THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 48 - 2013 POLITIK 25.11.2013

 

Vorletzte Chance

Demokratische Oppositionsallianz in Ungarn versucht sich in Optimismus

Auf einer Ochsentour durch die 106 Wahlbezirke wollen die Oppositionsführer Mesterházy und Bajnai mit dem Mut der Verzweiflung das Wahlvolk davon überzeugen, dass sie 2014 die richtige Wahl für Ungarn sind. Streit und Uneinigkeiten sollen vergessen gemacht, das Ziel der "Machtablösung" Orbáns in den Vordergrund gerückt werden. Doch selbst "80% Verlierer" der Orbán-Politik reichen derzeit nicht für einen Machtwechsel. Die Regierungspartei entfernt den Diskurs mit Totschlagrhetorik gezielt immer weiter von Sachargumenten und inszeniert einen Endkampf Gut gegen Böse.

Die Chefs der in einer Wahlkooperation vereinigten Parteien MSZP sowie E2014/PM, Attila Mesterházy und Gordon Bajnai (Foto), machten bei ihrem Wahltour-Auftakt durch alle 106 Direktwahlbezirke klar, dass das Bündnis zwar offen für weitere Partner ist, es aber keine Neuverhandlungen über die Aufteilung der Wahlkreise (75 zu 31) geben wird. Damit ist die Beteiligung der Demokratischen Koalition von Ex-Premier Gyurcsány wohl endgültig vom Tisch. Mesterházy nannte die Einheit der Opposition eine nutzlose "Illusion". Lediglich kleinere Splitterparteien, wie die SZEMA u.ä., die selbst kein Potential haben, um eigene, landesweite Kandidatenlisten aufzustellen, kommen so noch für eine taktische Allianzen in Frage.

Wer Orbán los werden will, muss dezidiert "links" wählen

Die beiden Parteichefs gelobten am Donnerstag im ostungarischen Nyíregyháza, ihren Wahlkampf hinfort genau abzustimmen und für alle Kandidaten gemeinsam zu kämpfen, unabhängig davon, ob sie jeweils von der einen oder der anderen Partei gestellt werden. Dazu werde man ab sofort bis zur Wahl im kommenden Frühjahr über Land reisen und alle 106 Kandidaten sowie die gemeinsamen Programmschwerpunkte vorstellen. Beide Parteichefs demonstrierten betont ihre Einigkeit und wollen die substanzlosen Streitereien und PR-Flops der vergangenen Monate damit vergessen machen. Man will nach vorne schauen.

Bajnai und Mesterházy trauen ihrer Allianz immer noch zu, "die Basis für einen Wechsel in die richtige Richtung" zu bilden. Den Wählern werde "eine klare Option angeboten". Wer Orbán "entmachten" wolle, müsse einen MSZP-E2014-Kandidaten wählen. Damit sprechen beide - ohne es auszusprechen - das wohl größte Manko der ungarischen Opposition an. Es gibt keine wahrnehmbare Partei der Mitte oder eine wirkliche Bürgerbewergung, die sich - ohne einer belasteten ideologischen Seite zugerechnet werden zu können - als Alternative zu Orbán präsentieren kann. Für die meisten nicht gebundenen Wähler ergibt sich daraus nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, zumal auch die fragmentierte Programmatik wenig Lust auf das Risko einer erneuten "Wende" macht.

Das entscheidende Drittel: Wettlauf der Wahlversprechen und Untergangsszenarien

Während der MSZP nun die Mobilisierung der linksorientierten Wähler und die Rolle der Fundamentalopposition zukommt, wird die E2014 vor allem durch konkrete Alternativangebote versuchen, Unentschlossene zu aktivieren. Bajnai versuchte in den letzten Interviews, abstrakte Debatten über Rechtsstaat, Verfassungsordnung und Demokratie - wiewohl in Ungarn virulent und bei einem tatsächlichen Machtwechsel sogar entscheidend für die Regierungsfähigkeit - zu vermeiden und den Verlierern der Orbánschen Ständestaatspolitik mit konkreten Zahlen auf die Sprünge zu helfen, mehr Geld für Geringverdiener und eine Jobgarantie für unter 30jährige inklusive.

Die Regierungspartei kontert mit Energiepreissenkungen, Kinder- und Familienfreibeträgen und "vielen schönen Jahren", wenn man nur "die Richtigen" wählt. Bajnais Vernunftsrhetorik eines soliden Landes-Managers, den er in seiner kurzen Amtszeit (2009/2010) gab, kommt bei der ideologisch aufgeladenen Atmosphäre und sich in Superlativen überbietendem Jahrmarktsgeschrei der Gegenseite kaum durch. Dass es der Mehrzahl (nicht allen!) Menschen in Ungarn heute schlechter gehen soll als vor 2010, wird die Regierung durch vorgetäuschte Sozialpolitik (die eigentlich eine Almosenpolitik ist) so abfedern und mit Untergangsszenarien ausmalen, dass das für einen Sieg benötigte Drittel des Wahlvolks rechtzeitig Gewehr bei Fuß stehen wird.

80% Verlierer zu Gewinnern machen...

Die "Isolation von Europa" und die "Unterminierung der Demokratie" ziehen bei weitem nicht so wie der drohende "Untergang des Magyarentums" oder die "Kolonialisierung durch die Finanzmärkte" beim ländlichen Durchschnitt sowie die nackte Verlustangst der kleinen - aber immer mächtigeren - Gewinnerschicht vor dem Totalverlust ihrer "Errungenschaften", ob diese nun in einer Tabaklizenz, unkontrollierten EU-Geldern, einem Pöstchen oder einem mehrstelligen Einkommenszuwachse Dank der reichenfreundlichen Flat tax bestehen.

Diesem inszenierten Endkampf zwischen Gut und Böse mit Vernunftsargumenten begegnen zu wollen, scheint angesichts der politischen "Kultur" in Ungarn aussichtslos, ist aber die vorletzte Chance, die diese Opposition überhaupt noch hat. Die letzte Chance ist ein äußeres Ereignis, ein massiver Währungs- und Wirtschaftseinbruch oder ein anderes "Wunder"´unmittelbar vor der Wahl. Es ist so unwahrscheinlich, wie Wunder nun einmal sind. Dass das Volk rational reagieren könnte, gehört ebenfalls in die Kategorie des Unwahrscheinlichen, auch wenn, wie E2014 überall plakatieren lässt, "80% Verlierer" der Orbán-Regierung seien. Die entscheidende Frage also: Wie weckt man ein halbes Land? Nur das
fragte sich die Opposition schon vor einem halben und vor einem Jahr...

Fidesz: Opposition ist fremdgesteuert und will das Volk bestehlen

Die Regierungspartei reagierte auf den Auftritt der beiden Oppositionsführer so gelassen wie aggressiv, in gewohnter Manier: "die ungarischen Menschen" hätten die Politik der "Vertreter (auch: Vasallen) fremder Interessen", "die schon einmal das Land ruiniert" hätten, "schon einmal abgewählt". Außerdem sei es "Allgemeinwissen", so Fidesz-Parteisprecher Kocsis, dass die "abgewirtschaftete" MSZP von ausländischen Politberatern promotet werde, während sie in Brüssel "gegen die Heimat" intrigiert. Bajnais Partei (bzw. sein Think tank `Heimat und Fortschritt`) wiederum habe im letzten Jahr rund eine halbe Millionen US-Dollar von "US-Finanzkreisen" erhalten, die dafür sicher "politischen Einfluss geltend machen wollen". Sein Wirtschaftsprogramm sei außerdem darauf ausgelegt, den Menschen "Geld wegzunehmen". Fidesz einziges Pro-Argument: Ministerpräsident Orbán. Auch ein mit den üblichen Blaupausen versehener Trupp Gegendemonstranten als Zeugen der "Voksempörung" durfte daher bei der MSZP-E2014-Veranstaltung in Nyíregyháza nicht fehlen.

Klare Mehrheit für Regierungslager

Durch die Verweigerung der grün-liberalen LMP, die - eingedenk der daraus resultierenden Chancenlosigkeit für einen Machtwechsel - zu beiden politischen Blöcken Äquidistanz wahren will sowie durch den Ausschluss der DK des Oppositionspalters Gyurcsány, entgehen der demokratischen Opposition nach derzeitigen Hochrechungen rund 8-10 Prozentpunkte (unter den zur Wahl Entschlossenen). Allerdings könnten ihr mit Gyurcsány im Boot noch mehr potentielle Wähler abhanden kommen. Zusammen kommen MSZP und E2014 derzeit in der Sonntagsfrage auf 30 bis 34%.

 

Allerdings entscheiden die 2014 stärker gewichteten Direktmandate im um rund 40% verkleinerten Parlament letztlich über den Wahlsieg. Da zur Erlangung selbiger - im Unterschied zu den zwei Wahlgängen bisher - bereits die relative Mehrheit genügt, wird Fidesz meistens favorisiert sein, könnte aber ausgerechnet dort, wo Jobbik besonders stark und die linke Opposition tatsächlich einig ist, überraschend ins Schwimmen kommen. Daraus ergibt sich das Paradoxon, dass besonders rechtslastige Wahlbezirke am ehesten für die Opposition zu erobern wären, was die interessante Frage auffwirft, ob sich daraus nicht zwangsläufig (klammheimliche) Wahllallianzen zwischen Jobbik und Fidesz ergeben müssen, in dem z.B. der eine oder andere Kandidat zu Gunsten eines Sieges der Rechten verzichten wird.

Je nach Direktmandatsverteilung genügen 2014 bereits rund 45% der insgesamt abgegebenen Stimmen für die Erlangung einer 2/3-Mandats-Mehrheit im Parlament. 2010 hatte Fidesz diese mit rund 54% bekommen. Einige Umfragen sehen E2014/PM derzeit außerhalb des Parlaments, das Parteinbündnis muss die doppelte Eintrittshürde, also 10% zum Einzug ihrer Kandidaten über die Landesliste schaffen.

Zum Thema:

Aktuelle Umfragezahlen vom November 2013

Gordon Bajnai über sein Wahlprogramm

"Übergroßes Feindbild": Bericht vom MSZP-Parteitag

"Generalmobilmachung": Bericht vom Fidesz-Parteitag

Freie Wahlen in Ungarn noch möglich?

Die linken Wahlhelfer des Fidesz - Desolate Opposition

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