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(c) Pester Lloyd / 41 - 2013   FEUILLETON   08.10.2013

 

Fruchtbare Realität und "Allerschlimmste Wahrheit"

Dauerbrenner: Ungarn auf der Frankfurter Buchmesse

Terézia Mora wurde auf der Frankfurter Buchmesse für ihren Roman "Das Ungeheuer" gerade mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Ungarische Schrifsteller, ob ganz ausgewandert oder übersetzt, fanden in Deutschland immer wieder fruchtbare Böden, in diesem Jahr stellen sich vier - arrivierte wie neue - Autoren in Frankfurt vor. Das neue Literaturnetzwerk HuBook.de bietet zur ungarischen Literatenszene eine interessante Plattform, einer ihrer Autoren, Frank Riedel, stellt bei uns mit "Pixel" den neuen Roman von Krisztina Tóth als eine "Anatomie schicksalhafter Lieben" vor.

Die Deutsch-Ungarin Terézia Mora wurde auf der Frankfurter Buchmesse für ihren Roman "Das Ungeheuer" mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Schriftsteller ungarischer Herkunft schufen sich in Deutschland seit der Jung-Autoren-Gruppe Nyugat, Anfang des 20. Jahrhunderts, immer wieder eine fruchtbare Plattform und feierten hier große Erfolge, für viele brachte die große deutschsprachige Bühne und natürlich der Buchmarkt den internationalen Durchbruch.

Namen wie György Dalós, György Konrád, Imre Kertész stehen dabei in prominentster Reihe. Ihr literarisches Schaffen im Ausland hat längst nicht nur literarische, sondern auch politische Aspekte, die von Horizonterweiterung bis zu einem Quasi-Exil reichen, von einer Stippvisite als Übersetzung bis zur Über-Setzung der gesamten literarischen und privaten Existenz. Doch auch viele andere Autoren, die im deutschen Sprachraum kaum oder gar nicht bekannt sind, bereichern das literarische Leben und lohnen die nähere Bekanntschaft, darunter arrivierte Schriftsteller wie Newcomer.

Auf der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt präsentieren sich vier Autoren mit neuen Werken in deutscher Sprache, u.a. László Darvasi mit seinem Roman "Blumenfresser" (Suhrkamp), István Kemény mit "Liebe Unbekannte" (Braumüller), Ernő Kulcsár Szabó mit einer "Geschichte der ungarischen Literatur" (DeGruyter) sowie Krisztina Tóth mit dem Roman "Pixel" aus dem von Zsóka und Paul Lendvai neu gegründeten Nischen Verlag, übersetzt von dem in Wien lebenden György Buda.

Das neue Literanturnetzwerk HuBook.de, das uns die nachfolgende Rezension des Werkes zur Verfügung stellte, schuf im Internet dankenswerterweise eine Plattform, die der ungarischen Literatenszene, so sie auf Deutsch verfügbar ist, mit interessanten Beiträgen zu Veranstaltungen, Rezensionen, Reminiszenzen folgt. Dort finden Sie auch Termine für Lesungen auf der Frankfurter Buchmesse. Die Autorin Tóth liest aus ihrem Werk übrigens am 14. Oktober auch in Wien, im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Das andere Ungarn" der Projektgruppe "Aktionsradius Wien". Weitere Infos dazu hier.

red.

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Kurzgeschichten über die allerschlimmste Wahrheit

Krisztina Tóth erzählt in „Pixel“ die Anatomie schicksalhafter Lieben

Von Frank Riedel, HuBook.de

Die Lyrikerin und Schriftstellerin Krisztina Tóth, Jahrgang 1967, ist in ungarischen literarischen Kreisen eine feste Gröβe, durch ihre Veröffentlichungen in Tageszeitungen und Zeitschriften, zumeist Kurzgeschichten und Kolumnen, in der literarischen Öffentlichkeit stets präsent. Für den deutschen Leser dürfte sie durch ihren Erzählband „Strichcode“ (2006) bekannt sein. Nun ist ihr zweiter Erzählband „Pixel“ in (österreichischem) Deutsch erschienen, in dem 30 kurze Begebenheiten beschrieben werden. Es sind oft Kürzestgeschichten, deren Ausgangspunkt und roten Faden, wie der Untertitel „Textkörper“ suggeriert, verschiedene Körperteile bilden: „Aus einem oder zwei Metern Nähe sieht man bloß Pixel, [...], aus einiger Entfernung aber wächst alles das zu einem einzigen Körper zusammen.“

Die Episoden führen nach Budapest, London, Ulm, Rumänien, an die türkische Küste und nach Treblinka. Sie ereignen sich über das ganze 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Liebe und Leben sind das Thema, allerdings selten deren sonnige Seite. Die Protagonisten aus allen Generationen und Schichten werden in den alltäglichsten Situationen beobachtet. Eine Tochter wird weggegeben, weil sie das Down-Syndrom hat. Ein Skype-Date führt ebenso wenig zur erhofften Partnerschaft wie der Besuch im „Salon der Herzen“ und das erste Mal kommt so unverhofft, wie das Fremdgehen zum Alltag wird.

Immer wieder gelingt es der Autorin, auf wenigen Seiten Spannung zu erzeugen, die zumeist in einem brillanten, überraschenden Schluss endet. Wie in einem Kriminalroman beginnt der Leser zu rätseln, denn es gibt winzige Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass Zusammenhänge bestehen – nicht selten tauchen Hauptfiguren einer früheren Geschichte als Nebenfigur einer späteren auf.

Was tun, wenn man im Ofen in der Nachbarwohnung dem Liebsten etwas backt und der Schlüssel zu eben jener in der verschlossenen Waschmaschine klimpert? Wie einen Knutschfleck auf einem Kongress verbergen? Was hat es mit dem prägnanten Ring, der immer wieder ins Blickfeld gerät, auf sich? Wer ist wessen Enkel, Tochter, Onkel, Liebhaber, Vater, Geliebte? Immer wieder mischt sich die Erzählerin in die Geschichten ein, möchte gar den Lauf der Dinge ändern, gibt Regieanweisungen an die Protagonisten, nimmt Geschehnisse vorweg oder korrigiert ihre eigene Erzählung.

Ganz im Stile einer ihrer Figuren hat Tóth (Foto) wohl beabsichtigt „zu demonstrieren, dass in Wirklichkeit niemand das Offensichtliche sieht und nur schrittweise imstande ist, eine unbekannte Situation neu zu bewerten, das richtige Bild aus den Details zusammenzufügen.“

Auch Gegenstände tauchen in unterschiedlichen Zeiten, Formen und an verschiedenen Orten auf. So wie die Handfläche dem Wahrsagen dienen, aber auch eine Ohrfeige verabreichen kann, ist nichts sicher, vieles rätselhaft und der Leser sucht vergeblich nach eindeutigen Beziehungsstrukturen, einem Plan. Anders als im Alltag, wenn dauernd Gedanken, Anblicke und Situationen vorbeirauschen, sich Menschen begegnen, die sich vielleicht einmal kannten oder glauben in einem Fremden Vertrautes oder Anziehendes zu erkennen, kann man im Buch hin und her blättern.

Krisztina Tóth ist eine Meisterin der Erzählkunst. Viele Kapitel sind für sich perfekte, kunstvolle short stories. Die Beobachtungen sind präzise und schnörkellos, Banales wird in wenigen Zeilen zu einem packenden Abenteuer, dessen Ausgang nur absehbar scheint, denn die Autorin spielt gekonnt und gerne mit den Erwartungen ihrer Leser. „Pixel“ erzählt von der Wirklichkeit und ihren Protagonisten, von Überlebenden des Holocaust und ihren Nachfahren, von Zigeunern, Lehrerinnen, Homosexuellen, Busfahrern, Ärztinnen, Wachmännern – von ganz normalen Menschen eben. Sie gehen ihren Instinkten und Trieben nach, aber vom Glück verfolgt ist keiner. Die Erzählerin sagt selbst: „Das Schicksal bietet mehrere mögliche Geschichten an und oft zeigt die Wirklichkeit auf die allerschlimmste.“

Bleibt zu hoffen, dass Krisztina Tóth weiterhin so wunderbare Geschichten über das Allerschlimmste  schreibt.

Krisztina Toth: Pixel.
Übersetzt aus dem Ungarischen von György Buda.
Nischen Verlag, Wien 2013.
174 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783950334555

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