziert werden können oder wenn Liegenschaften unverhältnismäßig lange leer stehen... Da es - wie in jedem Land - bereits ein Enteignungsgesetz aus dringendem Grund (nationale Sicherheit, öffentliches Interesse) etc. gibt, ist dieses einfach eine weitere Ermächtigung zum staatlichen Raub. Einige Änderungsanträge dazu kamen so kurzfristig, dass der endgültige Gesetzestext immer noch nicht abrufbar, aber beschlossen ist.

Halböffentliche Ausschreibung

Auch das neue Gesetz über öffentliche Ausschreibungen wurde am Freitag beschlossen, da waren die meisten Oppositionspolitiker schon längst nicht mehr im Saal. Entsprechend das Ergebnis: 251-2-1. Darin gibt es einige Änderungen bei der Einstufung von Informationen als Geschäftsgeheimnisse, die man als Fortschritt ansehen könnte, wenn nicht das ebenfalls gerade modifizierte Gesetz über die Informationspflicht von Behörden dagegen wirken würde. Transparency International kommentierte das Gesetz als ein Werk "voller Schlupflöcher", das an der
intransparenten und parteilichen Vergabepraxis wenig bis gar nichts ändern dürfte, zumal die EU-Gelder künftig ohnehin direkt im Büro des Ministerpräsidenten und nicht mehr von der Nationalen Entwicklungsagentur verteilt werden.

Ob Zigaretten oder Aspirin, Hauptsache Forint

 

Bei der Tragweite dieser Gesetze konnte man eine weitere Neuregelung am Freitag fast übersehen, die darin besteht, dass der Staat nun "fallweise" Anteile an Apotheken erwerben kann. Diese zunächst unverfänglich klingende Maßnahme hat ihren Grund nicht darin, die Versorgung auf dem Lande sicherzustellen, zumindest nicht die Versorgung der Patienten. Das Gesetz ist vielmehr eine Fortsetzung der betrügerischen Vergabe der Tabakhandelslizenzen, nur auf dem Gebiet der Medikamente. Apotheker sind gesetzlich bis zu einem Stichtag verpflichtet worden, die Mehrheit an ihren Geschäften zu erwerben. Fehlt ihnen dazu das Kapital und hilft auch die Bank nicht, kann nun der Staat den gesetzlich notwendigen Anteil erwerben und dem Apotheker zu günstigen Konditionen als Kredit anschreiben, also letztlich darüber entscheiden, wer in Zukunft die medikamentöse Nahversorgung übernimmt und wer davon profitieren darf.

red.

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