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(c) Pester Lloyd / 37 - 2013   FEUILLETON 12.09.2013

 

Leben, dem Tod so nah

Die Ikone und der "Märtyrer”: Marc Chagall und Imre Ámos "Zwischen Krieg und Frieden" in Budapest

Am Freitag, den 13. Spetember, eröffnet die Ungarische Nationalgalerie im Budaer Schloss eine Ausstellung mit Werken von Marc Chagall, die man mit "Zwischen Krieg und Frieden" überschreibt. Den ungarischen Aspekt steuert das Oeuvre des Imre Ámos bei, hier auch der "ungarische Chagall" genannt, dessen brutales Ende einen wachrüttelnden Kontrast zur bohemiesken Leichtigkeit Chagalls ergäbe, wenn die Macher der Schau bei ihren Deutungen nicht im Ungefähren blieben: den Mord im  Holocaust als Märtyrertod zu bezeichnen, ist mehr als ein Formfehler...

La vie - das Leben, ein zentrales Werk Chagalls.
Der ihn accompagnierende Ámos zeigt in seinen Werken, wie nah der Tod dem Leben ist.

Das Erkennen der eigenen religiösen Identiät im Umfeld wachsenden Antisemitismus` und ihre Verarbeitung im künstlerischen Werk, das sind Schwerpunkte in den Arbeiten wie im Leben von Chagall und Ámos,. Die Kuration der Nationalgalerie bemüht sich in ihrer Einleitung zur Schau nicht allzu flach zu wirken, aber auch ja keine Verweise ins Hier und Jetzt zuzulassen, es ist immerhin die Nationalgalerie, in deren Hintergrund die "Akademie der Künste" des Großinquisitors Fekete steht.

Man stellt beide Künstler gegenüber: als den "alten Meister Chagall, der Alles und Jeden überlebte und Ámos, der junggestorbene Märtyrer". Ámos ein Märtyrer? Märtyrer opfern sich freiwillig für die eigene "Sache", Ámos war Jude in Ungarn, zur falschen Zeit am falschen Ort wie (fast) alle Juden zu (fast) allen Zeiten und Orten, der für eine andere "Sache" gemordet wurde, in einem KZ in Sachsen, 1944. Ist der Begriff ein Lapsus oder steckt dahinter ein Prinzip?

Chagall, eine Ikone des Modernismus, der französisch-russisch-jüdische Berufsbohèmien, war schon vor der Oktoberrevolution auch in Paris unterwegs, ein guter Geschäftssinn, die richtigen Kontakte, die beflügelenden Wellen der Zeit spülten ihn nach oben. Er floh nicht, er verlegte seine Wohnsitze von Zeit zu Zeit. Sein umfangreiches, schon zu Lebzeiten überkommerzialisiertes Werk schwankt zwischen atemraubender Genialität und illustratorisch-frömmelnden Kinkerlitzchen, es ist unter Puristen umstritten, von den Fans vergöttert, seine Bedeutung für die Kunstwelt außerordentlich bis ikonisch, in jedem Fall unbestreitbar.

Chagall überlebte auch, weil er das Geld und die Kontakte dazu hatte, Lebensglück? Ámos (auf dem Foto mit seiner Frau) blieb immer seinem Heimatland, der ungarischen Scholle verbunden, bis sie ihn tötete. Er gehörte u.a auch zur Künstlerkolonie in Szentendre, konnte noch 1936 Mitglied einer Künstlergesellschaft werden und wurde 1938 - als Jude - in den "Nationalen Salon" aufgenommen, schon 1940 - bei der dritten Verschärfung der Judengesetze unter Horthy - jedoch wieder entfernt und gesellschaftlich kaltgestellt, 1944, wie praktisch alle rund 600.000 ländlichen Juden, deportiert, die Deutschen konnten ihre Waggons kaum so schnell füllen, wie ihre ungarischen Handlanger "lieferten". In seinen nur knapp 15 künstlerisch aktiven Jahren betätigte sich der 1907 in Nagykálló Geborene zunächst als Rippl-Rónai-Jünger, dann als Chagall-Epigone. Als die Zeiten finsterer wurden, besann er sich auf seine Herkunft und reflektierte das bald vernichtete jüdische Leben in seinem Heimatort. Erst jetzt entstand seine Eigenart, entwickelte sich der eigene Stil, wuchs aus dem Maler der Künstler - und wurde getötet.

Der russische Emigrant und der ungarische Jude, deren Geschichten auch das Schicksal vieler Osteuropäer spiegeln sollen, wie uns die Nationalgalerie vorkuratiert. Ámos traf Chagall ein einziges Mal, im Oktober 1937, es soll ein "vierstündiges, sehr inspirierendes Gespräch" gewesen sein. - Die Nationalgalerie durfte sich über sechzig Chagalls aus dem Pariser Musée du Luxembourg kommen lassen, in dem Ende Juli eine große Chagall-Shau zu Ende ging. Gezeigt werden Szenen aus Chagalls weißrussicher Heimat bis hin zu den bekannten Bibelillustrationen. Als "wirkliche Sensation" bietet man dem Besucher ein drei mal vier Meter hohes Gemälde, das aus Saint-Paul de Vence, dem kleinen südfranzösischen Städtchen, in dem Chagall die letzten zwanzig Jahre seines Lebens verbrachte, das erste Mal den Weg ins Ausland findet. Dabei handelt es sich um "La vie", das Leben, das man als ein Schlüsselwerk des Meisters, eine Art Kurzbiographie von 1964 erkennen kann. Dieses Werk allein schon lohnt den Weg in die Budaer Burg.

“Dunkle Zeiten VIII”, von Imre Ámos

Dem Besucher sei empfohlen, erst die Chagall-, dann die parallel laufende Ámos-Ausstellung zu besuchen, deren Werke weitaus düsterer, weil der Realität nachgebildet, sind. Der Horror der Verfolgung, des Heimatverlustes, bis hin zu den Arbeitslagern und der kommenden Vernichtung tritt hier unverblümt und unverziert und nicht getröstet durch Bibelworte und -szenen zu Tage. Man kann die Ausstellung natürlich auch umgekehrt besuchen, belügt sich damit aber selbst. Unsere Kuratoren an der Nationalgalerie wagen keinen Tiefgang, verleugnen den auf der Hand liegenden Schwenk ins Heute, wie sollten sie auch, geht es doch "nur" um Kunst. Sonst hätten sie der Doppelausstellung konsequenterweise den Titel "Zwischen Leben und Tod" geben müssen. Oder "Glückspilz und Pechvogel", wenn man schon den Wahnwitz vom "Märtyrer" zu Ende denkt.

Man begnügt sich in der offiziösen Einrichtung mit den "zwei Schicksalen", die "von der Geschichte der europäischen Juden und letztlich der Menschheit im 20. Jahrhundert" erzählen, die "Poesie und Drama, Humor und Tragödie, Glück und Verzweiflung, Freude und Horror" über den Kontinent brachte und somit abgeschlossen scheint, so als machten Barbarei, Intoleranz und Terror an einer Datumsgrenze halt, als wäre Mord ein "Schicksal", als stünden wir nicht immer "Zwischen Krieg und Frieden", Leben und Tod.

Dass "Superminister" Balog die Ausstellung am Donnerstag persönlich eröffnet hat, zeigt, dass die Regierung sich das "Ausstellen" jüdischer Künstler gutschreiben lassen will, hier treibt hoffentlich das schlechte Gewissen (das eines voraussetzt) an, denn Balog und seine Regierungskollegen haben es mehr als einmal verbockt und in ihrer Politik "Zwischen Krieg und Frieden" schon des öfteren die Orientierung verloren, wenn es um
klare Abgrenzung und Taten, statt Worte ging. Man kann sicher sein, dass Balog bei der Eröffnung die richtigen Worte fand....

ms.

Bis 5. Januar, Infos unter: http://www.mng.hu/

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