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(c) Pester Lloyd / 48 - 2013 POLITIK 28.11.2013

 

Wegdelegiert

Kein Interesse an Aufklärung? Steuerskandal war Thema im ungarischen Parlament

Die Regierungspartei Fidesz hat die gestrige Anhörung des Ex-Steuerfahnders András Horváth im zuständigen Parlamentsausschuss "boykottiert", wie die staatliche Nachrichtenagentur MTI schreibt. Der Kronzeuge vertiefte vor Abgeordneten
seine Aussagen über systematischen, amtlich gestützten Steuerbetrug, nicht nur einmal fiel das Wort "mafiös". Die Staatsanwaltschaft delegierte den Fall vorerst an die Polizei, Horváth droht indes mit Publizierung der brisanten Materialien.

Ex-Steuerfahnder und NAV (Finanz- und Zollamt)-Abteilungsleiter András Horváth am Mittwoch in einem Nebenzimmer des Parlamentes. Als er bei seinen Vorgesetzten gegen verschlossene Türen lief, kündigte er und nahm Akten mit. Nun versucht er auf juristischem Weg die Aufklärung, misslingt auch die, bleibt nur noch die Öffentlichmachung von Namen und Adressen...

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Fidesz spielt die Sache zur Einzelfallproblematik herunter

Die Verweigerung der Regierungspartei Fidesz, an der Anhörung im parlamentarischen Unterausschuss für Steuerfragen teilzunehmen, wurde mit den gleichzeitig stattfindenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen begründet, eine "Doppelermittlung" sei nicht statthaft.

Allerdings handelte es sich bei der von den Oppositionsparteien LMP, PM (E2014) sowie unabhängigen Abgeordneten anberaumten Termin nicht um einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, sondern lediglich um eine Anhörung, die Klarheit über die Schwere der Vorwürfe zum systematischen, amtlichen Steuerbetrug sowie Erhellendes zur politischen Verantwortung unter mehreren Regierungen bringen sollte und damit eben genau ins Parlament gehört. Fraktionschef Rogán sprach zudem davon, dass derzeit konkret gegen "drei multinationale Unternehmen" wegen Steuervergehen ermittelt würde und weiterhin werde, womit der Regierungsvertreter die Sache offensichtlich zu "Einzelfällen" ohne politischen Hintergrund herunterspielen wollte.

Parlament könnte weitere Zeugen ermutigen

 

Horváth verweigerte - mit Bezug auf die rechtlichen Ermittlungen - weiterhin die Benennung von Personen oder Firmen, die in Steuerbetrügereien und "Sonderbehandlungen" verwickelt sein sollen. Dabei kam auch die Frage auf, warum die heutige Regierungspartei, die seit zwei Jahren schriftlich von Horváth über die Vorgänge informiert war (Briefe gingen sowohl an Steuerstaatssekretär Cséfalvay als auch Fidesz-Fraktionschef Rogán), nicht schon früher Ermittlungen anstieß. Offenbar, so die Schlussfolgerung der Opposition, habe man bei Fidesz kein Interesse einer näheren Aufklärung, wiewohl die Größenordnungen und Systematiken der Vorwürfe Dimensionen hätten, die das Funktionieren des Staates in Frage stellen. Die MSZP, unter deren Regierung 2007, laut Horváth, die Betrügereien begannen systematischen Charakter anzunehmen, gab sich ebenfalls kleinlaut, schickte aber Vertreter zur Anhörung.

Horváth erhofft sich von der Unterstützung des Parlamentes eine Ermutigung weiterer seiner Ex-Kollegen zu Aussagen über Gesetzesverstöße im Amt. Im Fernsehen sprach er bereits darüber, dass er
Angst um seine Existenz habe. Ein noch im Dienstverhältnis befindlicher Steuerkommissar, speziell mit "großen" Steuerzahlern befasst, wurde, anonymisiert, zur Anhörung via Skype zugeschaltet. Er bestätigte die Aussagen Horváths und ergänzte, dass, so lange die heutige Steuerbehörde nicht von Regierungs- und Parteieneinfluss befreit wird, man "mafiaartig aufgezogenen Steuerbetrug" nicht verhindern könne.

Das Medieninteresse war enorm, das der Parlamentarier von Fidesz nicht, deren Plätze sowie die meisten der MSZP blieben leer.

Beide vertieften die vorgebrachten Vorwürfe des systematischen, personellen und strukturellen Umbaus, praktisch einer parteipolitischen Unterwerfung des Finanzamtes unter die Regierung ab 2007 (Gyurcsány), ein System, das die Orbán-Regierung übernommen und weitergeführt habe. Protegierte Unternehmen wurden in Sonderabteilungen ausgelagert, kritische Nachfragen von Finanz-Kommissaren unterdrückt, ganze Abteilungen mit Nonsense-Arbeiten eingedeckt, Fachspezialisten durch politische Beamte ersetzt.

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Die Generalstaatsnwaltschaft hat den Fall vorerst an die Kollegen in Budapest abgegeben, die Ermittlungsgruppe gegen Amtsmissbrauch und Korruption, delegierte diesen wiederum an die Polizei weg und forderte sie auf, den Fall weiterzuverfolgen. So hat die Regierungspartei also dafür gesorgt, den veritablen Skandal von der höchsten politischen auf die kleinste exekutive Ebene wegzudelegieren. Der logische nächste Schritt wird die Demontage des Kronzeugen sein...

Je nachdem, was bei diesen Ermittlungen herauskommt, will die Generalstaatsnwaltschaft entscheiden, ob "vollumfängliche Ermittlungen" einzuleiten seien. Einem ersten Klärungsbegehren kam die NAV "übers Wochenende" nach und fand "keinerlei Unregelmäßigkeiten", negierte, dass es "organisierte, kriminelle Aktivitäten" im Amt geben könne und verweist auf ihre "erfolgreiche Arbeit" und die gesteigerte Rate von Steuerhinterziehungsverfahren.

Horváth kündigte für den Fall im Sande verlaufender Ermittlungen, eine Veröffentlichung seiner gesammelten Unterlagen an, die sowohl systematischen Betrug mit Mehrwertsteuerrückerstattungen als auch "Rabatte" für große, intern "priorisierte" Steuerzahler offenlegen sollen, darunter auch mehrere multinationale Konzerne und ausländische Investoren. Der Gesamtschaden soll sich auf jährlich umgerechnet über 1 Milliarden EUR belaufen, also mindestens rund 1% des BIP. Konkret belegen könne Horváth mit seinen Unterlagen rund 300 Milliarden Forint, also 1 Mrd. EUR für den Zeitraum von 2007 bis 2012. Der Kronzeuge warnte davor, das NAV selbst mit der Aufarbeitung der Vorwürfe zu betrauen.

red.

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