Hauptmenü

 

KLEINANZEIGEN für UNGARN und OSTEUROPA ab 35.- EUR / 30 Tage!

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / 38 - 2013   POLITIK 16.09.2013

 

Positionierungen

Parteien in Ungarn im Wettstreit um die simpelste Botschaft

Das Wochenende benutzten die maßgeblichen Parteien für die Ausgabe von Parolen und Schwerpunktthemen für den sich zuspitzenden Wahlkampf. Die Regierung setzt auf klare Feindbilder und Angstmacherei, die demokratische Opposition hat außer Zahlen des wirtschaftlichen Niedergangs und "Orbán muss weg!"-Parolen nicht viel zu bieten. Die Politikerkaste scheint sich einig darin, dass das Volk zu einfältig für komplexere Darstellungen ist.

Dem Volk kräftig einschenken: Orbán veröffentlichte dieses und andere Fotos vom “Bürgerpicknick” am Wochenende auf seiner Facebookseite unter dem Album: “Regiekostenkrieg im nächsten Jahr”

Orbán gibt Wahlkampfparolen aus: Endkampf gegen Multis und Sozialisten

Ministerpräsident Orbán scheint sowohl das Wahlvolk als auch die eigenen Mitstreiter nicht mit zu komplexen Problemstellungen befrachten zu wollen. Er rückt für den Wahlkampf 2014 zwei Aspekte in den Mittelpunkt seiner "Argumentation": Geld"geschenke" und der Kampf gegen das Böse. Vor mehreren Hundert Zuhörern bei einem traditionellen "Bürger"-Politpicknick, kündigte er an, dass "2014 das Jahr des Kampfes um die Kostenreduzierungsprogramme der Regierung" sein wird, "Ich erwarte großen Widerstand, sie werden versuchen, die Wohnnebenkosten wieder zu erhöhen", warnt und drohte der Regierungschef, der auf der vorwöchigen Fraktionsklausur gerade die weitere Preisreduktion für Strom, Gas, Fernheizung,
diesmal um 11,1% ab Mitte Oktober verkünden ließ. Sie, das sind natürlich die Multis. Diese sind mit Gesetzen zu stoppen, Energieversorgung müsse ein non-profit-Sektor werden. Auch Feuerholz und Kohle solle verbilligt werden, hieß es.

Gegendemo einer Regierungstreuen beim Saisonauftakt der Sozis in Budapest. Die Polizei musst enicht einschreiten. “Es lebe FIDESZ, Wir sind mit Euch, Orbán ist unser bester Ministerpräsident.”

Wahlen kein Wettstreit zwischen Parteien mehr?

Orbán vermeidet auch bei seinen engsten Kampfgefährten subtilere Argumente. Aus dem
Fraktionstreffen in der Vorwoche überliefert die fidesznahe Zeitung Heti Válasz diese Worte des Premiers: 2014 muss "die Rechte ein letztes Mal gegen die postkommunistische Linke kämpfen". Der "Sieg bei den Wahlen wird die noch existierenden, aber schon vertrockneten Strukturen endgültig beseitigen". "Bei den nächsten Wahlen geht es nicht um den Wettbewerb zwischen Parteien, sondern um die Beendigung des 25jährigen Kampfes" gegen den Postkommunismus. Kurz: der "totale Orbán" schützt Euch, liebe Genossen, davor, dass es in Ungarn je wieder eine Macht geben wird, die euch kontrolliert oder einschränkt. Diese Botschaft dürfte angekommen sein.

Alteresschnitt auf der DK-Versammlung: gefühlte 66. Mit glänzender Begeisterung hingen die Anhänger Guru Gyurcsány an den Lippen. Bei Fidesz sieht es ganz ähnlich aus, nur dass dort auch viele Junge genauso treudoof ihrem Leithammel hinterherblöken. Was muss uns mehr Sorgen machen?

Gyurcsány verteufelt Orbán, macht sich aber zu dessen Wahlhelfer

Orbáns VorVorgänger, Ex-Premier Ferenc Gyurcsány, Chef der MSZP-Abspaltung "Demokratische Koalition" macht sich wenig Mühe, den Menschen Politik- und Lebensalternativen zur Fidesz-Welt zu offerieren oder gar einen Hinweis darauf zu geben, warum sein - 2010 überzeugend abgewähltes - System besser gewesen sein sollte: "Orbán muss verschwinden!" lautete seine simple Botschaft vor einigen hundert Anhängern am Samstag an der "Freiheitsbrücke" in Budapest. Orbán sei kein Mitte-Rechts-Demokrat sondern die "Verkörperung des Despotismus". Also auch hier: Kampf gegen den Teufel. "Wenn wir in einem besseren Land leben wollen, dann muss Ungarns bessere Hälfte siegen...". Gyurcsány wird von seinen - überwiegend älteren - Anhängern wie ein Erlöser gefeiert, seine Partei, die gerade an einer
Kooperation mit der MSZP scheiterte, führt der Ex-Premier wie eine Politsekte.

In einem TV-Interview mit dem Privatsender ATV gestand er am Sonntag zwar ein, dass er schon 2008, nach einer Niederlage bei einer Volksabstimmung "hätte gehen sollen", ihm hätte für den Schritt damals "die Kraft gefehlt", warum er aber immer noch bzw. wieder da ist, mochte er so recht auch nicht erklären, zumal er durch den angekündigten Antritt der DK per Landesliste und in allen Wahlbezirken der demokratischen Opposition rund 2-4 Prozentpunkte Wählerstimmen wegnehmen wird, seine destruktive Politik also auch noch als Kleinstpartei zum Schaden des Landes fortsetzt.

Saisonauftakt bei der MSZP, hier Parteichef Attila Mesterházy. Ohne programmatische, personelle Erneruerung behauptet man den Willen zur Wende und dass es auch nicht wieder so werden soll wie 2010. Na dann, viel Glück, denn das wird man wohl brauchen...

MSZP bereitet sich auf Wahlparteitag vor

Die größte parlamentarische Oppositionskraft, MSZP, hat auf einem Präsidiumstreffen samt Mitgliederauflauf zum Saisonauftakt am Wochenende die Wahlallianz mit "Gemeinsam 2014 / Dialog für Ungarn" (E2014/PM) bestätigt.
Es bleibt also bei dem Deal, wonach die "Sozialisten" 35 der 106 Direktwahlbezirke an die Mitte-Links-Allianz von Ex-Premier Bajnai abtreten, man aber mit zwei getrennten Parteilandeslisten antreten wird. Ebenfalls zurrte man die Abgrenzung zur DK, den Liberalen von Ex-SDSZler Fodor sowie der kleinen "Sozialdemokratischen Partei" fest, mit denen Kooperationsgespräche scheiterten. Die Gedankenspiele darüber seien "nun Geschichte". Das Wahlprogramm und die Kandidaten sollen auf einem Parteitag am 19. Oktober verkündet werden, letztere jedoch ohne Mitsprache der Basis in Form einer Urwahl, die Vorschläge werden vom Vorstand kommen, die Delegierten des Parteikongresses dürfen darüber abstimmen.

E2014/PM begrüßte den Entschluss der MSZP, nun sei "eine wichtige Message an alle ungarischen Bürger ausgesandt, die einen Wechsel wollen: es gibt eine Garantie dafür, dass 2014 keine oppositionelle Stimme verloren geht." Hier widerspricht sich Oppositionsführer Bajnai jedoch, denn vor wenigen Tagen hatte er noch die Absonderung der DK bedauert, nicht politisch, aber doch wahltaktisch und dazu aufgefordert, die DK-Anhänger, die einen Wechsel wollten, doch bitte zu integrieren.

Die Stiftung Bürger für Ungarn lud zum 12. Male zum Picknick: Was wir schon geschafft haben,
was noch nicht... - war die Aufgabe. Orbán gab sich äußerlich kleinkariert,
in seiner Rede ging es aber ums Große und Ganze.

MSZP als Anwalt der Arbeiter und kleinen Angestellten?

Auf einer Pressekonferenz versuchten die MSZPler ein weiteres Mal, die Story vom ungarischen Aufschwung unter Orbán zu demontieren, sich selbst als Anwälte der Arbeitschaft und kleinen Angestellten zu positionieren. Sie lieferten Zahlen, die belegen sollen, dass der Arbeitsmarkt unter der Fidesz-Regierung weiter zersetzt wurde: "Unvorhersehbar und unwahr", so sei die Wirtschaftspolitik, die Senkung der Wohnnebenkosten brächte
nur einen "Bruchteil" dessen zurück, was diese Regierung den einfachen Bürgern an Kosten aufgebürdet habe, so Nándor Gúr bei einer Pressekonferenz am Sonntag.

Es gibt - laut Gúr, der im Arbeitsmarktkomitee des Parlamentes mitarbeitet - heute mehrere Hunderttausend Jobs weniger als 2010, denn 286.000 der in der offiziell verbreiteten Beschäftigtenstatistik als "Fulltime"-Jobber bezeichneten Arbeitnehmer, hätten nur einen 4-Stunden-Job (bzw. sind auf einen ebensolchen gemeldet), 73.000 mehr als vor den letzten Wahlen, mehr als 300.000 arbeiten mittlerweile länger als sechs Monate im Ausland, über 200.000 in Kommunalen Beschäftigungsprogrammen, steuerfinanziert, unter gestzlichem Mindestlohn und ohne Aussicht auf Zugang zum 1. Arbeitsmarkt. Im Schnitt brauchen Arbeitslose heute 18 Monate, um einen neuen Job zu finden, die Maßnahme der Regierung das Arbeitslosengeld nur noch 3 statt 9 Monate zu zahlen, sei daher asozial. Zudem beginne jeder dritte Jugendliche seine Berufskarriere als Arbeitsloser. Die Zahlen mögen beeindrucken, allein, einen Ausweg zeigt auch die MSZP - bisher - nicht auf. Fidesz scheint sich an der unsozialen Prägung ihrer Arbeitsmarktpolitik nicht weiter zu stoßen. In Reaktion auf die Auflistung meinte man: 300.000 Menschen erhielten bisher Jobs unter den kommunalen Beschäftigungsprogrammen, das sei doch toll, so hätten sie "sogar im Winter" ein Einkommen...

Feine Gesellschaft, Quelle ebenfalls Orbáns Facebook-Seite. Grinsend, stehend: Gábor Széles, einflussreicher Regionaloligarch und Herausgeber der regierungstreuen bis rechtsextremen “Magyar Hírlap”, in der Orbáns Freund Zsolt Bayer immer wieder gegen Sozis und Roma hetzt. Rechts: Minister Balog, der sich um die Roma kümmern soll...

Grüne beklagen Abwanderung und warnen vor weiterem Abbau im Hochschulsektor

Auch die Grünen von der LMP (durch den Abgang der halben Fraktion und Neugründung des "Dialog für Ungarn" sichtlich geschwächt), meldeten sich am Wochenende zu Wort und bedauerten, dass die Zahl der Ungarn, die ihr Land verlassen haben, sich seit 2010 verdoppelt habe. Das sei ein eindeutiger Indikator, dass in Ungarn etwas falsch laufe. Während früher die Leute kurzzeitig für besser bezahlte Jobs gingen, gehen sie heute immer häufiger dauerhaft.

Am schlimmsten: wegen der restriktiven Hochschulzulassungspolitik (bzw. damit einhergehenden Verschuldung der Studenten) würden immer mehr junge Menschen schon zum Studium das Land verlassen, von den Hiergebliebenen sei weiterihn jeder Fünfte "bereit" zu gehen, von den Menschen in den Zwanzigern sei es sogar jede Zweite. LMP verwies darauf, dass die Einsparungen bei der Hochschulbildung schon unter Bajnai begonnen hatten, die Orbán-Administration hat diese zeitweise, zwangsläufige Sparmaßnahme jedoch verfestigt, insgesamt sind die staatlichen Zuschüsse zum gesamten höheren Bildungssystem seit der Krise 2008 um 40% gesenkt worden, Ungarn fällt damit europaweit weiter zurück, von der Wissensgesellschaft in den Agrarstaat, sozusagen.

Wettkampf auf der Phrasendreschbühne

 

MSZP und E2014 hatten sich wenigstens schon einmal über inhaltliche Grundsätze für ein Wahl- bzw. Postorbánprogramm geeinigt, der programmatische Aufbruch lässt aber angesichts der strukturellen Zähigkeiten immer noch auf sich warten, auch hier werden die letzten Monate des Jahres darüber entscheiden, ob man mit klar umrissenen Politikalternativen die wahlentscheidende, "schweigende" Mehrheit der Nichtwähler und Unentschlossenen mobilisieren können wird.

Auf der Phrasendreschbühne nimmt man es mit der Regierung schon auf: dem Regierungsslogan "Ungarn macht es besser!" stellt die Mitte-Links-Allianz nun ein "Ungarn verdient es besser!" entgegen. Wie es aussieht, scheinen sich Regierungs- und Oppositionsblock nur in einer Sache einig zu sein: das Volk ist dumm genug, um sich mit Parolen abspeisen zu lassen.

Wahlumfrage

red.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.