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(c) Pester Lloyd / 41 - 2013   WIRTSCHAFT   08.10.2013

 

Wasser auf die Mühlen

"Nebenkostenkrieg": EU leitet Prüfverfahren zu Energiepreissenkungen in Ungarn ein

Die Europäische Kommission will sich die gesetzlichen Energiepreissenkungen in Ungarn unter dem Aspekt der Konformität mit EU-Regularien näher anschauen. Brüssel sieht u.a. den Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Preisgestaltung verletzt, bemängelt, dass Versorger einige Kostenfaktoren nicht mehr auf die Kunden umlegen dürfen und sieht in der Machtposition der Energiebehörde einen Eingriff in die Gewaltenteilung. Was anderswo ein normaler Vorgang wäre, wird in Budapest als "Angriff der Multis" auf die "soziale Politik" der Regierung hochstilisiert.

Ein Schnappschuss Orbáns bei einem seiner Auftritte vor dem EU-Parlament. Am Mittwoch reist der Premier zu seinem “Gesinnungsgenossen” David Cameron auf die Insel, vielleicht hat der ein paar brauchbare Tipps, wie man die Gemeinschaft und ihre Pflichten umgehen kann...

Zum Zwecke der näheren Prüfung forderte die Kommission schon im August, im Rahmen eines sogenannten Pilot-Prozesses, entsprechende Unterlagen von der ungarischen Regierung an. Eine solche Anfrage kann der Auftakt zu einer formalen Prüfung und Änderungsaufforderungen sein, an deren Ende, bei Ablehnung seitens des "Delinquenten", eine geldstrafenbewehrte Verurteilung vor dem Europäischen Gerichtshof stehen kann. Nun hat die Kommission erstmals konkret durchblicken lassen, worin neuerliche Differenzen zwischen ungarischem und europäischem Recht bestehen könnten:

> Zunächst sehen die Regelhüter der EU den Gleichbehandlungsgrundsatz bei der Preisgestaltung verletzt, denn durch die gesetzlichen Preisabsenkungen zahlen Privathaushalte und öffentliche Institutionen nun einen geringeren Energiepreis (für Strom, Gas und Fernheizung) als Unternehmen, auch wenn diese durch das gleiche Netzwerk beliefert werden. Dies könnte als Verstoß gegen die Antidiskriminierungsgrundsätze bewertet werden.

> Weiterhin mutmaßt Brüssel, dass die gesetzliche Regelung den Versorgungsunternehmen einige kaufmännische Grundrechte verwehrt, die im Binnenmarkt jedoch überall gleich gehandhabt werden müssen, konkret dürften Versorger in Ungarn durch die neuen Regelungen bestimmte Kostenfaktoren nicht mehr auf die Kunden umlegen, wie die Erschließungssteuer (pro Meter Netzwerk fällg) oder auch die Zusatzkosten durch die Transaktionssteuer.

> Als dritten kritischen Punkt sieht Brüssel die Beschneidung der juristischen Einspruchsrechte durch eine Anfang des Jahres beschlossene Gesetzesänderung, die die staatliche Energiebehörde zur Herausgabe "rechtlich bindender Dekrete" berechtigt, gegen die man nur noch beim Verfassungsgericht berufen darf. Hier sieht die Kommission sowohl einen Eingriff in die Gewaltenteilung wie auch eine Beschneidung der Widerspruchsrechte für natürliche und juristische Personen.

Interessant ist, dass in dem direkten staatlichen Eingriff in die Preisgestaltung eines weitgehend - zumindest auf dem Papier - liberalisierten Wirtschaftsbereiches, seitens der EU kein Regelbruch angemeldet wird, wiewohl die betroffenen Marktteilnehmer durch eigene Klagen in Ungarn bereits zum Ausdruck brachten, dass sie sich durch die Regierungsmaßnahmen in ihrer Geschäfts- und Vertragsfreiheit sowie in ihren Eigentumsrechten beschnitten sehen. Möglich ist, dass Brüssel zunächst den Ausgang der nationalen Rechtsprechung bis zu ihrem natürlichen Ende beim Verfassungsgericht bzw. der Kurie abwartet, bevor die Gemeinschaft hier selbst aktiv wird, denn immerhin handelt es sich bei den in Frage stehenden Punkten um Säulen der Binnenmarkts-Philospohie der EU.

Auch die angestrebte Umwandlung des Energieversorgungssektors in eine non-profit-Branche steht noch nicht auf der EU-Prüfungsagenda, denn die gesetzliche Ausgestaltung harrt hier noch ihrer Umsetzung. Dieser Schritt steht auch im Zusammenhang mit den zunehmenden Verstaatlichungen in der Branche. Die Regierungsfraktion prüft weiterhin, die Preissenkungen in der Verfassung zu verankern.

Allein die technische Prüfungsanfrage der EU, die woanders unter “bürokratische Routine” liefe, ist wiederum Wasser auf die Mühlen der Fidesz-Propagandisten. Orbán kündigte bereits auf dem letzten Parteitag mit großen und kriegerischen Worten an, dass "die Multis" und ihre "Handlanger" (lies: EU, Opposition, Finanzmärkte etc.) diese angebliche Sozialmaßnahme bekämpfen werden. Die Kommission, die gar nicht anders kann, sie muss als Hüterin der Verträge so vorgehen, liefert nun - sozusagen frei Haus - den Beleg für die nächste "feindliche Attacke".

 

Die Regierung rief daher den "rezsiharc" (Nebenkostenkrieg) als das zentrale Wahlkampfthema aus, in dem man die - wegen gesamtökonomischer und fiskalischer Risiken sowie sozialer Unausgewogenheit sehr zweifelhaften - Maßnahmen verteidigen wolle. Es fanden dazu schon etliche, steuerfinanzierte, Bürgerforen statt, Fidesz startete eine umfassende Unterschriftenkampagne mit bezahlten Aktivisten. Kritiker dieser sehr deutlich auf die Wahlen 2014 gemünzten Maßnahmen werden in der Regel als innere oder äußere "Feinde Ungarns" platt geredet, die als "Vasallen" der Multis die "ungarischen Familien enteignen" wollen.

Die EU wiederum kann nur auf Grundlage der Regularien prüfen, überhöhte und sich stetig abnorm steigernde Preise, gefühlte, politisch unterstützte Preiskartelle, und überhaupt das Verhältnis zwischen bestimmten Parteien und den Energieversorgung lohnte eine genauere Überprüfung - in ganz Europa - durchaus, doch dafür fehlt der Gemeinschaft das Mandat ebenso wie für die Prüfung der Einhaltung von Grundrechten in Ungarn.

Das Wichtigste zum Thema:

Ausrufung des “rezsiharc” auf dem Fidesz-Parteitag, Warnung vor der Opposition

Aktuellste Energiepreissenkung um weitere 11,1% auf Strom, Gas und Fernheizung

"Wertlose Lüge": Opposition hält Energiepreissenkungen für Taschenspielertrick

Kurzschluss? Energiepreissenkungen zwischen Populismus und wirtschaftlichem Risiko

red.

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