THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 45 - 2013   NACHRICHTEN   03.11.2013

 

Verfassungsgeriatrie: Altersgrenze für Verfassungsrichter in Ungarn wird gekippt

Zuerst legte sich die Regierung wegen der Altersbeschränkung von Richtern (auf 62, dann halbwegs zurückgenommen und
geschickt verwurschtelt) sogar mit der EU an, nun können die Rechtsprecher gar nicht lange genug im Amt bleiben. Zumindest die "Richtigen". Wie der Entwurf einer Gesetzesänderung aus dem Justizministerium nahelegt, sollen Verfassungsrichter, die zwar auf 12 Jahre ernannt, bisher aber mit der Vollendung des 70. Lebensjahres in den Ruhestand geschickt werden, nun auch darüber hinaus, also bis zum Ende ihrer Berufungszeit in ihrem Amte verbleiben. Nur wer schon über 70 ist, fügt das Ministerium hinzu, sollte nicht nominiert werden können.

Auf der Suche nach den Gehhilfen oder der Rechtsstaatlichkeit? Foto des VfG von 2010

Der "Move" ist kein Zufall, denn mittlerweile haben die Richter, die eher der Regierungsseite zugeordnet werden, eine knappe Mehrheit, auch Dank des Abschiedes einiger älterer Richter in den letzten drei Jahren. Mittlerweile sind 9 der durch Fidesz von elf auf fünfzehn aufgestockten Richterschar durch die heutige Regierungspartei ernannt (davon einer noch durch die erste Regierung Orbán), die anderen 6 während der MSZP-SZDSZ-Zeiten, darunter auch der Verfassungsgerichtspräsident Péter Paczolay, der jedoch als weitgehend neutral gelten kann. Wie eine Zeitung bereits ausrechnete, könnte sich - wenn die Lebensuhr so lange tickt - die Regierungspartei Fidesz dann zumindest bis zum Jahre 2022 dieser Mehrheit der ihr Geneigten versichert sehen, sollte sie die kommende Wahl gewinnen, ist es ohnehin müßig, über irgendwelche Paritäten zu fantasieren, das VfG wird dann endgültig zum Parteibüro werden.

 

Zwar ist die Parteilichkeit im Verfassungsgericht heute längst nicht so augenscheinlich hervorstechend wie in anderen Institutionen, doch vor allem in Fragen, die wirklich grundsätzliche Weichenstellungen bedeuten, wird sich die Regierung hinfort auf "ihre" Leute verlassen können. Dazu zählt z.B. der vorprogrammierte Streit über die Gültigkeit der kommenden Wahlen, die - davon darf ausgegangen werden - nicht vom Wahlleiter, sondern von einem Gericht festgestellt werden wird. Sollten die Richter dennoch einmal ausscheren, sorgt der Sturz der verfassungsmäßigen Hirarchie durch die Regierungsmehrheit im Parlament für "Ordnung", die notfalls annulierte Gesetze einfach in den Verfassungsrang hebt. Ein Vorgang, den es auch in anderen Ländern gibt, nicht aber - wie in Ungarn mehrfach geschehen - auch umstandslos die Beschneidung von allgemein anerkannten Grundrechten beinhaltet. So sieht es zumindest die “vereinigte, europäische Linke”. In Wirklichkeit nimmt diese Art “betreutes Richten” nur Rücksicht auf die altersbedingten Einschränkungen der Herren, ist also nur ein weiterer Beleg der Menschenliebe und Voraussicht unserer Regierung, weshalb die Aussicht, dass die Lebensgrundlagen und Grundrechte in Ungarn bald von einem Verein greiser Männer "gerichtet" werden, überhaupt kein Problem darstellt, fast wie damals, als das Politbüro... aber das ist vielleicht eine andere Geschichte...

red.

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