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(c) Pester Lloyd / 37 - 2013   NACHRICHTEN 11.09.2013

 

Auf den rechten Weg...

Opposition in Ungarn warnt vor rechtsradikaler "Gehirnwäsche" von Kindern im "Ethik"-Unterricht

Hinsichtlich des neu eingeführten "Ethik"-Unterrichtes als Alternative zum Religionsunterricht in Grundschulen, regt sich nun erster Widerstand. Die Mitte-Links-Partei "Gemeinsam 2014 / Dialog für Ungarn" verlangt die Rücknahme des für die fünften Klassenstufen vorgesehenen Lehrbuches. "Einige Passagen darin sind schlicht unzulässig", stellt der Bildungssprecher der Partei fest und müssten als Versuch des "rechten Autors" gesehen werden, den Kindern eine "Gehirnwäsche" zu verpassen.

Dieser Autor ist Ferenc Bánhegyi, Geschichtslehrer und seit längerem Verfasser von Unterrichtsmaterialien, der vornehmlich Klassenreisen in die "besetzten Gebiete" des Karpatenbeckens, also das Vortrianon-Ungarn organisiert. Auf seinem Internetblog verbreitet er, neben der üblichen ahistorisch-revanchistischen Weinerlichkeit hinsichtlich des Themas Trianon, eine Reihe haarsträubender Verschwörungstheorien zu verschiedenen Aspekten der ungarischen Historie, die im Duktus dem rechtsradikalen Spektrum zuzuordnen sind, zu der u.a. auch die Leugngung der finno-ugrischen Sprachverwandschaft gehört, die aber bis hin zu “Fragen” nach dem “jüdischen Einfluss” auf verschiedene geschichtliche Ereignisse in Ungarn gehen.

Ein Vertreter dieser spirituellen Geschichts”wissenschaft” wurde von Minister Balog vor einem Jahr mit der höchsten staatlichen Wissenschaftsehrung bedacht, Bánhegyi schrammt - in Summe seiner Verlautbarungen - nur knapp am offenen Bekenntnis zur gängigen Rassentheologie vorbei und trifft sich letztlich beim offiziellen Blut-und-Boden-Geschwafel des Ministerpräsidenten, mit dem er die rechte Flanke abdecken will. Der offene Revanchismus, die Idee des Völkischen gibt es schon als Gute-Nacht-Geschichten für kleine Kindern (siehe vorheriger Link), warum also nicht auch als Lehrbuch für die Größeren?

Offen angreifbare Textstellen im Lehrbuch sind u.a. die unreflektierten und klar ideologisch konnotierten Einordnungen wie “die Führer der kommunistischen Räterepublik stammten aus dem Judentum” oder “...deswegen sind die ungebildeten Zigeunerkinder in der Mehrheit...”. Fachleute kritisieren, dass Bánhegyi letztlich die gesamte ungarische Geschichte “von Stephan I. bis Ferenc Gyurcsány als die Geschichte einer einzigen großen Verschwörung” darstellt.

Ein Schulbuch dieses Autors wurde sogar unter der ersten Fidesz-Regierung, nach Elternprotesten, zurückgezogen. "Gemeinsam 2014" weist zudem auf ein persönliches Nahverhältnis zu derjenigen Abteilung der Schulbehörde hin, die die Aufträge für die Schulbücher vergibt, das einmal zu prüfen wäre. Der "Dialog für Ungarn"-Abgeordnete Karácsony ging noch einen Schritt weiter und sagte, dass "eine unmoralische Autorität unseren Kindern nicht Ethik lehren" soll. Die Pflichtschulzeit diene der Vermittlung von Basiswissen, einschließlich sozialer Fertigkeiten. Religionsunterricht sollte fakultativ bleiben.

Doch Bánhegyi nutzt genau den Ethik-Unterricht für seine eigene Religion und beschwört - u.a. auf seinem Blog - das allgemeine Chaos herauf, wenn sich die Jugend vom christlichen Pfad entfernt. Überall herrsche (sinngemäß) Sodom und Gomorrha, die Jugend ist von Verlockungen durch Alkohol und diverse “Männer” ausgeliefert, Drogenhändler und “Sekten” lauern auf dem Schulweg. Das alles lehrt Bánhegyi, manchmal subtil, manchmal plump in seinem “Hexenhammer”. Sein Lehrbuch, so schreiben Fachkritiker, lehrt nicht Ethik, sondern treibt verängstigte Kinder in die Hände des frömmelnden Nationalismus, auf den “rechten Weg”, vom Staat genehmigt und finanziert. Daraus lässt sich schließen, dass für Atheisten oder Agnostiker oder andere Eltern, die ihren Kindern eine eigene, freie Willensbildung überlassen möchten, ein zünftiger Religionsunterricht weniger Schaden anrichten dürfte als der “Ethikunterricht” á la Bánhegyi.

Unabhängig von den geschilderten Entwicklungen war auch der bisherige Geschichtsunterricht (auch unter nicht-nationalen Regierungen) sehr mangelhaft und eher eine Art selektiver Heldenunterricht, in dem großungarische Sagen vor historischen Fakten dominierten, die Geschichte Ungarns nicht als Geschichte des Volkes, sondern nur ihrer Herrscher erzählt sowie der heute dominierende Opfer- und Fremdherrschaftsmythos gepflegt wurde.

 

Seit der "nationalkonservativen Revolution" erlebt die Vereinnahmung des Unterrichts für die Vermittlung von Ideologie eine Renaissance, vieles erinnert an die Kádárzeit, nur unter anderen Vorzeichen. Dazu zählen neben dem Trianon-Komplex u.a. die Verharmlosung der Horthy-Zeit, die Aufnahme von Blut-und-Boden-Schriftstellern (Nyirö, Wass) mit teils offen antisemitischen Karrieren in den Rahmenlehrplan, die Wiedereinführung von Fahnenappellen zu nationalen Anlässen (Trianon-Gedenktag), das verpflichtende Absingen einer "Zusammenhalts"-Hymne für die Ungarn "im Karpatenbecken", staatlich finanzierte "Wallfahrten" an "heilige Orte des Ungarntums" (Széklerland) etc., aber auch die zwangsweise Eingliederung der Lehrer in eine staatlich inszenierte Einheitsgwerkschaft sowie das neue “Karrieremodell” erinnern nicht wenig an vergangen geglaubte Zeiten.

al., red.

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