THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 42 - 2013   NACHRICHTEN   15.10.2013

 

Ein politisch Untoter teilt aus

Ex-Premier Gyurcsány über sein und Ungarns Schicksal - ein vorauseilender Nachruf

Ferenc Gyurcsány machte bei einem Pressegespräch am Montag nicht - wie bereits zuvor - nur sein eigenes politisches Schicksal vom Wahlausgang 2014 abhängig, sondern stellte die Existenz seiner gesamten Partei, Demokratische Koalition, DK, eine Abspaltung von der MSZP, zur Disposition. Ein Verfehlen der 5%-Hürde 2014 wäre "das Zeichen für ihr Ende" meinte Gyurcsány, der sich am vergangenen Wochenende von einem Kongress zum Parteivorsitzenden wiederwählen ließ.

Derzeit sehen Umfragen die links-liberale Partei DK im Bereich zwischen 2 und 4% bei den zur Wahl Entschlossenen, allerdings glaubt ihr Vorsitzender, dass die DK "die positive Überraschung" der kommenden Wahlen sein wird, 7 bis 10% “und mehr” seien durchaus drin, auch weil sie angeblich "die radikalste Opposition" zur "Orbán-Autokratie" darstellt. Analysten sehen die Rolle der DK jedoch eher destruktiv, nach dem Allianz-Verhandlungen mit der MSZP und E2014 des anderen Ex-Premiers, Bajnai, gescheitert waren, dürfte die DK durch eigene Kandidaten der Linken eher Konkurrenz machen, ausgerechnet Gyurcsány so indirekt zum Wahlhelfer Orbáns mutieren.

Der “Orbán der Linken”

Gyurcsány tritt, im Unterschied zu dem eher technokratisch bis freundlich-harmlos wirkenden Bajnai oder dem blassen MSZP-Chef Mesterházy, gern als "starker Mann" und als wahrer Antipode zu Orbán auf, obwohl er ihm in seiner Attitüde viel ähnlicher ist, als ihm lieb sein sollte: beide sind geradezu pathologisch von sich selbst, ihrer Sendung und der Macht besessen, punkten am meisten bei Frauen mittleren bis gehobenen Alters, was ihnen eine fast religiöse Fangemeinde beschert und zeigen wenig Skrupel, Verbündete oder auch mal eben das Land für eigene Interessen über die Klinge springen zu lassen. Dem “Orbán der Linken” fehlt auch jedes Gespür dafür, wann man es übertrieben haben könnte und es Zeit sein dürfte, zu gehen. Auch das wird er - ganz sicher - mit Orbán eines Tages gemeinsam haben.

Orbán hat viel von Gyurcsány gelernt...

Gyurcsány bleibt - im Gegensatz zu Orbán - für die meisten Bürger aufgrund seiner Performance als Regierungschef unwählbar, obwohl das Land nach Ersterem noch als reparabel gelten durfte, seine Instiutionen zwar missbraucht, aber noch vorhanden waren. Immerhin können gegen die Verfehlungen der “Gyurcsány-Ära” heute Prozesse geführt werden, während die gleichen und noch tiefergehende Fehltritte der heute Regierenden schon von der Verfassung oder ihren “Kardinalsgesetzen”, zumindest aber “Dekreten” gedeckt sind. Die Systematik des Tabakmonopols, der Vergabe von EU-Geldern, den Bodenverpachtungen - und und und - schließt an die Praktiken der Vorgänger an, sichert sich aber legislativ und institutionell ab. Orbán hat viel von Gyurcsány gelernt...

Dieser hat, im Unterschied zu seinen Nachfolgern, die Verfassungsordnung nicht auf den Kopf gestellt, die Kontrollinstanzen gestürzt oder das Land einer ideologischen Gehirnwäsche unterzogen, Ernst genommen hat er weder Land noch Insitutionen, was ihn am Ende zu Fall brachte. Doch Gyurcsány ficht die Kritik an seiner Person und seiner Politik wenig an, er findet, dass es "leichter sein wird, nächstes Jahr Fidesz zu schlagen", als "Freiheit, Frieden und Wohlstand ins Land zurück zu bringen", dazu müsse man "die Republik" erst "wiedergründen". Dazu wäre ein genaues Programm recht hilfreich, aber damit lässt man sich Zeit.

Lieber teilt Gyurcsány heute aus, manchmal sogar recht treffend: In Anspielung auf das frömmelnde Gehabe der Regierungsmannschaft und die Verankerung des Christentums in der Verfassung, schrieb Gyurcsány auf seinem Blog, dass "Ungarn entweder frei oder christlich" sein wird (Orbán nimmt gern den Satz Robert Schumans aus den 50ern auf, wonach Europa entweder christlich oder gar nicht sein werde). Der Unterschied bestehe nämlich darin, dass "man als Christ in einem freien Land leben kann, aber man in einem christlichen Land nicht frei sein kann." so Gyurcsány. Die Christdemokraten, KDNP, ein für solche Fragen "zuständiges" Anhängsel des Fidesz, echauffierten sich darüber sogleich, der Satz sei eine bodenlose Provokation. Sie verneinten in ihrer Aussendung aber nicht, dass es einen Unterschied zwischen einer freien und einer christlichen Gesellschaft geben könnte...

Gyurcsány ist ein Übriggebliebener und längst nicht mehr Ungarns größtes Problem

 

Der eloquente Self-made-Milliardär an der Spitze einer “linken” Partei, Gyurcsány, auf dessen "Mist" die überwältigende Mehrheit des Fidesz bei der Wahl 2010 - nach übereinstimmender Meinung von Politanalysten - ganz wesentlich gewachsen ist, gab sich nur kurz einmal selbskritisch was seine Rolle an der Regierungsspitze, sein “Lügenmanagement” und das systematische Versagen seiner Administration betraf. Heute stellt er sich eher als politisch Verfolgten dar und versucht, durch medienwirksamen Populismus die Aufmerksamkeit zu bekommen, die ihm sowohl bei den Wählern, wie im Oppositionslager weitgehend versagt bleibt, das ihn, so glaubt er, "fürchtet". Die Regierungsseite ist dumm genug, ihn immer noch als Feindbild zu pflegen und ihn damit wichtiger zu machen als er ist.

Gyurcsány ist kein Machtfaktor mehr, sondern nur ein Übriggebliebener, ein politisch Untoter, dessen “Lügenrede” von 2006 von beiden politischen Seiten zu einem völlig belanglosen Fetisch verkommen ist. Es ist letztlich gleichgültig, ob seine Schuld wirklich so substantiell war oder mehr ein Produkt der Feindpropaganda, er ist das Symbol für eine Zeit und eine Politik geworden, die 95% der Ungarn nicht wiederhaben wollen. Gyurcsány ist und bleibt damit erleidgt.

Doch egal wie das Ergebnis 2014 lautet, das Stehaufmännchen wird einen Dreh finden, weiter mitzumischen, sein Charakter lässt ihm keine andere Wahl. Immerhin, er ist lange nicht mehr Ungarns größtes Problem und er wird es auch nicht mehr werden. Das ist eine Errungenschaft, die nicht viele ungarische Problemträger vorzuweisen haben.

red. / ms.

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