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(c) Pester Lloyd / 49 - 2013 POLITIK 04.12.2013

 

Orbáns NSA

Minority report: Ist die ungarische Antiterroreinheit TEK verfassungswidrig?

Wer ein Terrorist und was eine Gefahr ist, bestimmt der Chef. So ist der Auftrag und die Befehlsstruktur des ungarischen Antiterroismuszentrums TEK zusammenzufassen. Ist mit der 1000köpfigen Sondereinheit eine von jeglicher rechtsstaatlichen Kontrolle entfesselte Privatarmee des Ministerpräsidenten entstanden? Was führt Orbán mit ihr im "Gefahrenfall" im Schilde? Der Präsident des Verfassungsgerichtes stellte die Rechtmäßigkeit der Antiterroreinheit jetzt offen in Frage, hat aber keine Macht mehr, dagegen vorzugehen.

Innenminister Pintér, TEK-Kommandeut Hajdú und Premier Orbán
bei der Vereidigung neuer Antiterror-Soldaten

Ein Urteil ohne Folgen - von einem Gericht ohne Eier

In der Vorwoche hat das Verfassungsgericht ein Prüfbegehren des Eötvös Károly Insitutes, eine NGO spezialisiert auf Bürgerrechte, hinsichtlich der verfassungsmäßen Führung und Kontrolle des Antiterrorismuszentrums, TEK, abgewiesen. Es war dem Gericht nicht erlaubt, die Sachlage zu prüfen, da das angefochtene Gesetz bei Beeinspruchung bereits länger als ein halbes Jahr in Kraft ist und - seit der 4. Verfassungsänderung - daher nicht mehr durch das Verfassungsgericht zu bewerten ist. Dass sich das Gericht in seinem abweisenden Bescheid dennoch mit der Sachlage selbst befasste, also eigentlich seine Kompetenzen überschritt, werten Beobachter schon als bemerkenswertes Aufbegehren der mehrfach kastrierten Institution. Einen Effekt hat es nicht. Der Kläger betrieb die Sache übrigens seit Juni 2012.

In einer vom Mehrheitsurteil der Richter abweichenden Meinungsäußerung, einem sogenannten Minority report, setzte sich der Präsident des Verfassungsgerichtes, Péter Paczolay, sehr kritisch mit der Spezialeinheit auseinander und sieht gleich mehrere Verstöße gegen Grundgesetzbestimmungen und rechtsstaatliche Grundprinzipien vorliegen. Damit wird sich das Land in Zukunft wohl öfter begnügen müssen. Eine Verfassungswidrigkeit wird zwar festgestellt, Folgen werden daraus aber keine mehr exekutiert, da selbst eine Annulluierung des entsprechenden Gesetzes lediglich die umstandslose Verankerung desselbigen in die Verfassung zur Folge hätte. Außerdem haben die Fidesz-ernannten Richter bereits eine relative Mehrheit erlangt, die nicht mehr weit von der absoluten, sprich Gleichschaltung, entfernt ist.

Doch zunächst einige Hintergründe zu Struktur,
Geschichte und Wirkungsweise des TEK:

Das TEK wurde 2010 per Dekret des Ministerpräsidenten ins Leben gerufen und setzt sich aus ungefähr 1.000 Mitarbeitern zusammen, die überwiegend aus den bestehenden Geheimdiensten, dem Innenministerium, der Polizei rekrutiert wurden.
Millionenschwere Beschaffungen für die bestausgerüstete Militäreinheit des Landes fallen unter die Geheimhaltung und werden daher nicht öffentlich ausgeschrieben. Die Mannstärke wurde seit 2010 von rund 200 auf fast 1000 verfünffacht (inkl. Bürokräfte etc.), das Budget beträgt offiziell jedoch weiterhin "nur" 50 Mio. EUR im Jahr, das Budget unterliegt zwar nicht der Geheimhaltung, ist durch "Querfinanzierungen" aber nicht mehr nachvollziehbar.

Offiziell ist die Einheit direkt dem Parlamentarischen Komitee für die Nationale Sicherheit unterstellt, nachdem, ebenfalls per Dekret, die Anbindung ans Innenministerium aufgehoben wurde. Das Kommando hat der langjährige Chef-Bodyguard und frühere Fidesz-Sicherheitsexperte, ein früh berenteter Polizeioffizier, János Hajdú (Foto) inne. De facto jedoch setzt das Büro des Ministerpräsidenten, also Orbán selbst, die Einsatzbefehle und lässt diese dann, wo geboten, im Nachhinein von der Fidesz-dominierten Ausschussmehrheit im Parlament bestätigen.

In mehreren Gesetzesänderungen, Kabinetts-Beschlüssen und premierministerlichen Dekreten wurden die Zugriffskompetenzen auf Datenbanken und Informationsquellen, die Aufgabenbereiche wie auch die Befehlsstrukturen verändert und so angepasst, dass man heute im Allgemeinen von Orbáns Privatarmee spricht. Das TEK ist offiziell zur Abwehr von terroristischen Angriffen und als Unterstützungseinheit gegen organisierte Kriminalität definiert, erfüllt im Alltag aber vor allem Aufgaben des Personen- und Gebäudeschutzes vor allem für den Regierungschef. So agieren TEK-Beamte u.a.
direkt vor Orbáns Wohnhaus oder dem Präsidentenpalast, sichern deren Wege, organisierten aber auch die, später von einem Gericht als gesetzeswidrig eingestuften, Absperrungen im Budaer Burgviertel zur präventiven Verhinderung von Demonstrationen.

Wörtlich heißt es in der Dienstanweisung, die erst Monate nach Inkrafttreten im Amtsblatt publiziert wurde, dass das TEK auch das Recht hat, "bewaffnete und / oder gefährliche Gruppen oder Personen im Gefahrensfalle festzusetzen oder zu neutralisieren", im Juni kam eine weitere Ausweitung der Befugnisse hinzu, die das "Monitoring", also die Beobachtung von allen Personen oder Gruppen erlaubt, die "die nationale Sicherheit" gefährden könnten, einschließlich Regierungsmitgliedern. Und das, und das ist der eigentliche Problempunkt, ohne Anlass, ohne richterliche Befugnis oder Kontrolle, allein auf "ministerielle Genehmigung" hin. Es wird im Gesetz der Justizminister (Vizepremier und Fidesz-Vize Navracsics) angegeben, aber die Unterschrift eines Staatssekretärs im Amt des Ministerpräsidenten ist verfassungsrechtlich ebenfalls als "ministeriell" definiert, wenn auch an anderer Stelle. (So ähnlich läuft es übrigens auch bei der 350-Mann starken und ebenfalls
aufmunitionierten Parlamentsgarde. Offiziell Teil des Innenministeriums, doch de facto vom Parlamentspräsidente kommandiert, bei ebenso unklarer Aufgaben- und Rechenschaftslegung.)

Die Gemengelage weckt bittere Erinnerungen

Was mit den beim TEK - warum auch immer - gewonnenen Erkenntnissen geschieht, ist unbekannt, auch die Definition von "Gefahrenlage" für das Einschreiten bleibt schwammig, kurz: unter dem Label "Nationale Sicherheit" ist das TEK praktisch zu allem berechtigt: von der Hausdurchsuchung, über Abhöraktionen bis hin zum "Aus dem Verkehr ziehen". Wann die "Gefahr" eintritt, wer die nationale Sicherheit gefährdet, entscheidet am Ende nur der Eine, der Chef und der heißt Viktor Orbán. - Unklare Aufgabenbeschreibung, intransparente Kontrollstrukturen, nicht nachvollziehbare Zugriffsrechte auf sensible Informationen und spezielle "Einsatzrechte". Diese Mischung lässt in einem ehemaligen Ostblockland, das seine Stasi-Vergangenheit noch immer unter einem
großkoalitionären Mantel des Schweigens deckt, nicht nur aufhorchen, sondern es einem eiskalt den Rücken herunterlaufen.

VfG-Präsident kritisiert Doppelrolle, Kompetenzüberschneidung, Kontrollverlust

Der Hauptkritikpunkt des Verfassungsgerichtspräsidenten, Péter Paczolay, bezieht sich zunächst auf die Doppelrolle als "bewaffnetes Exekutivorgan und staatlicher Geheimdienst", die "mit dem Verfassungsrahmen kollidiert", also schlicht nicht vorgesehen ist. Paczolay, der schon unter der ersten Orbán-Regierung Generalsekretär des Verfassungsgerichtes war, aber erst unter der Gyurcsány-Regierung zum Verfassungsrichter, später zum Präsidenten wurde, findet es, im Unterschied zur Mehrheit seiner Kollegen, verfassungsrechtlich nicht genügend, dass das Parlamentskomitee "das Recht hat, Informationen beim Justizminister über die Aktivitäten des TEK anzufragen".

Da sowohl der Justiz- wie der Innenminister Mitglieder dieses Komitees sind, die Mehrheit der Mitglieder zu nur einer Parlamentspartei gehören und die Erkenntnisse des Komitees von vornherein als "geheim" eingestuft sind, ist eine parlamentarische Kontrolle, also eine, die im Interesse der Öffentlichkeit und der Gesetzmäßigkeit funktioniert, nicht ausreichend gegeben. Um es zu wiederholen, die Mehrheit der heutigen ungarischen Verfassungsrichter findet die erörterten Befehls- und Kontrollstrukturen als ausreichend verfassungsmäßig.

Das TEK im Winterdienst beim blamablen Katastropheneinsatz rund um den 15. März 2013, als tausende bis zu 30 Stunden auf zugefrorenen autobahnen festsaßen und zum Trost eine SMS vom Innenminister bekamen. Hier blockiert ein Schützenpanzer wegen des Fototermins die Fahrspur für die Räumprofis.

Einen ganz wesentlichen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien ortet der VfG-Präsident auch in der möglichen Umgehung der Judikative bei der Genehmigung von tiefen Eingriffen in die Privatsphäre und die Grundrechte von Bürgern oder Organisationen ohne strafrechtliche Indikation sowie die ebenfalls fehlende richterliche Nachbearbeitung, also die Rechenschaftslegung. Paczolay sieht hier die Möglichkeit, dass ein einzelner Minister "unrechtmäßige" Aktionen durchführen lassen kann, was durch die Maßgabe, dass auch die Befehle selbst der Geheimhaltung unterworfen werden, noch begünstigt wird. Er demontiert die behauptete Notwendigkeit des TEK zur Terrorabwehr oder Bekämpfung organisierter Kriminalität. Dafür sei neben der Polizei auch der Inlands- und der Militärgeheimdienst zuständig und entsprechend ausgestattet und genau dort gehörten auch die entsprechenden "Informationssammlungen" hin.

Der VfG-Präsident sagt damit, dass die TEK eigentlich sinnlos ist, was also ist ihr Zweck? In den Medien werden Einsätze im Winterdienst, beim Hochwasser, bei Familiendramen, Banküberfällen und Verhaftungen gefährlicher Krimineller vorgeführt. Aber warum unterstellt man die Einheit dann nicht der Polizei?

Grund- und Bürgerrechte werden abhängig von der Gnade der Politik

Der Verfassungsgerichtspräsident kommt zu dem Schluss, dass es bei der Kontrolle der Methoden und Handlungen, die im Namen der "nationalen Sicherheit" begangen werden oder werden können, ein ungesundes Übergewicht, eine Dominanz politischer Entscheidungsträger gibt, die dazu führt, dass die rechtsstaatlichen Institutionen des Landes die Grundrechte der Bürger unter Umständen nicht mehr gewährleisten können, sondern dass diese Grund- und Bürgerrechte am Ende abhängig von der Gnade der Politik werden könnten.

Offenbar gelang es der Orbán-Regierung also doch, den
allumfassenden Geheimdienst, den man sich zu Anfang der Regierungsperiode wünschte, dann aber offiziell ad acta legte, durch die Hintertür zu etablieren. Diese schwer bewaffnete Krake muss man auch im Zusammenhang mit den weiterführenden Ambitionen der regierungsseitigen Kontrollfreaks sehen, die nicht nur Kriminelle, politische Gegner, Bürger, Steuerzahler, Internetnutzer etc. betreffen und im Guten wie im Bösen für und gegen diese eingesetzt werden kann, sondern auch die Absicherung der eigenen zwielichtigen Machenschaften gegenüber einer späteren Aufarbeitung erleichtert.

Vergessen wir nicht, dass die anlassbefreite Bespitzelung von Beamten ohne richterliche Kontrolle in Ungarn bereits Gesetz und gelebte Praxis ist, auch wenn sie gerade vor der EU angefochten wird. Die Regierung erteilte sich unter dem Mantel der Terrorabwehr (Fluggastdaten) oder "Steuergerechtigkeit" auch mit EU-Genehmigung und Geldern weitreichende Vollmachten und entwickelt Pläne, die vom Jahr 2013 direkt nach 1984 führen. Hier mehr dazu.

Schwer bewaffnete Datenkrake als Machtstütze und Spielzeug für den Egomanen

 

Es ist auch nicht so, dass der Missbrauch von Geheimdienststrukturen Beispiel 1, Beispiel 2, Beispiel 3, Beispiel 4, für Ungarn Neuland bedeutete. Doch wie auf allen Feldern, auf denen die "sozialistischen" Vorgänger nur stümperten, zieht die neue, "nationale" Regierung ihre Schlüsse und perfektioniert ihr Vorgehen, auch, in dem man sich legislativ absichert. Das betrifft den Zugang bzw. Umgang mit EU-Geldern ebenso wie die Aneignung von Grund und Boden oder die Erschließung von Einnahmequellen durch Handelsmonopole. (siehe: Leaglisierung des Illegalen - das Schattenreich der Kleptokraten)

Hier geht es jetzt um Informationsmonopole und die schiere Gewalt, die sowohl den Machtbedürfnissen der Regierungspartei und ihrer Helfersschicht dient als auch das subnormale Geltungsbedürfnis des Premiers streichelt, der sich hier eine schwer bewaffnete Puszta-NSA schuf.

Verfassungspräsident Paczolay unterlässt in seiner "Minderheitenmeinung" den im Raum stehenden Satz, dass nicht nur die im Falle der TEK betriebene Machtanmaßung der Politik zu Rechtsstaatsabbau führt, sondern auch die strukturelle Beschneidung jenes obersten Hüterorgans der Verfassung, dem er als Präsident ohne Macht, sondern nur noch mit mahnender Stimme vorsteht.

m.s.

Zum Thema: Der Blog Pusztaranger berichtet anhand von Recherchen des Transparenzportals atlatszo.hu, wie ein Gründer der neonazistischen, verbotenen "Ungarischen Garde" und Jobbik-Aktivist zum Produzenten einer Polizei-Serie für das Staatsfernsehen wird. Hier entlang.

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