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(c) Pester Lloyd / 46 - 2013 BUDAPEST 14.11.2013

 

Exposition des Versagens

Hauptsache sie bleiben unsichtbar: Winterbeginn für Obdachlose in Ungarn

Mit dem Slogan, dass "allen Obdachlosen eine Unterkunft angeboten" werden könne, versucht der Budapester Oberbürgermeister, István Tarlós, Fidesz, zu vertuschen, dass Stadt und Land einmal mehr darin versagt haben, ausreichend adäquate Quartiere für die mindestens 10.000 Obdachlosen in der ungarischen Hauptstadt zu organisieren und zu finanzieren. Zumindest jeder Dritte der offiziell anerkannten Obdachlosen werden keine Not-Schlafplätze bekommen und sollen dann ins Messegelände der Hungexpo geschickt werden. Hauptsache die Platzverbote werden durchgesetzt...

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: OB Tarlós und Malteser-Chef Vecsei bei der Präsentation der Winterhilfe für Obdachlose in Budapest. Die Körpersprache von Leuten reinen Gewissens sieht anders aus...

Der Chef des Malteser Hilfsdienstes, Miklós Vecsei, als Mitglied des "Budapester Obdachlosen Management Konsortiums" zwischen den Stühlen Nächstenliebe und Regierungspolitik eingeklemmt, kommt nicht umhin festzustellen, dass für die - nach seinen Schätzungen - rund 9.000 Budapester Obdachlosen in diesem Winter nur 7.000 Schlafplätze in den karitativen Einrichtungen von Stadt und NGO´s vorhanden sind. Aber, schiebt er etwas unlogisch nach, selbst bei einer Überbuchung von 120% der Notasyle während der Winterperiode werde "niemand abgewiesen", damit man "sein Überleben garantieren" könne. Wie er sich das praktisch vorstellt, sagte Vecsei nicht. Aber die Vorgabe vom OB, der die Malteser maßgeblich finanziert lautete eben "alle".

Am Donnerstag protestierten Betroffene und Aktivisten der Bewegung “Die Stadt gehört allen” während der Stadtratsversammlung gegen die Politik der Stadtregierung. OB Tarlós ließ sie von der Polizei aus dem Sitzungssaal entfernen und die Türen anschließende verriegeln. (weitere Fotos unter dem Text). Dann beschloss die Regierungsmehrheit die No-go-Areas.

Messe als Leistungsschau eines Landes...

Der Oberbürgermeister, der schon bei seinem Amtsantritt 2010 durch vorweihnachtliche "Unterführungssäuberungen" seine Nächstenliebe demonstrierte und sie bis zur verfassungskonformen Verbannung der Obdachlosen im Jahre 2013 aufrecht erhielt, die heute in zwei Dutzend - zum Teil ganze Stadtbezirke umfassende - und mit hohen Geldstrafen oder Ersatzhaft sanktionierten No-Go-Areas für Obdachlose in Budapest gipfelte, dieser Politiker löst das Überbelegungsproblem "pragmatischer" als der umständliche Malteser-Chef: in Absprache mit dem Innenminister werde er während der "Krisenperiode" das Messegelände der Hungexpo öffnen, wo man bei Bedarf "bis zu zehntausend Schlafplätze" einrichten könne.

Problem gelöst? Tarlós gesteht damit ein, nicht, wie zuvor mehrfach angekündigt, die Malteser und andere eingespielte NGO´s sowie die Bezirke mit genügend Mitteln ausgestattet zu haben, um adäquat bestückte und betreute Einrichtungen mit genügender Kapazität aufzurüsten, Notschlafstellen wie nach einer Naturkatastrophe erscheinen für die Obdachlosen als ausreichend. Immerhin ist das Messegelände der passende Ort, nämlich der, wo ein Land seine heruasragendsten Errungenschaften ausstellt. Und dazu gehört im heutigen Ungarn die systematische Kriminalisierung von Obdachlosen, verankert durch die verfassungsmäßig gestützte Erlaubnis, diese Menschen einfach zu verbieten.

Tabus und Gnadenakte

"Leider" sei es "nicht möglich, in jeder Straße und an jedem Platz einen Polizisten, Sozialarbeiter oder Security aufzustellen", um die Platzverbote zu kontrollieren, auch habe er wenig Illusionen bei der Eintreibung verhängter Geldstrafen, doch "Schulen, Spielplätze, Unterführungen" und andere "sensible" Bereiche sollten für "die Obdachlosen" tabu sein, im öffentlichen Interesse, versteht sich. Laut Tarlós habe sich die Zahl der Obdachlosen seit 2010 in Budapest um 1.000 erhöht (Wie das, wenn unter Orbán alles so prächtig läuft?), man konnte aber dafür sorgen, dass die Zahl der Kältetoten deutlich geringer wurde, behauptet der OB.

Ein menschliches Minimum: was Hilfsorganisationen unter großem Aufwand (nicht mal) allen bieten, verweigert ihnen das Gesetz. Obdachlose in einem der besseren Notquartiere in Budapest.

Bürgerrechtler widersprechen vehement: über die Zahl der Obdachlosen habe der OB überhaupt keinen Schimmer, weil er jene, die unerkannt seit Jahren in randständigen Grünanlagen (Wäldern) und Abrisshäusern wohnen und keinen Kontakt zu Hilfsorganisationen haben, gar nicht erfasst werden, während die Zahl der Kältetoten einfach wegen einer Veränderung der Zählweise zurückgegangen ist. Heute werden nur noch die am Ort Erforenen als Kältetote registriert, wer noch irgendwie lebend ins Krankenhaus geschafft werden kann, um dort an den Folgen von Unterkühlung oder der Akutisierung latenter Krankheiten durch die Kälte zu sterben, scheine in der Statsitik einfach nicht auf.

Tarlós hat zugesagt, zumindest im Winter Milde bei der Verhängung von Geldstrafen bei Übertretung der Platzverbote walten zu lassen, zusätzlich zum Hilfsbudget habe das Innenministerium weitere 80 Millionen Forint, ca. 270.000 Euro für weitere "Krisencenter", zusätzliche "Notunterkünfte" und "speziell ausgestattete Ambulanzfahrzeuge" bereit gestellt.

Verfassungskonformer Grundrechtsverstoß...

Doch Tarlós "Wir haben eh alles im Griff"-Attitüde auf der städtischen Präsentation am Dienstag kann längst nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass die Politik der Regierungspartei das Problem Obdachlosigkeit von der sozialen Ebene zu einem lästigen optischen Schönheitsfehler verwandelt hat und entsprechend oberflächlich und am Menschen vorbei behandelt. Zu diesem Zweck wurde die Verfassung vergewaltigt, also von der parlamentarischen Mehrheit gezwungen, ein vom Verfassungsgericht als grundrechtswidrig erkanntes Gesetz aufzunehmen. Der schnelle Abgang des Malteser-Chefs von der Pressekonferenz belegte dann auch, dass ihn nur sein innerer Auftrag an der Seite der Mächtigen hält.

Sozialarbeiter fast so arm wie ihre “Kundschaft”

200 Sozialarbeiter demonstrierten am Dienstag vor dem Ministerium für "Humanressourcen", dem auch die Sozialpolitik untersteht, für höhere Löhne. Die Gewerkschaft findet es schändlich, dass man die Nöte im Gesundheitswesen in soweit erkannt hat, dass man dort die Gehälter spürbar - wenn auch noch nicht befriedigend - erhöht habe, den gesamten Sozialsektor aber links liegen lässt. Es sei einfach ein "Skandal, dass eine derartig wichtige und engagierte Arbeit manchmal nicht einmal mit einem Gehalt an der Armutsgrenze" entlohnt werde, so Péter Pataki, Chef einer Gewerkschaftskonföderation. Das Ministerium nahm eine Petition der Gewerkschafter an, man sei sich "der Probleme in dem Bereich bewusst" und hoffe, dass man nächstes Jahr Verbesserungen bewirken könne. Bis dahin können die Sozialarbeiter ja zu ihren Kunden aufs Messegelände ziehen...

“Sie wollen doch nur hetzen”, meinte OB Tarlós zu den Aktivisten und ließ sie entfernen...

Von oben herab: ein Fidesz-Abgeordnete erklären den jungen Leuten, wo der Hase langläuft...

Tarlós in Siegerpose nach Beendigund der “Störung”.

Nachsatz: Die Behörden im lupenrein demokratischen Österreich nehmen sich an Orbáns Ungarn im Umgang mit Obdachlosen ein Beispiel. Mit Bezugnahme auf eine alte Anti-Campier-Verordnung und unter massivem Polizeieinsatz will man verhindern, dass man “Ungarns Obdachlose” in Wien durchfüttern muss. Mehr zum Thema in dieser Meldung des “Standard”:
http://derstandard.at/1381371460724/Obdachlose-zeigen-Polizei-wegen-Parkraeumung- an

red.

Zum Thema:

Verfassungsgemäße Verbannung
Ungarische Regierung kriminalisiert Obdachlose nun ungehindert und verfassungskonform
http://www.pesterlloyd.net/html/1337krieggegenobdachlose.html

25.000 Kinder in Ungarn "hungern regelmäßig"
http://www.pesterlloyd.net/2011_42/42hungerndekinder/42hungerndekinder.html

Feudale Gnadenakte im Ständestaat Ungarn: Feuerholz und Kartoffeln für den Bodensatz
http://www.pesterlloyd.net/html/1322feudalegnadenakte.html

red.

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