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(c) Pester Lloyd / 34 - 2013   FEUILLETON 23.08.2013

 

Des Sultans Innereien

Das Grab Süleyman des Prächtigen in Ungarn soll eine Pilgerstätte für Türken werden

Die zwiespältige Beziehung der Ungarn zu den Osmanen / Türken erfährt unter der Orbán-Regierung eine neue Wendung. Die "Türkenherrschaft", also die Jahrhunderte der Besetzung durch die osmanischen Herrscher bis 1688, war bis dato eine klar umrissenes Kapitel im großen (Märchen)Buch der nicht endenden Fremdbeherrschung des Magyarentums, des Kampfes zwischen Christen und Moslems, Gut und Böse. Jetzt wird Freundschaft verordnet, mit ökonomischen und politischen Hintergedanken.

Die geschlagenen Schlachten gegen die Osmanen, ob gewonnen oder - wie meist - verloren, gelten bis heute als Beleg für den aufopfernden Kampf der Ungarn für das gesamte europäische Christentum, das praktisch untergegangen wäre, hätten sich die tapferen Ungarn nicht in Mohács, Belgrad und Szigetvár dem Türken entgegengeworfen und jahrhundertelang das Joch erduldet. Nur wenig gibt man offiziell zu, dass die orientalischen Einflüsse auch befruchtend wirkten, sei es im Handel und Handwerk, in der Architektur oder der Wissenschaft. Das ungarische Wort für Universität, egyetem, gleicht nicht von ungefähr dem türkischen Begriff für Bildung, eğitim. Dafür gibt es einen tieferen Grund...

Sultan Süleyman I., genannt der Prächtige

Was hatten die Mauren in Spanien, was die Osmanen in Ungarn nicht hatten?

Zwar gibt es auch heute nicht wenige Zeugnisse der Türkenzeit im Karpathenbecken, allerdings spielen sie im touristischen Programm der Tourguides so gut wie keine Rolle, anders als z.B. in Andalusien, wo die vielfältigen und prächtigen Spuren der maurischen Zeit als eine der prägendsten Epochen nicht wenig zum Heimatstolz der Einwohner beitragen. Nicht, dass die Mauren / Araber dort als uneigennützige Gutmenschen aufgetreten wären, sie waren brutale Besatzer und kompromisslose Geschäftsleute, so wie die einheimischen Machthaber, sie ließen aber - im Unterschied zu ihren katholischen Kontrahenten - andere Religionen gelten, die Menschen nach ihrer Facon leben, freilich im Rahmen der Machtstrukturen und natürlich zum eigenen Nutzen. Die intellektuelle und interkulturelle Befruchtung dieser Zeit sucht bis heute Ihresgleichen. Die Bilanz der katholischen Rückeroberer kennt diese pragmatische Toleranz nicht. Juden, Moslems, sogar konvertierte und Zigeuner wurden verfolgt, vertrieben, gemordet. Andalusien konnte nie wieder an den Glanz der Kalifatszeit anschließen.

Die Schlacht um Szigetvár von 1566 in einer zeitgenössischen, osmanischen Darstellung

Dass diese Konstellationen in Ungarn während der Besetzung andere waren, lag sowohl am inneren Zustand der osmanischen Welt als auch am geringeren Potential in Ungarn selbst, das damals praktisch nur aus Bauern bestand. Auch hier kannten die christlichen Sieger nach der Rückeroberung kein Erbarmen, viele kennen die Moschee am Hauptplatz in Pécs, in deren Halbmond die Reconquistatoren das Christenkreuz rammten, ein eindeutiges Statement. Viele andere bauliche Zeugnisse der Zeit wurden gänzlich getilgt. Eine Ausnahme bildet der nördlichste Wallfahrtsort des Islam, die Türbe, also Grabstätte des Gül Baba in Buda, in der dem Missionar, Dichter und Gelehrten des 16. Jahrhunderts, dem sog. Rosenvater gedacht wird. Hier mehr dazu.

Szigetvár sucht die Innereien des großen Sultans

Geht es nach dem Bürgermeister des östlich von Pécs gelegenen Städtchens Szigetvár, kommt bald eine weitere islamische bzw. osmanische Pilgerstätte hinzu, die vor allem für die Türken von Bedeutung ist. In den Mauern der Stadt ruhen nämlich die Überreste des Sultan Süleyman I., genannt der Prächtige (1496 bis 1566), der ebenda 1566 in einer wichtigen Entscheidungsschlacht kurz aufgehalten wurde und während der letztlich erfolgreichen Belagerung der Burg starb.

Bürgermeister János Kolovics, Mitglied der mit Fidesz mitregierenden Christdemokraten, KDNP, lässt - mitfinanziert durch das türkische Kulturministerium - fieberhaft nach der verschollenen Grabstätte des Sultans fahnden, die ungefähre Lage hat man identifiziert und erhofft dort Überreste des großen Eroberers zu finden, vor allem meint man, die inneren Organe des 10. Herrschers des Osmanenreiches lokalisiert zu haben, hieß es auf einer Pressekonferenz.

Die alte Burg von Szigetvár, Schauplatz einer großen Schlacht im 16. Jahrhundert

Zusätzlich sollen in der Burg von Szigetvár die Überreste des osmanischen Forts bzw. einer Palastanlage weiter freigelegt und gründlich restauriert werden. Ein Denkmal für den Sultan an der vermuteten Grabstelle bzw. dem Fundament einer alten Moschee gibt es schon, auch das wurde von Ankara mitfinanziert und nennt sich "Park der ungarisch-türkischen Freundschaft". Alles zusammen soll dann eine Art Pilgerort für Türken ergeben, denn, so der Bürgermeister "der wirtschaftliche Boom in der Türkei bietet auch unserer Stadt ein großes Potential".

Den Weg für diese multireligiöse Geschäftigkeit des "Christdemokraten" macht die "Ostöffnung" frei, jene nationalstrategische Offensive der Orbán-Regierung, die durch Annäherung, manche sagen, Anbiederung an "östliche Partner" von der Türkei über Saudi-Arabien, Kuwait, Aserbaidshan bis nach China, die von den Nationalkonservativen als erdrückend kommunizierte Abhängigkeit Ungarns von der EU verringern und neue Handelswege eröffnen soll. Den Ungarn wird diese manchmal nicht leicht nachvollziehbare Neuorientierung durch eine diffuse Legendenbildung schmackhaft gemacht: Rund um die Herkunft dieses "einzigartigen" Volkes begibt man sich auf die Suche nach den Links zu den Turkvölkern, den Steppensöhnen des Ural und den Berglöwen des Kaukasus.

Der “Park der türkisch-ungarischen Freundschaft”. Nationalkitsch erinnert in seiner Ästhetik frappant an die Werke des real existierenden Sozialismus...

Magyarische Herrenmenschen und iranische "Freunde"

Freilich streift man bei dieser Suche regelmäßig in Territorien des Rassenwahns und selbst
die oberste Führungsriege des Landes ist dabei nicht frei von Blut-und-Boden-Gefasel, das ihren Höhepunkt in durchaus alltags- und medientauglichem Schwachsinn gipfelt, wie der behaupteten Verwandschaft der Magyaren von den frühpersichen Parthern, deren vornehmster Prinz ein gewisser Jesus war. Man mag schmunzeln, aber der Protagonist dieser "These" wurde im Vorjahr vom Bildungsminister mit einem hohen staatlichen Orden bedacht, die sagenumwobene Runenschrift dient immer häufiger als alternatives Ortseingangsschild, völkische Ritualtreffen haben regen Zulauf, wobei dort die Grenze zu einer Rassentheologie und Herrenmenschenattitüden kaum mehr existiert.

Sogar die ungarischen Neonazis können sich mit islamischen Ländern anfreunden, wenn sie nur diktatorisch und westfeindlich und vor allem antijüdisch und antiisraelisch genug sind, wie das iranische Regime, zum Beispiel. So schmieden Jobbik-kontrollierte Orte Städtepartnerschaften mit iranischen Gemeinden, der Bürgermeister von Gyöngyöspata, jener Ort, in dem man mit Gewalt versucht hatte, die Romaminderheit zu vertreiben, hat auf seinem Schreibtisch eine iranische Flagge stehen. Doch auch Regierungsdelegationen reisten bereits nach Persien, auf der Suche nach "alternativen" Geschäftspartnern. Dass der Suchende dem Gesuchten dabei immer ähnlicher wird, sah man schon an Beispielen und Unfällen mit den neuen Freunden aus China, Oman, Saudi-Arabien, Kuwait und Aserbaidshan (mehr in:
Geschäfte mit den Prügelscheichs, darin auch weiterführende Links zu allen anderen neuen Partnerländern) und gerade erst betonte der weißrussische Diktator seine tiefe Freundschaft, die ihn mit Ungarn verbindet...

Größenwahnsinnige Herrscher, Geschäftssinn und Widerstandskultur

Ist die verordnete neue Freundschaft mit der Türkei, zu der auch der bedingungslose Einsatz für deren alsbaldige EU-Mitgliedschaft gehört, da mehr als ein weiterer geheuchelter Vorwand für den Zugang zu einem vielversprechenden Markt, das Hecheln nach einem kleinen Vorteil? Wer alle paar Minuten auf die "christlichen Werte", ohne die Europa angeblich dem Untergang geweiht sei, trommelt, wie ernst ist es dem mit einem sich als islamisch bezeichnenden Staat? Mit der neuen Annäherung
tut man zwar das Richtige, das aber unter falschen Vorzeichen und mit nicht gerade hehren Zielen.

 

Nicht wenige Parallelen weisen immerhin die Machtstile von Erdogan und Orbán, unseren neuzeitlichen Möchtegernsultanen auf: überschäumender Nationalismus, grenzdebile Frömmelei, Demokratieverachtung und Rechtsstaats-Scharlatanarie, dazu eine peinliche Eitelkeit und Rachsucht am Gegner, Größenwahn und Kleingeistigkeit in vollendeter Vereinigung. Mit Grausen erinnern wir uns an die Solidarisierung der ungarischen Regierung mit dem Knüppelregime im Juni dieses Jahres. Orbán sollte von Erdogan noch lernen, wie man wenigstens die Wirtschaft zum wachsen bringt und bei all dem politischen Gegeifer trotzdem noch einem Staatsmann ähnlich sieht.

Die normalen Ungarn aber könnten von ihren neuen türkischen Freunden, so sie denn nach Szigetvár bzw. Zigetvar Kuşatması strömen, um des großen Sultans Innereien zu bewundern, ein wenig den Geschäftssinn des kleinen Mannes und die Istanbuler Widerstandskultur übernehmen. Und wenn dann noch hängenbleibt, dass "Fremdes" nicht immer auch gleich "Schlechtes" ist, dann könnte Ungarn vielleicht tatsächlich von der Ostöffnung profitieren.

a.l., m.s.

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