THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 42 - 2013   POLITIK   19.10.2013

 

Für eine Handvoll Forint

Video soll Wahlbetrug der Regierungspartei in Ungarn belegen - MIT VIDEO

Es ist ein Politskandal ersten Ranges, auch wenn der Schuldige noch nicht feststeht: Am Freitag wurde ein Video veröffentlicht, das einen Stimmenkauf bei der Nachwahl in Baja belegen soll. Unabhängig davon, ob sich die Aufnahme als authentisch oder als gezielte Inszenierung herausstellt, zumindest eine Partei hat offen betrogen. Nun sind die Ermittler am Zug, doch das Schlimmste an alldem ist nicht der Beschiss an sich, sondern, dass er beiden Seiten umstandslos zuzutrauen wäre...

Ausschnitte des Videos liefen gestern über alle Sender, hier beim regierungsnahen HírTV.
Die Kardinalsfrage: Wer ist der Mann mit der Tasche?

Die Zeitung HVG, in etwa der ungarische "Spiegel", spricht von einem "klaren Beweis" der nun dafür vorliege, dass Aktivisten oder Hintermänner der Regierungspartei Fidesz bei der Wiederholung der Zwischenwahl von Baja (wir berichteten hier ausführlich) Stimmen gekauft hätten, mit Bargeld sowie mit der Lieferung von kostenlosem Feuerholz. Der Beweis soll ein Video sein, das die Zeitung am Freitag veröffentlichte und das wir hier eingebettet haben.

Darauf ist eine Art Vermittler zu sehen, der mit vier Personen in einem Raum spricht, ihnen Geld, insgesamt 200.000 Forint (700.- EUR, 50.000.- pro Person) auszahlt und Zusagen für weitere Summen und die Lieferung von bis zu 10 Tonnen Feuerholz macht, wenn sie und ihre Bekannten am Sonntag (gemeint 13.10.) Fidesz wählen würden. Bei den Bestochenen soll es sich wiederum um Roma des Ortes handeln, bereits zuvor waren Angehörige der Minderheit durch einen Fidesz-Fahrdienst in Unregelmäßigkeiten verwickelt worden, die letztlich zur Wahlwiederholung führten.

 

Das Geschrei auf beiden Seiten ist nun entsprechend groß. Fidesz erklärte das Video umgehend für eine Fälschung bzw. Inszenierung, Bajas Bürgermeister meinte, er kenne die Personen darauf nicht, mit Fidesz habe das jedenfalls nichts zu tun, die "gescheiterte Linke" sei mal wieder nicht in der Lage ihre "umfassende Niederlage" einzugestehen und müsse daher zu "illegalen Instrumenten" greifen. Die Partei erstattete Anzeige gegen Unbekannt. Der Mann sei im übrigen schon am Wahltag aufgefallen, er könne nur ein "Agent der Linken" sein.

Die linke Opposition, MSZP, DK, E2014 sowie die neonazistische Jobbik sehen sich darin bestätigt, dass Fidesz - wie zuvor schon gerichtlich bestätigt - Betrug anwenden müsse, um sich an der Macht zu halten. Auch sie wandten sich noch am Freitag ebenfalls an die Ermittlungsbehörden, die "schnell" die Authentizität der Aufnahme überprüfen soll. Könne sie die Echtheit verifizieren, sei das ein "europaweit einzigartiger" Riesenskandal, so die MSZP, der Konsequenzen "bis in die höchsten Kreise" und "bis zu Viktor Orbán" (der offenbar noch höher als die höchstne Kreise steht? Anm.) nach sich ziehen müsse, so E2014, die der Polizei auch nahelegen, die Sache nicht nur schnell, sondern auch unvoreingenommen zu überprüfen. Ungeachtet dessen fordere man die erneute Annullierung des Wahlergebnisses, auch wegen anderer Vorkommnisse.

HVG erklärte aus Quellenschutzgründen nicht genauer, wie sie an das Video gekommen ist, es soll am 12.10., also am Vorabend der Wahl aufgenommen und anonym zugespielt worden sein. Einige Momente in der Aufnahme wirken einigermaßen aufgesetzt, u.a. dass das Band schon läuft als der Mann den Raum betritt, der ominöse Vermittler mehrmals betont, dass das Geld von Bürgermeister Zsigó und Wahlkreiskandidat Kovács (beide Fidesz) stamme, auch ist schwer nachvollziehbar, warum sich jemand, der offenbar bewußt einen Wahlbetrug inszeniert, dabei ungestört filmen ließ, denn das Video war offensichtlich nicht mit versteckter Kamera oder in versteckter Haltung gefertigt. Auch ist unklar, warum der "Agent" die Auszahlungen nicht jeweils unter vier Augen vornahm, um Zeugen auszuschließen.

 

Andererseits denkbar ist, dass die bestochenen Personen auf einer Aufnahme bestanden, um sich gegenüber späteren Erpressungen seitens des Vermittlers bzw. seiner Auftraggeber abzusichern. Die Personen sprechen u.a. darüber, dass sie von Fidesz enttäuscht seien, weil sie Entgelte für frühere Deals bis heute nicht erhalten hätten, wobei auf Begegnungen und Veranstaltungen eingegangen wird, die sich überprüfen lassen und der Vermittler auch einiges an Insiderwissen gucken lässt, eher abwegig mutet dann wieder der Satz, dass ihr Herz eigentlich für die Oppositionskandidatin schlage. Dennoch sind die Dialoge formal kaum gekünstelt, das Video wirkt nicht "gespielt", wenn, dann waren die Schauspieler durchaus talentiert.

Es gibt auch noch andere Deutungsmöglichkeiten für die Entstehung des Videos, wenn auch deren Wahrscheinlichkeit gering ist. So ist denkbar, dass Außenstehende eine solche Aktion starteten, um die Politik insgesamt bloß zu stellen oder die Regierungspartei zu erpressen, auch eine Inszenierung einer Inszenierung ist denkbar, um die Linke zu blamieren, aber auch persönliche, z.B. innerparteiliche Rachemotive sind nicht außer Acht zu lassen und wären keineswegs ein Novum in der Partei, in der offene Aussprache und innerparteiliche Demokratie nicht gerade die ersten Moden sind.

Wie auch immer, ob Posse, Fälschung oder Beweis für organisierten Wahlbetrug, die Ermittler haben nun zunächst die Aufgabe, die Identität der Personen zu ermitteln, um die Hintergründe aufzuhellen. Es dürfte nicht leicht, aber auch nicht unmöglich sein, Umstände und Quellen der Aufnahme zu verifizieren. Wir halten Sie auf dem Laufenden.

UPDATE, 20.10., 19.00 Uhr: der Staatsfunk (M1, Hírado) meldete am Sonntag, dass die Polizei bei der Überprüfung des Videos “Manipulationen” festgestellt habe, allerdings, weder von welcher Art noch von welcher Seite diese vorgenommen worden seien. Die Polizei selbst wollte das nicht bestätigen, die Ermittlungen liefen noch. Fidesz sieht sich ein weiteres Mal in der Annahme einer Inszenierung bestätigt. Hírado will in den Abendnachrichten mehr offenbaren.

Mehr in: die Wahlschlacht von Baja

red.

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