THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 46 - 2013 GESELLSCHAFT 14.11.2013

 

Fishing-Freunde

Ungarn spioniert seine Bürger mit Hilfe aus Deutschland aus

Wie geheuchelt die Entrüstung der ungarischen Regierung über die Ausspähaktionen der NSA, ist, belegt ein jetzt bei Wikileaks veröffentlichtes Dokument, dass den Einsatz universeller und kaum kontrollierbarer Ausspähsoftware im eigenen Lande belegt. Skrupel bei der Ausstattung auch von menschenrechtsverachtenden Regierungen, kennt weder das in Deutschland ansässige Unternehmen noch die deutsche Exportförderung.

Mit dieser Grafik und dem Slogan “Alles was Sie für die Tiefen-Überwachung brauchen...” wirbt eine französische Firma für die Finfisher-Software, einem Renner auf dem Markt der Trojaner.

Das auf Erkenntnissen des "Citizenlab", einer Forschungsgruppe der Universität Toronto zurückgreifende, bei Wikileaks einsehbare Dokument belegt, dass Regierung in Budapest bereits seit Jahren ein Softwarepaket mit Namen Finfisher IT Intrusion (Intrusion in etwa: Eindringen), auch bekannt unter FinSpy einsetzt. Die Programme, bekannt unter der Gattungsbezeichnung "Staatstrojaner", sind selbst für professionelle Antiviren- und Antispywaresoftware kaum zu entdecken, die Marktführer auf diesem Gebiet bestätigten, dass es "weit mehr als die übliche Antivirensoftware" braucht, um sich dem Zugriff von FinSpy zu entziehen. Die Software ermöglicht dem Benutzer den Zugriff auf sämtliche Inhalte der angegriffenen Computer, Tabletes oder Handys sowie Zugriff auf den kompletten Datenverkehr bis hin zum Klartext.

Diese Software ist eine feine Sache für die Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung, in Händen anmaßender Machthaber aber auch eine gefährliche Waffe gegen die eigenen Bürger. Ungarische Bürgerrechtsgruppen befürchten, dass der Einsatz dieser Software weit über die Maßgaben der "nationalen Sicherheit" hinausreicht, denn die Verwendung verlaufe aufgrund der Geheimhaltung des Einsatzes intransparent und entzieht sich daher der Kontrolle der zuständigen Gremien. So könnten problemlos auch Oppositionelle, unbequeme Bürger und Journalisten Ziel der Spitzelsoftware werden, da diese, nach Abgreifen der Daten, spurlos sowohl vom Ziel- wie vom Angriffscomputer entfernt werden kann. Ein Monitoring über die Einsätze ist daher nicht vertrauenswürdig, zumal die Kontrolle über die Datenzugriffsrechte der in Ungarn tätigen Antiterroreinheiten und Geheimdienste durch die Dominanz der einen Regierungspartei praktisch aufgehoben ist.

 

Auf Wikileaks wurde  ein deutschsprachiges Dokument publiziert, dass die Aufteilung des Marktes für die Software zwischen den Unternehmen Dreamlab Technologies und Gamma International beinhaltet, wobei Ungarn in die Bearbeitung letzterer Firma fällt. Gamma International ist auf den British Virgin Islands registriert, die Tochterunternehmen in München und im britischen Andover kümmern sich um die Distribution, vor allem an Regierungs- und Exekutivbehörden und bieten neben Spy-Software ein umfangreiches Angebot an Spionagedienstleistungen bis hin zu komplett ausgestatteten Abhörfahrzeugen samt Trainingsprogrammen an. Externer Link zum WikiLeaks-Dokument betr. Finfisher.

Unter den - laut Citizenlab - 36 bisher mit Finfisher belieferten Regierungen finden sich auch einige astreine Diktaturen sowie Länder, in denen Menschen- und Bürgerrechte offen oder verdeckt missachtet werden. Die Exportaktivitäten von Gamma in München werden, laut einer Reportage des Bayerischen Rundfunks, durch die Bundesregierung mit Hermes-Bürgschaften unterstützt. Vorwürfe, man habe aktiv mit dem Mubarak-Regime zusammengearbeitet, wies die Firma von sich, ihr sei davon "nichts bekannt". In gefundenen Unterlagen des ägyptischen Geheimdienstes war die Anwendung der Software dokumentiert, IT-Experten sind der Ansicht, dass die Installation für den Nutznießer nicht ohne Mittun von Unternehmen und Regierung möglich ist. Auch die Regierung in Bahrein, die u.a. mit ausländischer Hilfe gegen Demokratieaktivisten vorging, soll Bezieher der Software sein. Citizenlab belegte den Einsatz gegen Oppositionelle im Juli 2012 anhand der Analyse von entsprechend infizierten Emails, siehe hier (externer Link). Auch das Bundeskriminalamt in Deutschland testet seit Anfang des Jahres die Software für verdeckte Ermittlungen, wie ein dem Portal Netzpolitik.org vorliegendes internes Dokument belegt, externer Link.

Merkel spricht, Orbán hört mit... - Auch im Spionagewesen kooperieren beide Länder, mit NSA-würdigen Methoden? Zumindest hat man ähnliche Möglichkeiten, nur in Ungarn gibts weniger Kontrolle...

Eine weitere Spy-Software namens Bongo Monitoring System (Link zum WikiLeaks-Dokument), spezialisiert auf die Kontrolle von Mobiltelefonen, wird, laut Wikileaks, ebenfalls am internationalen Markt angeboten, promotet von der ungarischen Neti Kft., Ausgründung einer Tivadar Puskás Stiftung, die sich die internationale Vermarktung ungarischer "Hochtechnologie" sowie die Einfuhr von internationalem Know how auf den ungarischen Markt auf die Fahne geschrieben hat. Unter der Ägide eines fünfköpfigen Vorstandes aus "honorablen Personen aus Wirtschaft, Öffentlichem Dienst und Wissenschaft", die allerdings nicht namentlich benannt werden, betreibt die Stiftung auch das CERT, das " nationale Zentrum für Cybersicherheit". Weiteres - von der Regierung mitfinanziertes - Aufgabengebiet ist die "Unterstützung der IT-Infrastruktur der Auslandsungarn" u.a. mit der Plattform emagyar.net. Durch die enge Verbindung mit der ungarischen Regierung, wird davon ausgegangen, dass "Bongo" auch im Inland eingesetzt wird.

In
diesem Beitrag berichteten wir bereits ausführlich, mit welchen strukturellen und taktischen Methoden die ungarische Regierung ihren Drang nach möglichst totaler Überwachung der Bevölkerung in die Tat umzusetzt und sich dazu gern auch auf "EU-Anforderungen" beruft und dortige Geldquellen nutzt. Es ist auch kein Zufall, dass sowohl die sozialistischen wie die nationalen Regierungen bisher eine Aufarbeitung der Stasiakten, wie z.B. in Deutschland, zu verhindern wussten. Wie sich heraustellte, störte Orbán bei der NSA-Abhöraffäre auch nicht so sehr der Umstand des Herumspionierens in seinem Land, sondern, dass er selbst offenbar nicht wichtig genug war, um auf der Liste der abgehörten Staatsschefs aufzuscheinen. Dahingehend verlangte sein Außenminister "sofortige Klärung"...

red.

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