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(c) Pester Lloyd / 45 - 2013   POLITIK   03.11.2013

 

Braune Morgenröte

Neue Neonazi-Partei in Ungarn gegründet

Für Zeitgenossen, denen die neonazistische Partei Jobbik noch nicht rechts genug ist, ja, solche soll es geben, eröffnet sich am Horizont eine neue "Bewegung". In der Vorwoche präsentierte sich die Partei "Ungarische Morgenröte" der Öffentlichkeit. Sie wird die Parteienlanschaft mengenmäßig kaum durcheinanderwirbeln, ihr Potential liegt dafür auf "qualitativer" Seite: Wie ihr Vorbild in Griechenland wird sie sich an der Aufwiegelung und Destabilisierung der Gesellschaft versuchen. Jobbik wirkt dadurch harmloser, was für Fidesz Gefahr und Chance zugleich darstellt.

András Kisgergely, der Abgeordnete Ihres Vertrauens?
Hier rechts nach der Präsentation seiner neuen Partei in Budapest.

Der Vorstand der "Magyar Hajnal", MH, rekrutiert sich zum großen Teil aus ehemaligen Jobbik-Funktionären sowie einigen Gestalten rund um die Nachfolgeorganisationen der 2009 verbotenen "Ungarischen Garde", die einst von Jobbik-Chef Vona gegründet wurde und in deren Fahrwasser eine Mordserie an ungarischen Roma mit sechs Toten, darunter ein kleines Kind, stattfand. Danach gründeten sich mehrere Nachfolgeorganisationen, die - trotz gesetzlichen Verbots - von der Regierung als Ventil des Volkszorns geduldet werden und ungestraft aufmarschieren, vereidigen und hetzen können. Hier mehr dazu. Vor allem auf lokaler Ebene gab es dazu immer schon weitere Gruppen, die sich von Jobbik nie ganz einfingen ließen, sei es aus inhaltlicher Abweichung oder - wie meist - persönlicher Abneigung.

Einige Köpfe der neuen Partei waren den zahlreichen jobbikinternen Machtkämpfen zum Opfer gefallen oder wegen der angeblichen "Verbürgerlichung" der Rechtsextremen unzufrieden. Parteichef ist András Kisgergely, der wegen eines internen Putschversuchs aus der Fraktion verstoßen wurde und im Parlament, neben anderen "Verbannten" seit dem als "unabhängiger" Abgeordneter vagabundiert. So kommt es, dass die in Gründung befindliche Partei bereits im Parlament vertreten sein wird, nicht nur durch Kisgergely, sondern auch seine "Kameraden" Zsolt Endrésik und Balázs Lenhardt, Letzterer einer der pathetischsten Hetzredner des Landes.

Primärziel der MH ist der Antritt bei den Wahlen im Frühjahr, wobei man sich nicht als "rechtsextrem" bezeichnen möchte, sondern als "strikt nationalistisch, christlich und auf sozialem Fundament" fußend beschreibt. Jobbik habe sich in den letzten drei Jahren von den "Kernwerten" der "nationalen Bewegung" entfernt. Die Namensanlehnung an die gerade in Griechenland für Aufsehen sorgende "Goldene Morgenröte" ist gewollt. Einige Kernthemen, die Kisgergely auf einer Pressekonferenz in der Vorwoche verkündete, umfassen u.a. die Aufhebung der Trianon-Verträge (lies: Annektierung der früheren ung. Gebiete in den Nachbarländern), sowie das "Recht jedes Ungarn, eine eigene Waffe zu besitzen", lies: Kampf gegen "Zigeunerterror" und Wehrhaftigkeit gegen staatliche Anmaßungen. Auf der Webseite kommen die üblichen Schlagworte zum Tragen: man kündigt an, dass die "Einheit der Nationalisten Europas geboren" wurde, präsentiert Glücwunschtelegeramme aus Griechenland und Italien zur Gründung, hetzt gegen Schwule, Roma, Liberale. Und wie bei Rechten üblich, darf auch die Weinerlichkeit nicht fehlen, man stellt sich als ausgegrenzt, verfolgt dar, was nur zeige, wie "undemokratisch" das "Establishment" ist. Ein Gedenken an die "Märtyrer" des Attentats auf die Goldene Morgenröte in Athen rundet das Bild ab.

MH wird vor allem den vielen militanten neonazistischen Splittergruppen ein Sammelbecken (die diversen "Milizen" und "Bürgerwehren", die Bewegung der "64 Gespanschaften", allerhand "Betyárség" / Räuberschaften, Motorradgangs) anbieten wollen und könnte Jobbik ein paar Prozentpunkte bei Wahlen abnehmen. Die offizielle Mitgliederzahl wird derzeit mit "einigen Hundert" angegeben, derzeit sympathisieren  knapp 8.000 Menschen auf Facebook mit der Bewegung. Die Kommentare in den einschläigen Naziportalen geben dennoch ein gespaltenes Bild: ein Teil bejubelt die Gründung als neue Sammlungsbewegung der Echtesten der "echten Ungarn", andere sehen darin nur den Egotrip eines enttäuschtne Jobbik-Mannes, der sich rechtzeitig vor der Wahl die staatliche Wahlkampffinanzierung sichern will.

 

Allerdings kann die Neugründung dazu führen, dass Jobbik von Protestwählern nicht mehr als sonderlich extrem angesehen und damit "wählbarer" wird. Fidesz könnte sich zudem durch ein Verbot zur rechten Zeit im In- wie Ausland profilieren und damit darauf verweisen, wie konsequent man angeblich gegen Rechtsextremismus vorgeht, ohne Jobbik frontal angreifen zu müssen, das ein enormes Protestwählerpotential (Umfragen derzeit bei 13-16%, Potential bei bis zu 25%) auf der rechten Flanke bindet und so für oppositionelle Kräfte der Mitte oder Links nutzlos macht. Interessant ist auch die Einstufung der neuen Partei durch die amtliche Nachrichtenagentur MTI, die diese lediglich als "nationalistisch" beschreibt, wiewohl diese Bezeichnung schon auf Fidesz-KDNP zuträfe, doch die Maßgabe des Staatsfunks lautet, Fidesz als Volkspartei der Mitte vorzugaukeln.

Gefahr geht von der neuen Partei nicht so sehr quantitatv als eher qualitiativ aus, denn um auf sich aufmerksam zu machen, darf mit aufwiegelnden Aktionen bis hin zu Destabilisierungsversuchen wie bei den Vorbildern in Griechenland gerechnet werden, denn Chaos und Angst ist neben Armut und Perspektivlosigkeit der Nährboden, auf dem immer schon der Extremismus gedeihte, von Letzterem gibt es in Ungarn schon reichlich.

red.

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