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(c) Pester Lloyd / 34 - 2013   POLITIK 25.08.2013

 

Friendly Fire

Wahlallianz der demokratischen Opposition in Ungarn vor dem Scheitern

Die angestrebte Kooperation zwischen der "sozialistischen" MSZP und der neuen Mitte-Links Wahlallianz "Gemeinsam 2014" rund um Ex-Premier Bajnai steht auf der Kippe. Nach wochenlangem Geschacher um eine Einigung auf jeweils einen gemeinsamen Kandidaten in jedem der 106 Direktwahlbezirke, wirken die Protagonisten nicht nur erschöpft, sondern bereits am Rande der Feindschaft. Orbán kann sich noch beruhigter zurücklehnen und seinen baldigen erneuten Wahlsieg schon fast genießen.

Gordon Bajnai und Attila Mesterházy. Zaghaft bis misstrauisch. Wird die Zweckgemeinschaft zu einer echten Allianz oder kämpft am Ende doch jeder für sich?

Wer schafft die geringstmögliche Niederlage?

Springender Punkt nach Abschluss der ermüdenden Kandidatensuche ist die Nominierung eines gemeinsamen Spitzenkandidaten beider Parteien, der Orbáns Hegemonialmacht bei den Wahlen im Frühjahr 2014 entgegentreten und den Premier herausfordern soll. Naturgemäß rechnet sich die Partei mit den besseren Umfragewerten, also die MSZP, hier ein Vorrecht aus, sie ist immerhin die größte Oppositionspartei des Landes. Doch wahltaktisch wäre ein Ministerpräsidentenkandidat Attila Mesterházy, der MSZP-Parteichef, nur eine lahme Ente, andere "Figuren", die wahlkampfmäßig vorzeigbar wären, hat die MSZP nicht zu bieten. Ex-Premier Gordon Bajnai hingegen hat bereits Expertise an der Regierungsspitze nachzuweisen, gilt als Wirtschaftsexperte und ist - zumindest bedingt - in der Lage, auch im Lager der Liberalen und der Mitte sowie bei den vielen und daher wahlentscheidenen Unentschlossenen zu generieren.

Therapeut gegen das Stockholm-Syndrom gesucht

Dass dies trotzdem nicht ausreichen wird, um die Regierungsmehrheit zu brechen, liegt vor allem daran, dass die mehr weniger als mehr vereinigte Opposition dem größten Teil des Volkes weder personell noch programmatisch als erstrebenswerte Alternative vorkommt. Die Perspektive, die MSZP/G2014 bieten, erscheint den meisten als zu diffus als dass man dafür nochmal eine totale Umkrempelung der gesamten Gesellschaft, samt Gesetzgebung, Verfassung und Wirtschaftssystem in Angriff nehmen wollte. So verharrt man lieber in Lethargie, Frust oder im Stockholm-Syndrom, das den passiveren Teil der Fidesz-Anhänger offenbar befallen hat, anders lässt sich kaum erklären, wie man eine Regierung, die so konsequent gegen die Interessen des kleinen Mannes handelt, weiter so nibelungentreu unterstützen kann.

Vorwahlkampf nach amerikanischem Vorbild?

Der Mitte-Links-Opposition bleibt bei dieser Konstellation also nur noch die Möglichkeit, die erfolgversprechendste Option für ein möglichst kleines, aber unvermiedliches Wahldesaster zu wählen - und diese Option heißt Bajnai (
hier im PL-Interview). Um dem Führungsanspruch der MSZP-Kader, der auf die Bestrebungen der gemeinsamen Opposition durchaus zusätzlich selbstzerstörerisch wirkt, den Wind aus den Segeln zu nehmen, schlug Bajnai nun eine Art amerikanischen Vorwahlkampf vor. Die beiden Protagonisten sollten eine zweiwöchige Bewerbungstour absolvieren, sich dann in TV-Duellen duellieren und anschließend über namhafte Umfrageinstitute den Anhängern die Bewertung ihrer Performance überlassen. Bajnai rechnet darauf, dass das Lager der Unentschlossenen ihm so zu dem Punktezuwachs verhilft, der ihm aufgrund der kleineren Anhängerschaft seiner jungen Bewegung in derzeitigen Umfragen noch fehlt.

Austausch von Ultimaten

Bei der MSZP kam der Vorschlag Bajnais, an den dieser einen Termin für eine Rückantwort koppelte, wie ein Ultimatum vor. Es ist auch nichts anderes. Die "Sozialisten" antworteten verschnupft, dass, wenn Bajnai auf diesen Vorkampf einschließlich der quasi virtuellen demographischen Befragung bestehe (die MSZP will eine direkte Befragung, also Urwahl und spekuliert dabei auf ihren höheren Organisationsgrad), man die Kooperation auch ganz bleiben lassen könne, immerhin sehe die MSZP in der Gyurcsány-Partei DK, den "Sozialdemokraten" und der neuen liberalen Partei von Ex-SZDSZ-Chef Fodor genügend andere Partner. Freilich sind diese nur Splittergruppen (fast) unter der demographischen Wahrnehmungsgrenze und die Personalie Gyurcsány ist geradezu ein Garant für eine rauschende Wahlniederlage. Bajnai bliebe so nur die äußerst wackelige Zusammenarbeit mit kleinen grünen Gruppen, Bürgerrechtlern und Facebook-Bewegungen, doch selbst Parteien wie 4K! sowie die Reste der gespaltenen Grünen (LMP) wollen von ihm nichts wissen.

Die politische Rechte ist gleichgeschaltet

Während sich die demokratische Opposition im "freindly fire" verzehrt, hat Orbán auf der rechten Seite diese Probleme nicht, schon vor den Wahlen 2010 räumte er jede Konkurrenz im "bürgerlichen" bis nationalistischen Lager beiseite, die Jobbik dient - als zwar unappetitliche, aber zuverlässige - rechte Flügelstütze, bei der man sich stimmlich bedienen kann, in dem man ihre Themen bedient, die aber auch Gewähr dafür leistet, dass unzufriedenes Volkssentiment in die "rechten" Bahnen gelenkt wird und so nicht als Stimmguthaben auf die Seite der Hauptfeinde - und die stehen links - wandert. Interne Kritiker gibt es beim Fidesz nicht, die parteiinterne Debatte ist angesichts der dominanten, cäsarengleichen Stellung Orbáns toter als tot, die Opposition immernoch halbtot, was dem Begriff Urnengang eine wahrhaft ironische Facette verleiht. Nicht zuletzt sorgen auch diverse
Veränderungen im Wahlrecht, den Wahlkampfvorschriften sowie die mit Wahlrecht ausgestatte 5. Kolonne in den Vortrianongebieten für eine gewisse elektorische Sicherheit.

Den Ungarn ist es egal, ob sie inoffiziell oder verfassungsmäßig betrogen werden

 

Selbst eine friktionsfreie Vereinigung der Mitte-Linkskräfte würde an der Grundgemengelage so schnell nichts ändern, 23 Jahre politisches Karusselfahren haben rund die Hälfte des Wahlvolkes so schwindelig gemacht, dass man lieber nichts mehr als wieder das Falsche wählt. Man lebte praktisch immer in einer halbdemokratischen Kleptokratie, ob nun inoffiziell oder - wie heute - durch eine Verfassung verankert. Der Staat und die ihn regierenden Parteien versagte stets darin, die grundlegenden Lebensbedürfnisse der Mehrzahl der Menschen zu sichern, den Rahmen für ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen und ein auf gleichen Chancen, Pflichten und Rechten basierendes Gemeinwesen aufzubauen.

Der offene Raubzug der jetzigen Machthaber reicht daher als Argument für deren Abwahl einfach nicht mehr aus. Erst wenn eine Kraft auftaucht, die den staatliche Grundauftrag glaubwürdig übernehmen kann und dies auch noch so artikuliert, dass es die Volksmasse, die zwischenzeitlich nicht unbedingt klüger wird, auch versteht, also einen wirklichen Ausweg bietet, besteht die Chance auf einen Systemwechsel. Allein die Beschreibung dieser Anforderung macht deutlich, in wie weiter Ferne ein solcher Regimewechsel, der nichts weniger als eine Neubesinnung des Volkes und seiner Repräsentanten voraussetzt, liegt.

cs.sz. / m.s.

Seit Monaten stagnieren die Wahlumfragen der meisten Institute: Knapp 50% wissen nicht, wen sie wählen sollen oder wollen gar nicht wählen. Vom Rest erhält das Fidesz rund 50%, 23% die MSZP, 14% Jobbik, 8-10% gehen an G2014, den Rest teilt sich der Rest. Was würden die Pester Lloyd-Leser wählen? Unsere Wahlumfrage läuft seit Januar, machen Sie weiter mit:
Qual der Wahl?
Wen würden Sie wählen, wenn jetzt in Ungarn Parlamentswahlen wären?
 Fidesz-KDNP
 MSZP
 Jobbik
 LMP
 DK
 "Gemeinsam 2014"
 Eine andere Partei
 Ich würde gar nicht wählen

 

Kurzerklärungen zu den Parteien:
Fidesz-KDNP: Bürgerbund-Christdemokraten, national-konservativ, aktuelle Regierungsparteien
MSZP: Ungarische Sozialistische Partei, sozialdemokratisch
Jobbik: “Bewegung für ein besseres Ungarn”, neofaschistisch
LMP: “Eine andere Politik ist möglich”, grün-liberal
DK: Demokratische Koalition, MSZP-Abspaltung von Ex-Premier Gyurcsány, sozialliberal
Gemeinsam 2014: offene Wahlallianz von Ex-Premier Bajnai, der Gewerkschaftsbewegung “Szolidaritás” und der Bürgerbewegung “Milla, Mitte-Links

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