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(c) Pester Lloyd / 43 - 2013   POLITIK   23.10.2013

 

Nationalfeiertag 23. Oktober in Ungarn:

Mitte-Links-Opposition erstmals vereint, Fidesz will still die Häupter neigen, "Friedensmarsch" und Nazikrawall

+ + + Live-Ticker + + +

Wir beenden den Live-Ticker mit einem Bild von jenen,
um die es eigentlich heute hätte gehen sollen.

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17:04 Uhr - Zusammenfassung und Kommentar

1956 zu Ende bringen!

Auch wenn die Neonazis ihren “Marsch der Betrogenen” noch nicht beendet haben, ist das meiste schon gesagt: Wir erlebten eine vollendet inszenierte Nationalfeiertags-Operette: die politischen Parteien und ihre Vorfeldorganisationen heuchelten sich am 23. Oktober zunächst wieder ausführlich durch das Gedenken an die Opfer des Volksaufstandes von 1956, um sich sodann auf Großveranstaltungen ihrer Anhängerschaft zu versichern und das politische Erbe einzukassieren oder zu vergewaltigen.

Neu in diesem Jahr war das gänzliche Fehlen von Zwischentönen, die Feindbilder sind zementiert, der Superlativismus regiert. Jeder wirft dem Anderen vor, das Land in den Abgrund zu führen. Ungarn steuert auf das erwartet hässliche Wahljahr 2014 zu, das die bisher dagewesenen hässlichen Jahre noch überbieten wird.

Während bei der Regierungspartei Kurs und Methoden klar, die äußeren und inneren “Feinde” benannt sind, die Losung lautet: Orbán oder Kommunismus (EU, Liberale, Atheisten etc.) und die Anhängerschaft treu und organisiert oder im Stockholm-Syndrom gefangen ist, hat die demokratische Opposition noch einigen Gesprächsbedarf in punkto Kooperation. Die Anhängerschaft hat auf der gemeinsamen Kundgebung der Linken klar ihren Unmut mit der Eigenbrödlerei von MSZP und E2014 kundgetan. Ein Programm, das mehr Konkretes als “Orbán weg und Ungarn retten” enthält, wäre auch nicht schlecht, ist aber womöglich zu viel verlangt.

Einen Dialog zwischen den politischen Lagern gibt es nicht mehr, nur mehr Anschuldigungen, Beleidigungen, Verleumdungen, Klagen. Dieses Land ist sichtlich mit sich selbst überfordert. Seine “Eliten” haben versagt und versagen weiter, das Volk ist bisher nicht in der Lage, sie zum Teufel zu jagen. Orbán hat vollkommen recht, 1956 muss endlich zu Ende gebracht werden, allerdings nicht so, wie er sich das denkt.

Wir danken für die Aufmerksamkeit. red.

P.S.: nach Polizeiangaben waren auf der Regierungsdemo rund 150.000 Menschen, bei der Opposition ca. 30.000, bei Jobbik rund 1.500 zugegen...

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16:56 Uhr: Nochmal O-Töne von Reporterin Lina, diesmal vom Regierungslager:

Herr S. (Namen der Redaktion bekannt) (20): "Wir sind nur hier, weil der Lehrer uns versprochen hat, dass wir 10 Extrapunkte bekommen, wenn wir hier sind. Eigentlich haben wir kein Interesse an Politik." Auf Frage ob und was sie wählen 2014:
"Keine Ahnung, wenn ich wähle, dann eher eine Partei im rechten Spektrum." Herr Nagy (45): "Die Fidesz ist die einzige Partei, die an ihre Bürger denkt und nicht irgendwelche Interessen von anderen vertritt. Die Linken dienen immer denen, von denen sie Geld bekommen. Das ist in diesem Fall das westliche Europa, die nur wirtschaftliche Interessen im Auge haben. Die Fidesz macht aber nicht, was der Westen sagt. Das ist gut."

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Die Fidesz-Maschine: Orbán will Truppen aufstellen

16:56 Uhr: Jetzt bedankt sich Orbán bei den “Friedensmärschen”, die im “Kampf gegen die Kolonisation” einen tollen Job gemacht haben. Aber das ist noch nicht genug, denn er will, “dass Jeder in diesen Kampf involviert ist”. (Na Mahlzeit!) Jetzt das Finale: Es eilt nicht, aber man müsse “die Maschine in Gang bringen, die Truppen aufstellen wie wir das 2010 gemacht haben”, damit “wir zu Ende bringen können, was wir 1956 begonnen haben.” Jubel. “Viktor”-Rufe.

16:52 Uhr: Aber nun endlich. Seit 2010 setzt nun die “echte Befreiung” ein, “wir haben viel geschafft”, z.B. haben wir endlich “unsere eigene Verfassung” und kein “Stückwerk” mehr. Man sehe aber auch, dass die Linke immer noch versuchen wird, den Menschen ihre Freiheit - und übrigens auch die Renten (?!) - wegnehmen wolle. “Wir aber wollen in Frieden leben!” Jubel.

Die Schilder und Schwerter der Partei erreichen den Heldenplatz

16:50 Uhr: Orbán (sinngemäß): Wir wissen, dass es auch heute Verräter der Revolution gibt, jene, die damals mit den “äußeren Mächten” (lies: damals Sowjetunion, heute EU, Multis, Finanzostküste etc.) zusammenarbeiteten, die die Revolution blutig niedergeschlagen haben. Wir wissen, wer uns 2006 mit Gummigeschossen niedergeschossen hat, weil er die “Streitkräfte” ohne Erlaubnis gegen die Bürger einsetzte, sie sind wieder unter uns etc. etc. Dann kommen Wortspiele, in denen u.a. Tavares vorkommt, jener portugiesische Grüne, der es wagte einen kritischen Bericht über die 4. Verfassungsänderungen abzufassen. Lies: Kommunistenverschwörung wie damals, sie sind noch überall... Jubel. Hohngelächter.

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16:40 Uhr: Dreimal in der Geschichte haben “ wir Ungarn den Kommunismus erschüttert: 1919, 1956 und 1990.”

16:32 Uhr: Premier Orbán flankiert von der Ehrengarde. Die Grenzen zwischen Regierungs- und Parteiveranstaltung sind längst niedergerissen, was in der Politik gilt, warum soll es nicht auch am Nationalfeiertag gelten?!

16:32 Uhr: Am 23. Oktober 1956 hat die ganze Welt auf Ungarn geschaut, von hier ging das Signal dafür aus, dass der Kommunismus am Ende ist. Ungarn hat das gesamte Sowjetsystem erschüttert. “Wir haben unsere Herzen in die Hand genommen und uns erhoben.” so Orbán.

16:29 Uhr: Orbán hat die Bühne betreten. “Viktor, Viktor!”-Rufe im weiten, prall gefüllten Rund des Heldenplatzes.

 

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16:02 Uhr: Der Andrássy Boulevard am Mittwochnachmittag, geflutet von Regierungsanhängern auf dem Weg zu Viktor Orbán, der am Heldenplatz, wo sonst, auf sie mit einer Rede wartet. Die Organisatoren nennen den “Friedensmarsch” schon jetzt den “Marsch der Millionen”, die “Linken All Stars” schafften nichtmal 100.000...

15:53 Uhr: MTI wiederholt in Endlosschleifen Elogen an den “Friedensmarsch”, zitiert ausführlich die Teilnehmer und Organisatoren, erwähnt einige Gegendemonstranten am Straßenrand mit Bibelsprüchen, hebt aber vor allem hervor: dass “die Teilnehmer an vielen Stellen mit sympathisierendem Applaus von Anwohnern bedacht werden.” Amen.

Die Veranstaltung der Neonazis wird nach übereinstimmenden Angaben von “mehreren tausend Menschen” besucht.

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16:08 Uhr: Zwei Stunden nach dessen Rede, reicht MTI das Foto des Redners nach. Gordon Bajnai (siehe: 14.35 Uhr)

15:47 Uhr: Unter andauernden “Schließt Euch zusammen!”-Rufen erklingt auf der Demo der vereinigten Opposition die Nationalhymne, einigen Teilnehmern stehen die Tränen in den Augen. Die Veranstaltung neigt sich dem Ende zu. Am Heldenplatz wird in wenigen Minuten der Auftritt Orbáns erwartet.

15:45 Uhr: Bei der Oppositionsdemo, die - vorsichtig auf rund 80.000 Teilnehmer geschätzt wird - hat inzwischen MSZP-Chef Mesterházy gesprochen. Er sagte, dass diese Regierung, der “Orbán-Clan unser gemeinsamer Feind” ist. Sie bestehlen das Land, missbrauchen die Geschichte und rauben unsere Zukunft (Land, Renten etc.). Die “Feinde der Freiheit” lassen gerade am Heldenplatz jubeln, dort wo auch Rákosi “fröhliche Menschen” zusammenkarren ließ, aber “wir wissen, dass es dem Land jetzt schlechter geht als vor vier Jahren.” Den Leuten am Heldenplatz sei gesagt, dass nicht wir die Feinde sind, sondern jene, denen ihr zujubelt. Die Ungarn hätten es bisher immer geschafft, sich von unterdrückerischen Regierungen zu befreien. So auch diesmal! Applaus. Mesterházys Rede wurde minutenlang von “Vereinigt Euch!, Schließt Euch zusammen”-Rufen des Publikums unterbrochen. Gyurcsánys, aber auch Bokros` und Fodors Aufrufe verfehlten ihre Wirkung nicht.

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500.000, 1 Million, ...? “Friedensmarsch” in vollem Gange

15.14 Uhr: “Wir sind Ungarn!” Orbán-Freund, Fidesz-Mitgründer und Hassprediger Zsolt Bayer (ganz rechts mit der offenen Klappe, wo und wie sonst), Ex-Fidesz-Finanzchef und heute “Volksfront”-Organisator (CÖF) Csizmadia, Einpeitscher und Stiftungspräsident Bencsik sowie einige weitere Sympathieträger beim “Friedensmarsch”. Sie “schätzen” vorläufig 500.000 Teilnehmer, “zusammen mit denen, die am Heldenplatz warten, werden es eine Million werden”. Die Organisatoren werden von MTI ausführlich zitiert, was für ein toller Beweis der Einheit der Nation das sei, man sich nicht von “Angriffen gegen die Demokratie” irre machen lasse und man “2014 genauso gewinnen werde, wie 2014”. Dazu massenhaft Transparente “Danke Viktor”, “Wir lieben Dich, Viktor”, “Wir sind mit Dir, Viktor” “Wir sind das Ideal von 1956” etc. etc. (Anm: unser Webmaster hat Atemnot und wurde daher kurz zu einer Zigarettenpause geschickt...)

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15.05 Uhr: Ex-Premier Gyurcsány dreht am ganz großen Rad: er ist sich nicht zu fein, die Veranstaltung dafür zu nutzen, sich wieder in eine aussichtsreiche Wahlposition zu bringen. Man brauche jetzt unbedingt eine gemeinsame Kandidatenliste (weder MSZP noch E2014 wollten mit ihm eine Wahlallianz eingehen, u.a. weil er unverschämte Forderungen stellte), sonst werde man gegen Orbán verlieren. ER aber sei es doch, der Orbán zwei Mal besiegt habe. Wenn “wir” (die demokratische Opposition) jetzt so weiter machen, haben wir keine Chance und Ungarn würde weiter von einem “lügenden Huhrensohn” (frei aber angemessen übersetzt) regiert. Langanhaltender Applaus und Jubel.

Was immer man im Detail von der Linken hält, heute gab es erstmals wirklich einen gemeinsamen Auftritt. Wir sahen: MSZP, DK, E2014, PM, Ex-SZDSZ, neue Liberale, Ex-MDF, Szema sowie einige Parteilose der politischen Mitte.

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15.00 Uhr: Während die linken “Hunde” bellen, zieht die Karawane des “Friedensmarsches” weiter. Hier über die Margaretenbrücke Richtung Heldenplatz. Sind so 3 Kilometer, werden wohl nicht alle schaffen... Auf dem Transparent: “Wir fürchten uns nicht...! und “Wir sind Ungarn!” - Bei der Nachwahl in Baja, diesem Glanzstück ungarischer Demokratiekultur fuhren Fidesz-Lautsprecherwagen mit der Parole “Fürchtet Euch nicht, wählt uns, wir beschützen Euch!” Durch den Ort....

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14.58 Uhr: Weitere Redner, darunter Gábor Kuncze, früher SZDSZ. Dann tritt Gyurcsány auf, seine Fans sind hingerissen, sehr langer Applaus!

14.51 Uhr: Reporterin Lina Liu meldet sich live von der Oppositionsdemo am Donauufer mit zwei Stimmen: Herr Kober (21) sagt: "In der Szolidaritás sind bodenständige Menschen, die normalen Menschen wie du und ich. Deswegen sollten sie Ungarn regieren." Und Frau Abrus (48) ergänzt: "Wir dürfen nicht streiken, dürfen nicht sagen was wir denken - Demokratie bedeutet nichts mehr in unserem Land."

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Ernste Mienen bei der Jobbik-Sause, Foto: Lina Liu, PL

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14.47 Uhr: Ex-Finanzminister Lajos Bokros, als knallharter Staats-Sanierer in Erinnerung, mal bei den Linken, dann wieder beim konservativen MDF untergekommen, heute Chef einer selbstgegründeten “bürgerlichen” Splitterpartei, meint, dass Fidesz keine rechte Partei sein, sondern eine “neue kommunistische Partei”, denn sie wollen auch “alles kontrollieren”. Es sei notwendig und möglich Orbán in die Wüste zu schicken.

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14.36 Uhr: Teilnehmerzahlen lassen sich für beide Großaufmärsche noch nicht seriös angeben, jedenfalls strömen während Bajnais Ansprache noch immer Menschen auf die Uferstraße, auch der “Friedensmarsch” schwillt noch an, bei den Jobbik-Nazis (Foto) sind es die üblichen rund tausend Anhänger, die aufmarschiert sind.

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14.35 Uhr: Rede Bajnai: Wollt Ihr in Orbán-Land oder in Ungarn leben?

Demo der vereinigten Opposition am Donauufer, Foto MTI

Bajnai spricht: Orbán mache Ungarn zur Titanic und fahre die Ökonomie mit Sommerreifen durch den Krisenwinter. Während das Land gegen einen Eisberg fährt, bleibt den verarmten Eltern und Großeltern nur, sich über Skype mit ihren im Ausland arbeitenden Kindern zu unterhalten...

Er gesteht ein, dass sich viel von der Hoffnung, die er vor einem Jahr hier gespürt habe (als er sein Comeback ankündigte und “Gemeinsam 2014” gründete) in Enttäuschung gewandelt habe. Aber es sei besser Erfahrungen zu sammeln, als mit Illusionen schwanger zu gehen und nicht zu tun. Man müsse aus den Fehlern lernen, es gehe mit dem Machtwechsel um eine neue Epoche für Ungarn...

Orbán muss besiegt und überwunden werden. Es könne doch nicht angehen, dass das Land immer mehr vor die Hunde gehe (sinngemäß), Orbán sich aber in Felcsút (seinem Heimatort) eine Art privatese Disneyland erbaue. Am Ende beschwor Bajnai die Einheit der demokratischen Oppositionskräfte, die diesen notwendigen Wandel herbeiführen kann. Das Volk, die schweigende Mehrheit müsse sich entscheiden, ob es in Orbán-Land oder in Ungarn leben will.

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14:21 Uhr: “Wer Viktor Orbán angreift (verletzt), greift auch uns an.” Live vom “Friedensmarsch”.

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14.19 Uhr: Ex-Premier und Gemeinsam 2014-Chef Gordon Bajnai betritt die Bühne.

14.15 Uhr: Auf der Oppositionsbühne treten derzeit Arbeiter, Bauern, Bergarbeiter, Lehrer, Schüler auf und beklagen die Malaisen des Orbán-Regimes: zu wenig Arbeit, zu wenig Geld, Rechtsunsicherheiten, Chaos und Ideologie im Bildungswesen, die Jugend wird vertrieben etc. Die Anhänger der DK, die Politsekte von Ex-Premier Gyurcsány, der, der Sache wegen von Mesterházy und Bajnai zum heutigen Event dazugebeten wurde, haben sich aussichtsreich positioniert und hoffen auf eine Ansprache ihres Gurus.

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14.05 Uhr: Oktogon und Andrássy út füllen sich mehr und mehr mit “Friedensmärschlern” der Pro-Regierungs-Bewegung von der “Bürgereinheitsfront”. Oligarch und “Magyar Hírlap”-Eigentümer Széles, Strippenzieher András Bencsik und Lautsprecher und Friedensengel Zsolt Bayer verbreiten über Lautsprecher, dass man “alle Provokationen mit Würde und Ruhe aushalten” werde. Es provoziert bisher nur niemand. Aber kann ja noch werden.

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13.59 Uhr: Das offizielle Regierungsgedenken an der Imre-Nagy-Statue nahe des Parlamentes wurde mittlerweile von Jobbik-Anhängern übernommen. Während sich vorn ein paar Offizielle um Haltung bemühen, ist die Zufahrtsstraße zum Denkmal gestopft mit Schwarzhemden. Das hat man nun davon... Die Jobbiks wollen von dort dann einen “Marsch der Betrogenen” abhalten.

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13.54 Uhr: Szolidaritás-Chef Péter Kónya wärmt die linken Demonstranten am Ufer vor der Technischen Uni mit ein paar Anti-Orbán-Sagern auf. Mehrere Tausend haben sich bis jetzt eingefunden, in wenigen Minuten soll die Kundgebung starten. MTI, die Nachrichtenagentur des Staatsfunks, erinnert die Leser daran, dass er dabei war als vor zwei Wochen die Orbán-Papp-Statue gestürzt wurde!

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13.48 Uhr: Mária Wittner, 1956er Zeitzeugin, Parlamentsabgeordnete und Fidesz-Rechtsaußen, will “die Macht der Liebe” nicht die Waffen sprechen lassen, um die Revolution “die noch nicht vorüber ist, fortzusetzen”. Herz, Seele und “Menschlichkeit” solle man auch einsetzen. Achja, aber “Wahlen müssen auch gewonnen werden”, um die “Zerstörung der acht Jahre” (gemeint 2002-2010 unter MSZP-SZDSZ) sich nicht wiederholen zu lassen.

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13.47 Uhr: Spannung liegt in der Luft: Allmählich sammeln sich - auch uniformierte - Jobbik-Anhänger, es sind derer bisher einige Hundert, am Ende der Andrássy út für ihre Kundgebung am Déak tér. Amerikanische und israelische Touristen am Beginn des jüdischen Viertels schauen etwas irritiert auf die mit rot-weiß-roten Árpád-Pfeilkreuzlerfahnen Vorüberziehenden. - Am 56er Ehrenmal auf einem Budapester Friedhof kamen sich Liberale und Rechtsradikale mit ihren Kränzen gefährlich nahe, die Polizei beobachtete aufmerksam. Im Mittelpunkt dort steht die berühmte 301er Parzelle, wo die Stalinisten die Hingerichteten des 56er Aufstandes anonym verscharrten.

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13.14 Uhr: Neben den zwei großen Aufmärschen von Fidesz und linker Opposition sowie dem “Freigang” der Nazigruppen, gibt es noch rund ein Dutzend weiterer kleiner Versammlungen von Gedächtnisgruppen, Kleinstparteien, Motorradgangs etc. Wir machen Berichte darüber aber von der Performance abhängig, um das große Bild nicht aus den Augen zu verlieren.

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13.00 Uhr: Miskolc meldet eine überraschende politische “Ökumene”: Fidesz- und MSZP-Delegationen verneigten sich gleichzeitig am dortigen 56er Denkmal. Gesprochen wurde nichts.

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12.58 Uhr: Unsere Außenreporterin Lina meldet sich von der Kettenbrücke. Die Opposition beginnt sich zu sammeln, nicht in Moskau, sondern in Budapest! Auf dem 1. Foto neben dem LKW, Péter Kónya, Ex-Offizier und heute Chef der übergewerkschaftlichen Bewegung “Szolidaritás”, Teil der Wahlallianz E2014 von Ex-Premier Bajnai. Frau Süvegi (60), sagt auf dem Weg zur Demo: "Ich habe das Gefühl, wenn ich jetzt nichts mache, haben wir bald eine Diktatur." Und Herr Papp (48) meint, "Welche demokratische Regierung lässt sich denn selbst am Nationalfeiertag feiern? Das machen doch nur Diktaturen."

Fotos: PL, Lina

Foto: MTI

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12.41 Uhr: off topic: Der Online-Chefredakteur des ungarischen Wochenmagazins HVG (hvg.hu) ist wegen der Baja-Video-Affäre zurückgetreten. HVG.hu hatte am Freitag ein ungeprüftes Video als “klaren Beweis für den Wahlbetrug des Fidesz” bei der Zwischenwahl in Baja publiziert, ohne es näher zu prüfen. Es ist inzwischen als inszeniert entlatvt, die Hintergründe sind aber noch immer unklar. HVG ist von Machart, Anspruch und Einfluss in etwa mit dem “Spiegel” in Deutschland zu vergleichen und eine der wenigen bedeutsamen unabhängigen Medien des Landes. Sie ist zu 75% in Besitz der deutschen WAZ-Gruppe, ein Viertel gehört den Mitarbeitern. - An der Art Verantwortung zu übernehmen, dürfen sich die Politiker gerne ein Beispiel nehmen... Wir warten.

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12.37 Uhr: Einer der Initiatoren des “Friedensmarsches” rund um Orbán-Freund, Fidesz-Mitgründer und Hassprediger Bayer, Bencsik, schürt schon mal ein bisschen Panik. Auf seiner Facebook-Seite fordert er die Teilnehmer auf, sich mit Kameras und Videorekordern zu bewaffnen, um “Provokationen gegen den Friedensmarsch aufzuzuzeichnen” und “die Täter später identifizieren” zu können. Den Linken ist schließlich alles zuzutrauen...

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12.37 Uhr: Einer der Initiatoren des “Friedensmarsches” rund um Orbán-Freund, Fidesz-Mitgründer und Hassprediger Bayer, Bencsik, schürt schon mal ein bisschen Panik. Auf seiner Facebook-Seite fordert er die Teilnehmer auf, sich mit Kameras und Videorekordern zu bewaffnen, um “Provokationen gegen den Friedensmarsch aufzuzuzeichnen” und “die Täter später identifizieren” zu können. Den Linken ist schließlich alles zuzutrauen...

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12.31 Uhr: Rückblende. Vor 7 Jahren, im Herbst 2006, unter der Regierung Gyurcsány kam es in Budapest zu Massendemos mit Ausschreitungen seitens rechtsextremer Schlägerbanden - und zu Polizeiübergriffen auch auf friedliche Demonstranten. Am 23. Oktober wurde ein historischer Panzer entführt und kurvte durch die Stadt, es gab etliche, zum Teil schwer Verletzte. Mehr zur Aufarbeitung und Originalberichte aus dem Lloyd von damals:
http://www.pesterlloyd.net/html/1304polizeigewalt2006aufarbeit.html

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Was hätte wohl Imre Nagy dazu gesagt?

12.18 Uhr: Die Äußerungen der Regierungsvertreter kommen jetzt nicht so überraschend, die parteipolitische Einverleibung des Erbes von 1956 ist seit Jahren Kennzeichen beider großen Blöcke in Ungarn (siehe dazu auch Lesetipp unter 10.24 Uhr). Allerdings nimmt die Unverhohlenheit nochmals zu, der Wahlkampf überdeckt das Andenken an die Bewegung und ihre Opfer vor 57 Jahren - trotz der geheuchelten Statements - mittlerweile vollständig, es ist reine Instrumentalisierung, es ist Verhöhnung. Ein Offizieller meinte dieser Tage, der “1956 eingeleitete Systemwechsel müsse endlich vollendet werden.” Was wohl Imre Nagy zu dieser Art Systemwechsel gesagt hätte? Ach ja, der ist schon tot, der kann sich nicht mehr wehren. - Die Opposition steigt am Nachmittag in den 56er Chor ein und stellte im Demoaufruf bereits den “Link” zwischen den “Freiheitskämpfen 1956 - 2013” her. Vor kurzem stürzte man einen Papp-Orbán im Stile stalinistischer Statuen, was sich zu einem klassischen Pr-Desaster entwickelte. Man darf gespannt sein, wie man es heute anstellt... ms.

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12.12 Uhr: KDNP-Fraktionschef Péter Harrach in Kecskemét: 1956 sei eine "saubere Revolution" gewesen, doch nun gehen in "Ungarn schmutzige Dinge vor sich", man spüre den "Atem Rákósis" (stalinistischer Diktator) bei den Taten jener, die "lügen, verleumden und falsche Videos produzieren". Nur wer den "Geist von 1956" in sich spüre, sei es "wert" an einem "reinen Ungarn" mitzubauen.

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12.12 Uhr: Die MSZP hielt am Vorabend des 23. einen Fackelzug zu einer Imre Nagy-Statue ab.

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“Die Linke führt die Tradition Moskaus fort...”

12.07 Uhr: Wortspenden der Regierungsseite bei verschiedenen Zeremonien in Städten und Stadtteilen: Vizepremier und Justizminister Navracsics, sagte, dass die "Gefallenen von 1956... keine Opfer, sondern Helden" sind, die ihren Sieg zwar nicht 1956, aber 1989 erreichten. Ungarn habe für ganz Mitteleuropas Unabhängigkeit gekämpft und letztlich den "Kollaps der Sowjetunion" herbeigeführt. Wirtschaftsminister Varga sagt, dass man es "nicht zulassen werde", dass "Kräfte", die "Errungenschaften von 1956", also "nationale Unabhängigkeit und Einheit" negieren. Man solle sich bewußt darüber sein, dass heute auf politischem wie ökonomischem Feld die Unabhängigkeit des Landes in Frage gestellt würde. Fidesz-Vizeparteichef Kósa, Bürgermeister von Debrecen, sagte, dass das ganze Volk, die ganze Nation 1956 gegen "ausländische Mächte" aufgestanden sei. Diese Ungarn wurden "von der politischen Linken in Frage gestellt und all jenen, die ausländischen Interessen, anstatt den nationalen Belangen dienen." Diese stehen "in der Tradition Moskaus", das seine Interessen gegen die der Bevölkerung durchsetzte.

Fidesz-Sprecherin Gabriella Selmeczi mit 56er Veteran an einem Ehrengrab auf einem Budapester Friedhof

Ex-Parlamentspräsidentin und Ex-MSZPlerin Katalin Szili, Gründerin einer neuen linken Partei, ebenda

MSZP-Chef Mesterházy im Imre Nagy-Gedenkhaus

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10.37 Uhr: Wie das Deutsche statistische Bundesamt heute mitteilt, hat sich die Zahl der in Deutschland gemeldeten ungarischen Staatsbürger im Jahre 2012 um knapp 30% gegenüber dem Vorjahr erhöht. Rund 108.000 Menschen mit ungarischem Pass leben derzeit - offiziell - in Deutschland, 2011 waren es noch 82.000, 2009 61.000. Geht das so weiter, können wir die Feierlichkeiten im Jahre 2030 vor den Reichstag verlegen...

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10.24 Uhr: Was macht der Staatspräsident am Nationalfeiertag als Tourist an den Niagara-Fällen? János Áder weilt samt Gattin auf Einladung einiger US-amerikanischen und kanadischen Ungarnverbände in Nordamerika. Wäre der Präsident ein Linker könnte er sich jetzt was anhören. Áder ist aber im Auftrag der Nation unterwegs, also alles o.k.

Fotos: MTI

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10.24 Uhr: Lektüre zur Einführung? Wir empfehlen die Erinnerungen von György Konrád “Budapest 1956”, geschrieben zum 50. Jahrestag 2006, die Sie hier in unserem Archiv lesen können. Was aus dem Erbe von 1956 im heutigen Ungarn geworden ist, dazu schrieb der Chefredakteur im Vorjahr einen eindrücklichen Beitrag: Entfernte Freiheit Ungarn - ein Zustand: Gedanken zu einem Tag, der kein Feiertag mehr ist. Die Demoberichte aus 2012 finden Sie hier: Hunderttausendfaches Für und Wider

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10.22 Uhr: Der Auftakt der jährlichen Rituale: das Hissen der Staatsflagge zu Ehren der Opfer der Ereignisse 1956. Diesmal findet das nicht an der Ewigen Flamme auf dem Kossuth Platz statt, sondern auf dem Heldenplatz. Die Restaurierung des Platzes am Parlament auf “den Zustand von 1944” verzögerte sich durch das Sommerhochwasser.

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08.55 Uhr: Umfangreiche Straßensperrungen und Verkehrseinschränkungen für Budapest. Hier eine Liste der für Autos gesperrten Bereiche sowie der eingestellten Linien der Budapester Verkehrsbetriebe: http://index.hu/belfold/2013/10/23/lezarasok_elterelesek_budapesten/

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22.10., 19.00 Uhr: Fidesz-Fraktionschef und Bürgermeister des V. Bezirks von Budapest hält unweit des Parlaments bereits am Vorabend des Nationalfeiertages eine Gedenkveranstaltung ab. Hinter ihm ein Denkmal für Imre Nagy, den Reformsozialisten, der 1956 für einige Tage Bewegung und Land führte und dafür 1957 hingerichtet wurde.

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22.10., 19.00 Uhr: Liste der wichtigsten Veranstaltungen am 23. Oktober in Budapest

> ab Vormittag auf dem Heldenplatz (Hösök tere), wegen Umbau am Kossuth tér diesmal hier: offizielles Regierungsprogramm, militärische Ehrbezeugungen, Hissen der Fahne, Gedenken an die Opfer des Volksaufstandes 1956, Ansprachen, ab 15 Uhr ebendort "Friedensmarsch" einer fidesztreuen "Bürgerbewegung" gegen "innere und äußere Feinde Ungarns", 16 Uhr Rede von Premier Viktor Orbán

> ab 14 Uhr: Gemeinsame Kundgebung der Oppositionsparteien MSZP, Gemeinsam 2014 - PM, der Liberalen Partei Ungarns und der Demokratischen Koaltion, Reden u.a. von MSZP-Chef Attila Mesterházy und Ex-Premier Gordon Bajnai, Uferstraße vor der Technischen Universität (Müegyetem rakpart)

> ab 15 Uhr: Kundgebung der neonazistischen Jobbik mit anschließendem "Marsch der Betrogenen", Vértanúk Platz, Deák tér und Erzsébet Platz

> ca. 14 Uhr: Kundgebung der Kommunistischen Arbeiterpartei und anderer Gruppen am Blaha Lujza Platz
> ca. 14 Uhr: Aufmarsch der rechtsradikalen Goj Motorradgang rund um den Corvin Ring, Hungária körút
weitere kleine Kundgebungen an verschiedenen Plätzen
> ab 17 Uhr: Marsch der konservativen "Rákóczi Gesellschaft" vom Müegyetem zum Bem rakpart (Uferstraße) auf der "historischen Route" des 56er Aufstandes

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Vorbericht:

Die ungarische Regierungspartei hat für den Nationalfeiertag am 23. Oktober dezidiert zu einem "friedlichen Gedenken" an die Ereignisse der "Revolution von 1956" aufgerufen. Dazu sollten "Familien und Generationen" auf dem Heldenplatz zusammenkommen, "um ihre Häupter" vor den Helden des Freiheitskampfes von vor 57 Jahren "zu senken". Man sei sich bewusst, so Regierungssprecher Hoppál, dass "die Oppositionsparteien Vorbereitungen für eigene Veranstaltungen" träfen. Lies: linke Krawallmacher haben keinen Respekt vor den Helden von 56. Die regierungstreue und -gelenkte Friedensmarschbewegung will an dem Tag einen ihrer Märsche abhalten, möglichweise werden beide Events miteinander verknüpft. Mehr dazu.

Die linke Opposition tritt - erstmals - weitgehend geeint an diesem Nationalfeiertag auf. In dem Aufruf zu einer Demo am Donauufer (siehe Abb. oben) heißt es, dass man zwar "verschiedene politische Ansichten" habe, man über Wege und Ziele auch uneins sei, einig ist man sich aber in der Forderung, dass "Orbán" und sein Regime "weg müssen" und man selbst wieder die Poltik übernehmen müsse. Die Freiheitsbewegung von 1956 wird dafür als Vorbild herangezogen. Für den Aufmarsch um 14 Uhr vor der Technischen Universität (Müegyetem rakpart) mobilisieren: die Mitte-Links-Wahlallianz "Gemeinsam 2014" (Ex-Premier Bajnai mit Milla und Szolidaritás) Dialog für Ungarn (eine LMP-Abspaltung), die größte Oppositionspartei MSZP, die kleine, liberale Bürgerrechtspartei SZEMA, die Bewegung für ein Modernes Ungarn MoMa, die Demokratische Koalition, DK, von Ex-Premier Gyurcsány, die von Ex-SZDSZ-Chef Fodor gerade gegründete Liberale Partei, die Sozialdemokraten (eine Splittergruppe) sowie eine weitere Bürgergruppe.

Bajnai hatte die Einladung des umstrittenen Gyurcsány damit erklärt, dass es an diesem Tage nicht um eine Wahlkooperation ginge, sondern um ein "Zeichen der Stärke" der demokratischen Opposition.

Die rechtsextreme Jobbik hat zu einem "Marsch der Betrogenen" aufgerufen. Mehr dazu.

red.

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