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(c) Pester Lloyd / 40 - 2013   GESELLSCHAFT   02.10.2013

 

Unsere Freunde, die Mullahs

Das offizielle Ungarn kann einen "Freispruch" des Iran kaum erwarten

Ungarn sieht sich in einer besseren Startposition bei einer möglichen Wiederaufnahme verstärkter Beziehungen zum Iran als die meisten anderen Länder des Westens. Das erklärte Außenminister János Martonyi am Rande der UN-Generalversammlung in New York am Montag. Eigentlich warte man nur noch ab, dass "die Atomfrage geklärt" ist, dann könne man mit der "Weiterentwicklung der Beziehungen" starten. Dahinter steckt nicht nur das Kalkül guter Geschäfte, sondern ein ganzes Turul-Nest ideologischer Absurditäten.


Martonyi (links) rechtfertigte seine Annahme, in einer besonders guten Ausgangslage zu sein, sobald Iran wieder parkettfähig wird damit, dass sein Land "die internationalen Sanktionen überschauend, dennoch die Kontakte zum Iran aufrecht erhalten" hat und - "trotz der Sanktionen" studieren rund 1.000 Studenten aus dem Iran an ungarischen Universitäten. Ungarn habe "traditionell gute Beziehungen zum Iran" und sieht "großartige Möglichkeiten" für den "ungarischen Export". In New York habe er ein Gespräch mit seinem iranischen Amtskollegen Mohammad-Javad Zarif (rechts) gehabt, sich aber "außerdem" auch mit Vertretern der großen jüdisch-amerikanischen Organisationen getroffen, wie es ungarischer Brauch im Umfeld der jährlichen Generalversammlung sei.

Unabhängig davon, dass "die Atomfrage" und die damit verbundenen Sanktionen offenbar das einzige Hindernis zu sein scheint, was die ungarische Regierung von offenen Freundschaftsbekundungen zum Mullah-Regmie -
im Rahmen der "Ostöffnung" - abhält, sind die Beziehungen zwischen Ungarn und Iran in letzter Zeit wahrlich besonderer Natur. Während nachrangige Regierungsdelegationen durchaus schon länger Wirtschaftskontakte knüpfen, verbinden Aktivisten der neonazistischen Jobbik-Partei beide Völker gezielt durch Städtepartnerschaften miteinander, auf dem Schreibtisch des Jobbik-Bürgermeisters von Gyöngyöspata steht eine iranische Staatsflagge. Man solidarisiert sich also nicht mit den Menschen, sondern explizit mit dem Regime. Die Chefideologen von Jobbik bauen das Mullah-Regime geradezu als Handlungsvorbild für die ungarische Zukunft auf.

Warum sich die selbsternannten Verteidiger der "weißen Rasse" mit Fanatikern, die sich auf den Islam berufen, einlassen? Ganz einfach, sie verbindet das gemeinsame Feindbild Israel, sprich: Judentum. Immerhin ist Ungarn, in der Lesart nicht nur der extremen Rechten, das "Palästina Europas". Aber auch die behauptete "Verwandschaft" der Magyaren mit diversen Steppenvölkern und östlichen Kulturen erlebt eine Art spiritueller Renaissance. Ein Pseudo-Historiker aus dem Dunstkreis der jobbikschen Rassentheologie, die sich in einigen Punkten durchaus mit dem Blut-und-Boden-Geschwätz eines aktuell im Dienst befindlichen ungarischen Ministerpräsidenten deckt, will sogar nachweisen können, dass Jesus kein Jude, sondern ein Prinz der Parther war, eines Volkes, das einst eine Hochkultur in Nordpersien prägte, mit der die Magyaren wiederum verwandt sind, sie also Verwandte des Gottessohnes sind.

Tiszavasári, die erste von einem Jobbik-Bürgermeister regierte Stadt (11.000 EInwohner). Dieser weiht hier zusammen mit den neuen Freunden aus dem Iran eine Städtepartnerschaft ein, das Unleserliche ist die sog. Runenschrift, ein historisierender Fetisch der Rechten.

Alles nicht erwähnenswerter Humbug von rechten Spinnern, der mit der Regierungspolitik nichts zu tun hat? Der Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, Fidesz, der auch für Bildung zuständig ist, fand das nicht und zeichnete diesen "Historiker", Kornél Bakay, der auch durch eine konsequente Reinwasschung des ungarischen Faschismus bekannt wurde und regelmäßig Gast bei Jobbik-Veranstaltungen ist, anlässlich ein Nationalfeiertages im Frühjahr mit einem hohen staatlichen Orden aus, was besagt, dass die Theorien dieses Herrn auf offene Ohren und Herzen bei der Regierung treffen. Denn während Balog, auf internationalen Druck, die Auszeichnung eines anderen Antisemiten zurücknahm, hielt er die Ehrung für den Geschichte(n)erzähler aufrecht. Dies war nicht der einzige "Ausrutscher" des gerade vom deutschen Bundespräsidenten ausgezeichneten Herrn Balog.

Es wäre interessant zu erfahren gewesen, wie Außenminister Martonyi diese Umstände den amerikanisch-jüdischen Organisationen erklärte, fragten sie denn danach. Denn der latente bis offene Antisemitismus ist auch in Regierungskreisen - trotz einer gerade abgehaltenen offiziösen, "Mea culpa"-Antisemitismuskonferenz im Parlament - an der Tagesordnung. Er reicht von
offenen Ausbrüchen eines Fidesz-Gründers und Orbán-Freunds, Zsolt Bayer oder des Parlamentspräsidenten Kövér, über mit Davidsstern verzierte Protestplakate auf den "Friedensmärschen" der Regierungstreuen sowie einer umständlich zurückgenommenen Straßenbenennung für eine antisemitische "Dichterin", den neuen nationalen Rahmenlehrplan mit den "Helden" Nyirö und Wass, bis hin zu kaum verklausulierten Botschaften über die "Macht der Finanzmärkte", bei der stets die "Ostküste", lies: das "Finanzjudentum" mitschwingt.

 

Das wahltaktische Kalkül der Regierenden, diese neuerliche Schaukelpolitik am Rande des moralischen Abgrunds, mit dem hochgezüchteten "Sentiment" des Volkes geht mitunter sogar bis zu einer offenen "Sabotage am Rechtsstaat", in dem man glaubt, Schlimmeres zu verhindern, wenn man Schlimmes zulässt. Mag die Hoffnung begründet sein, dass sich die Spannungen in der Region, die unmittelbare Kriegsgefahr durch Präsident Rohani verringern lassen, bedeutet dies nicht automatisch die Erreichung humanistischer Mindeststandards im Iran selbst, übrigens genausowenig wie ein Machtwechsel in Israel das Ende des völkerrechtswidrigen Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten bedeutete. Martonyi, die ungarische Regierung, weiß das. Es ist ihnen aber nicht wichtig, denn für Geld machen sie alles...

red. / ms.

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