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(c) Pester Lloyd / 37 - 2013   WIRTSCHAFT 09.09.2013

 

Wer ist der weniger Grausame?

Hartes Ringen um die Stimmen der Rentner in Ungarn

Bei einem oppositionellen Runden Tisch zum Thema Rentner und Altersarmut versprach Ex-Premier Gordon Bajnai, den "sozialen Friedhof", den die jetzige Regierung errichtet habe, einzureißen. Er will arbeitsrechtliche Schikanen beenden, ein würdiges Existenzminimum einführen und einen Dialog der Generationen. Doch die Rentner erinnern sich an Bajnai nicht als Freund der Alten, sondern als Vernichter der 13. Monatsrente, als Sparkommissar. Die Fidesz-Regierung haut entsprechend drauf, - sollte aber lieber in sich gehen.

Als erstes will der Gorodn Bajnai (Foto), Kopf der Mitte-Links-Allianz "Gemeinsam 2014 / Dialog für Ungarn", das grundsätzliche Arbeitsverbot von Menschen im Rentenalter im öffentlichen Dienst wieder abschaffen, auch die sog. "Sozialbegräbnisse", bei denen Angehörige, so sie die Kosten für eine Beerdigung nicht tragen können, zur Mithilfe, sprich Grab schaufeln und sogar Leichenwäsche, mit einbezogen werden, will er als unwürdig beenden. Ihm sei es wichtig, dem Alter die Würde und Anerkennung in der Gesellschaft wiederzugeben, die es verdient, schließlich profitiert das Land auch von der Lebens- und Berufserfahrung dieser Bevölkerungsgruppe.

Keine übereilten Versprechungen

 

Ob er auch die Umstatuierung der Frührentner zu Gehaltsempfängern (alle Details in den Links unter diesem Beitrag) mit Steuerpflicht zurücknehmen lassen will, konkretisierte Bajnai nicht. Er bedauerte, dass die Wirtschaftspolitik der Orbán-Regierung, die Hunderttausende junge Leute zum arbeiten ins Ausland treibt, weshalb nicht nur das ungarische Wirtschaftswachstum, sondern auch die Rentenkasse empfindliche Einbußen hinnehmen muss. Auch hinsichtlich der Verwendung der beschlagnahmten Rentenbeitrags-Milliarden, könnte der Regierung in einigen Jahren ein peinlicher Offenbarungseid bevorstehen (siehe erster Link unter dem Text). Bajnai verspricht vernünftigerweise nicht pauschal irgendwelche Rentenerhöhungen, denn bei den geringen Gehältern und dem ungarischen "Standardmodell" der Einstellung auf Mindestlohn (+ Rest schwarz) sowie eingedenk des demographischen Wandels, werden noch einige Regierungen schwierige Rechenaufgaben hinsichtlich der Rentenkasse zu lösen haben.

Bajnai will ein "Komm nach Hause"-Programm starten, sobald er an der Macht ist, die Förderung der Jungen helfe letztlich auch den Alten. Die Generationen müssten sodann in einen Dialog treten, dessen Ziel es sein muss, die Belastungen für die arbeitenden Schichten ausgewogen zu gestalten und gleichzeitig jedem Rentner ein würdiges Minimum an Lebensstandard zu bieten, was auch Reformen im Gesundheitswesen einschließe.

Besonders kritisierte Bajnai den Umgang mit behinderten und invaliden Menschen. Es sei zwar berechtigt, den Grad der Invalidität (mit dem in der Vergangenheit oft Schindluder getrieben wurde) zu überprüfen, gleichzeitig müsse man aber auch für genügend angepasste Arbeitsplätze sorgen und darf diese Gruppe nicht pauschal in den Verdacht des Schmarotzertums bringen. - Trauriger Höhepunkt der sozialen Kälte in Ungarn, waren die Debatten (und Beschlüsse) aus dem Vorjahr, als es um die Einschränkung von Krebstherapien aus budgetären Gründen ging, nebst euthansaschien Selektionsdirektiven, was zwar nicht nur Alte, aber diese doch häufiger als Junge betrifft. Bajnai sparte diesen Punkt - nach Berichtslage - aus.

Regierung: den Rentnern geht es besser als je zuvor

Die Antwort der Regierungspartei kam wie immer umgehend und gewohnt plump: Die ungarischen Rentner wüssten, dass Bajnai ihnen nichts anzubieten hat, denn er interessiert sich für ihre Lage gar nicht. Die Renten seien unter den "Gyurcsány-Bajnai"-Regierungen nicht gestiegen (sie sind real gesunken), während sich die Gaspreise verdreifacht, die Strompreise verdoppelt hätten. Die damals verpflichtende private Säule der Rentenversicherung, mit der man die "Ersparnisse der Rentner in ausländische Fonds" transferiert hätte, seien "kurz vor dem Kollaps" gestanden (Fidesz hat die rund 10 Mrd. EUR kurzerhand verstaatlicht, mehr als die Hälfte davon für die Schuldentilgung, einen weiteren Teil für "Sonderprojekte" verausgabt, ob es hier bei einem Machtwechsel eine Revision geben wird und kann, bleibt vorerst offen).

Bajnais Ziel sei die Reduzierung der Lasten der Banken, nicht die der Rentner, liest man in der Aussendung aus dem Fidesz-PR-Büro. Die Orbán-Regierung jedoch habe die Renten "über den Infaltionswert" erhöht, "erlaubt" Frauen, die 40 Arbeitsjahre hinter sich haben die Berentung (Fidesz: sollen auf die Enkel aufpassen, damit die Eltern arbeiten gehen können), den Opfern des kommunistischen Regimes Rentezuschüsse verschafft und die Alltagssorgen aller Menschen, auch der Rentner, durch die gesetzliche Senkung der Wohnnebenkosen: Strom, Gas, Fernheizung, Wasser, Abwasser, Müll, Schornsteinfeger, erleichtert. Mit Beginn dieser Heizperiode werden die Energiekosten nochmals um 11,1% gesenkt (
hier die Reaktion Bajnais darauf), Bajnai habe also nichts vorzuweisen, den ungarischen Rentnern geht es unter Fidesz besser als je zuvor.

Wie geht´s den Rentnern wirklich?

Der Medianwert der Renten lag in Ungarn Ende 2012 bei rund 160.000.- Forint (510.- EUR), was aber nichts darüber aussagt, wie viele Menschen teilweise mit deutlich weniger auskommen müssen. Rund die Hälfte aller Rentner erhalten nämlich zwischen 150.- und 350.- EUR, das bedeutet, dass sie ohne familiäre Hilfe und / oder Erspartes bzw. Wohneigentum kein selbständiges Leben führen können, zumal die Zuzahlungen zu Arzneimitteln stark gestiegen sind und die Lebensmittelpreise mit zweistelligen Zuwachsraten in den letzten Jahren, nebst der europaweit höchsten Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel (18 bzw. 27%) stärker aufs Budget drückt als es die letzte Rentenerhöhungsrunde des Fidesz (5,8%, real also ca. 1,5%, man hatte auch die Wiedereinführung der 13. Rente überlegt, aber da rastete der Kassenwart aus) entlasten könnte.

Rentner sind zudem - genauso wie alle anderen - von Forex-Krediten, Transaktionssteuer (ja, auch Omas Sparbuch und der gelbe Einzahlungsscheck werden mit der "Antispekulationssteuer" belegt) und diversen anderen Steuererhöhungen betroffen. Da das Hinzuverdienen vor allem für die Rentner aus dem öffentlichen Dienst, also auch Lehrer, Krankenschwestern, Sekretärinnen und andere Berufsgruppen mit nicht gerade üppigen Gehältern weitgehend entfällt (es gibt Ausnahmen), hat sich für einige soziale Gruppen die Situation gegenüber den vorherigen Regierungen eher noch verschärft, obwohl auch die sich bei der Fürsorge um die älteren Menschen mit allem, nur nicht mit Ruhm bekleckert hatten.

Für die Rentner, um deren immer mehr werdende Stimmen die beiden großen Blöcke buhlen, stellt sich also kaum die Frage, wer besser für sie ist, sondern nur: wer ist der weniger Grausame...

cs.sz. / red.

Zum Thema:

Verblümte Rente - 2013
Rentenbeiträge: Regierung von Ungarn muss bald die Hosen runter lassen
http://www.pesterlloyd.net/html/1315verblumterente.html

Rente oder Gehalt - 2012
Regierung bestaft arbeitende Rentner durch Streichung der Pension
http://www.pesterlloyd.net/html/1251renteodergehalt.html

K(r)ampf um die Rentner - 2012
Ungarn überlegt Rückeinführung der 13. Rente - Chaos bei Pensionierung mit 62
http://www.pesterlloyd.net/html/1301rente13pension62.html

Rettung oder Diebstahl? - 2011
Ungarischer Regierungschef feiert: "Die Renten sind gerettet!"
http://www.pesterlloyd.net/2011_05/05rentenerledigt/05rentenerledigt.html

Ungarn schafft die Frührente ab - 2011
http://www.pesterlloyd.net/2011_23/23freuhrenteweg/23freuhrenteweg.html

Rentner am Staatstropf - 2010
Regierung droht Bürgern mit dem Entzug des Rentenanspruchs
http://www.pesterlloyd.net/2010_47/47rentenreform/47rentenreform.html

Entlang der Schmerzgrenze - 2011
Versuche von Rentenreformen in Osteuropa
http://www.pesterlloyd.net/2011_04/04rentenOsteuropa/04rentenosteuropa.html

________________

Nullrunde bei Renten in Ungarn - 2009
http://www.pesterlloyd.net/2009_47/0947renten/0947renten.html

Ein Sträusschen Chrysanthemen - 2009
Die Händlerinnen von den Haltestellen: Altersarmut und Lebenswille in Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/2009_45/0944altersarmut/0944altersarmut.html

red.

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