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(c) Pester Lloyd / 38 - 2013   POLITIK 18.09.2013

 

Die Macht der Verzagten

Aktuelle Wahlumfrage: in Ungarn kann alles passieren

Die August-Umfrage des relativ unabhängigen Meinungsforschungsinstitutes Ipsos bestätigt den weitgehenden Stillstand bei der Publikumszustimmung zu den Parteien und die unumstößlich scheinende Führung für die Orbán-Parteien. Doch die Aussagen der Wahlzauderer, der sog. Unentschlossenen stellen nicht nur den Wert der demoskopischen Erhebung selbst in Frage, sondern werfen ein interessantes Licht auf ein mögliches "Umsturz"-Potential und albtraumhafte Parlamentskonstellationen.

In der aktuellen Sonntagsfrage erreichen die Regierungsparteien FIDESZ-KDNP unter den fest zur Wahl entschlossenen Berechtigten mit einer Parteienpräferenz - ebenso wie beim regierungstreuen Századvég Institut - 50% der Stimmen, während die Sozialisten (MSZP) auf die Hälfte, 25% kommen. Die neonazistische Jobbik würde, wären heute Wahlen, mutmaßlich zumindest 11% wählen (3,7 Punkte weniger als 2010!), für die Mitte-Links-Allianz "Gemeinsam 2014 / Dialog für Ungarn" angeblich nur 5% stimmen, was für die Zwei-Parteien-Allianz, für die ein 10%-Hürde gülte, den Nichteinzug ins Parlament bedeutete, gewänne auch kein Direktkandidat. LMP und DK wären mit 4 und 3% ebenfalls draußen. Die Verhältnisse scheinen klar und festgezurrt, über die Mehrheitswahlelemente und die höhere Gewichtung der Direktkandidaten wegen der Parlamentsverkleinerung und einigen anderen Wahl-Schabernack, dürfte sich sogar wieder eine 2/3-Mehrheit anbahnen, die einzig orbánwürdige parlamentarische Konstellation.

Hälfte der Entschlossenen für, Hälfte der Unentschlossenen gegen Orbán

Den Anteil der "unentschlossenen" Wähler setzt Ipsos auf rund 44%, wovon 53% eher dazu neigen, gar nicht zu wählen. 52% dieser 44%-Gruppe will den Regierungswechsel, nur 11% davon wollen Orbán behalten. Von denen, die doch eher zur Wahl gehen würden, sich nur noch nicht für eine Partei entscheiden konnten, wollen 47% eine neue Regierung, 10% die alte, der Rest war sogar in dieser Frage noch unentschieden. Diese Personengruppe ist die interessanteste und die unwägbarste, sie kann sowohl für einen deutlichen Machtwechsel oder auch eine chaotische Blockade des Parlamentes sorgen.

Ein alles blockierendes Patt ist möglich

Diese Annahmen stellen die Aussagekraft der Sonntagsfrage natürlich gegen Null, immerhin ergibt sich doch aufgrund der Unentschlossenen eine Schwankungsbreite von bis zu 20 Prozentpunkten, verteilt über die Parteien. Eine andere Fragesystematik müsste zur Gegenüberstellung her, die z.B. lautet, "Wen würden Sie heute wählen, wenn Sie zur Wahl gingen..." o.ä. Rechnet man nun in Lagern, also Regierung gegen demokratische Opposition, kann man bei Einbeziehung des wahrscheinlichen Stimmverhaltens derjenigen, die "wahrscheinlich doch" zur Wahl gehen, auch ein Bild von 40:40 (jeweils +/-5) zeichnen, wobei Jobbik mit um die 15% dann für eine Mehrheitsfindung im Parlament ausschlaggebend wäre, vorausgesetzt z.B. andere Kleinparteien wie LMP und DK bleiben zu schwach für einen (Wieder)einzug. Doch selbst dann, wäre ein alles blockierendes Patt denkbar.

Würde Orbán sich von Jobbik dulden lassen?

Das wäre eine Konstellation, die sich wohl keine der beiden Seiten wünscht, für Orbán aber wäre es der leibhaftige Albtraum. Von einer erneuten zwei Drittel- über eine absolute Mehrheit, ein "Unentscheiden" bis zur Abwahl ist also alles möglich. Auch eine Fidesz-Minderheitsregierung oder eine große Koalition wären dann - in kultivierten, demokratischen Gemeinwesen - vorstellbar, in Ungarn darf das für die nächsten Jahre als ausgeschlossen gelten, es sei denn Orbán ließe sich mit den Neonazis auf einen Duldungsdeal zum Tausch für politische Zugeständnisse ein. Ipsos könnte einmal fragen, wer ihm dies nicht zutraut, zumal die
Zugeständnisse schon längst gemacht werden, wenn auch noch - überweigend - aus dem Kalkül der Abwerbung heraus.

Ungarn ohne Orbán, das kann sich Orbán einfach nicht vorstellen und diese Rechenmodelle erklären auch, warum die Fidesz-Parteizentrale mit derart schäumender Wut, mit offenen Falschdarstellungen und persönlichen Attacken gegen jede Wortmeldung aus dem Lager rund um Ex-Premier Bajnai reagiert. Es ist die nackte Angst, dass sich das kaum berechnbare Potential im Frühjahr 2014 doch materialisieren könnte.

Mobilisierung der Verzagten: Königsdiziplin des Wahlkampfes

Die Gemengelage zeigt in jedem Falle, dass die Opposition noch viel für die Mobilisierung tun muss, aber offenbar doch das Potential hat, eine Wende aus eigener Kraft, also ohne wesentlichen Zustimmungseinbruch beim Regierungslager zu schaffen, bei dem die Anhängerschaft zwar in Hab-Acht-Stellung zur Verteidigung des Vaterlandes vor der linksliberalen Verschwörung gegen ihre Heimat bereit steht, sich der zusätzliche Zulauf durch eine Wahl- und Mobilisierungskampagne aber in überschaubaren Grenzen halten wird. Ein klein wenig nagt die zu dreist zelebrierte Gier der Fidesz-Leute bei ihren diversen Beutezügen nun doch an den Sympathiewerten. Man müsste sonst auch an der kollektiven Intelligenz unserer Menschen zweifeln...

Diese Unentschlossenen, Verzagten, Frustrierten, Abgewandten vom Sinn eines Wahlganges zu überzeugen und diesen dann noch in die eigene Richtung zu lenken, das ist angesichts der politischen Perfomances der Parteien im Nachwendeungarn keine leichte Übung mehr, sondern die Königsdiziplin geworden. Die flachen Parolen, die uns Links wie Rechts bisher zu bieten hatten, werden für die anspruchsvolle Gruppe der Scharlatanerie-Verweigerer, wie man die sonst so diffamierten "Nichtwähler" auch nennen könnte, nicht mehr genügen.

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red.

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