THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 44 - 2013   GESELLSCHAFT   28.10.2013

 

Extra Hungariam non est fortuna

Ungarn will seine "jungen Leute aus Europa zurückholen”

Die Überschrift auf einer Regierungsaussendung macht in zweierlei Hinsicht neugierig: "Vizepemier Navracsics plant, die Jugend nach Ungarn zurückzuholen". Denn zum Einen ist das Eingeständnis neu, dass "die Jugend" in einer offenbar nun doch relevanten Größenordnung das Land verlässt, zum Anderen darf man gespannt sein, wie ausgerechnet der Justizminister sie "zurückholen" will. Um es kurz zu machen: man hat weder einen Plan, noch ein wirkliches Interesse.

Wem die Zukunft gehört, fragten die Studenten vor zwei Jahren lautstark.
Mittlerweile haben sie zumindest das wo beantwortet, mit den Füßen...
http://www.pesterlloyd.net/html/1251winterrosenrev.html

Die bisherige Sprachregelung im Orbánschen Neusprech angesichts Hunderttausender junger Leute, die ihrem Land aus wirtschaftlichen und administrativen (Hochschulreform) Gründen den Rücken kehrten, war: "die jungen Leute sollen sich für einige Jahre im Ausland qualifizieren und dann nach Ungarn zurückkommen um ihrem Land zu dienen" bzw. "die Größenordnung ist nicht höher als zuvor, die Zahlen kann man vernachlässigen." Höhepunkt war aber ein Sager, wonach es ganz o.k. sei, wenn immer mehr im Ausland arbeiteten, denn "die Gelder, die sie zurück in die Heimat schicken, sind auch ein Wirtschaftsfaktor". Das sah man in der Türkei ähnlich, in den 50er bis 70er Jahren...

Einen Trend, der über die Daten der Vorgängerregierungen hinausging, wollte man offiziell nicht anerkennen: allein die Zahl der in Deutschland gemeldeten ungarischen Staatsbürger stieg im Jahre 2012 aber um knapp 30% gegenüber dem Vorjahr, meldete gerade das Statistische Bundesamt. Rund 108.000 Menschen mit ungarischem Pass leben derzeit - offiziell - in Deutschland, 2011 waren es noch 82.000, 2009, auf dem Höhepunkt der Lehman-Krise gerade 61.000. Man geht von einer dreimal so hohen Dunkelziffer aus, da etliche aus verschiedenen Gründen ihren Hauptwohnsitz in Ungarn belassen, weshalb sie auch dort in der Beschäftigtenstatistik geführt werden oder einfach ganz in die Schwarzarbeit in Deutschland, Österreich, Großbritannien abtauchen. Das Wirtschaftsministerium ging in einer geleakten Studie einmal von rund 500.000 Ungarn, also 5% der Bevölkerung aus, die seit 2010 das Land zeitweise oder dauerhaft verlassen haben, die Opposition legt noch einen 100.000er drauf.

Am Freitag nun also Vizepremier Navracsics: "Ungarn muss das Ziel weiterverfolgen, die jungen Leute, die in Europa geblieben sind, zurück in ihre Heimat zu holen." Also Erstens: Ungarn ist nicht Europa, Zweitens: die Entscheidung, wo sie leben und arbeiten, treffen nicht "die jungen Leute", sondern er. Die Ansage machte der Orbán-Vize, der - bezeichnenderweise Minister für Justiz und Öffentlichen Dienst, aber nicht für Wirtschaft oder Bildung ist, bei einer "Karrieremesse" in Veszprém am Freitag. Die "Regierung bietet mit ihrem `Programm für die neue Generation` einen umfassenden Aktionsplan", der "ihnen hilft, in Ungarn zu bleiben." In diesem führt man u.a. die Familiensteuernachlässe, Kurse zur Erwachsenenqualifizierung auf, die "praxisorientierter" werden sollen sowie die "steigenden Standards" in der Hochschulbildung.

Wegen dieser “Standards” fliehen die "jungen Leute" übrigens heute schon vor dem Studium aus dem Land, nicht erst danach, wenn sie feststellen, dass sie keinen Job finden, von dem sie leben können. Es gibt sogenannte Arbeitsschutzprogramme, die Berufseinsteigern, also z.B. auch Hochschulabsolventen helfen sollen, einen Job zu finden, in dem dem Arbeitgeber rund 3 Monate das gesamte Gehalt auf seine Steuer gut geschrieben wird, danach noch für einige Monate die Sozialabgaben. Das Problem ist nur, dass das Nettogehalt bei den paar in Frage kommenden Jobs dennoch so gering ausfällt, dass der Proband davon nicht leben kann und sofort nach auslaufen des Programms mit seiner Kündigung oder der "ungarischen Standardlösung" (gesetzlicher Mindestlohn auf Zeilzeitbasis, plus etwas "schwarz" auf die Hand.). Höhepunkt der regierungsseitigen Förderung junger Generation: die Babyprämie für gebärende und (!) zeugende Studierende. Hier mehr:
http://www.pesterlloyd.net/html/1338babyrabatte3.html

 

"Junge Menschen werden ermutigt, in Ungarn zu bleiben oder nach Hause zu kommen und eine Familie zu gründen." Viele gingen ja ins Ausland "um dort ihr Glück zu versuchen", aber "die wahre Frage ist doch", ob man sein Glück außerhalb Ungarns überhaupt finden könne, so Onkel Tibor im Angesicht finster lächelnder "junger Leute" in Veszprém. "Extra Hungariam non est vita", resp.: fortuna... Zusammengefasst: die ungarische Regierung hat weder einen Plan, noch - über die Geburtenrate hinausgehendes - gesteigertes Interesse. Es sei einfach die moralische Pflicht der "jungen Leute", die Heimat nicht zu vernachlässigen. Doch wo ist die Heimat? Da wo man sich zu Hause fühlt. Oder nicht? Womöglich könnten die "jungen Leute", die über Jahre im dekadenten Westen werkeln, das Land bei ihrer Rückkehr noch mit liberalen Ideen verpesten, daher sollten sie lieber bleiben wo sie sind, aber das Geld dürfen sie der Mama schicken, denn Geld stinkt nicht.

red.

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