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(c) Pester Lloyd / 51 - 2013 POLITIK 18.12.2013

 

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Aktuelle Parlaments- und Regierungsbeschlüsse in Ungarn

Kein Spielraum mehr: Haushaltsgesetz 2014 beschlossen - Zurück zu 1991: Staat wird alleiniger Lieferant von Schulbüchern - Regierung beschlagnahmt Budapester Stadtwäldchen - Hürden für direkte Demokratie verdoppelt - Auch Nichtkonfessionelle zahlen ab 2014 Kirchensteuer - U-Ausschuss zu Steuerskandal auf Sankt Nimmerlein vertagt - PR-Manager leitet NSA-/Landesverräter-Ausschuss - Staat kauft RWE-Tochter Fögáz - Forex-Umtauschmodell verlängert

Premier Orbán dieser Tage im Parlament. Er lässt sich von Waisen besingen, die er anschließend im Haus herumführt, verköstigt und beschenkt.

Kein Spielraum mehr: Haushaltsgesetz 2014 beschlossen

Mit 252:84 Stimmen wurde die (vorerst) finale Version des Haushaltsgesetzes 2014 verabschiedet und damit ein neues Defizit von 984,6 Milliarden Forint (rund 3,3 Mrd. EUR) bzw. 2,9% des für 2014 prognostizierten BIP, das von 2% Wachstum gegenüber 2013 sowie 2,4% Inflation ausgeht sowie einen Anstieg der Realeinommen von 2% und 1,9% des Binnenkonsums behauptet. Es wird ein Forintmittelkurs von 296,9 je Euro angesetzt. Die Staatsschuldenquote soll nominell von heute 77,4 auf 76,9% fallen. Hier mehr zu den Eckddaten. EU-Einschätzung der ökonomischen Chancen und Risiken in Ungarns Haushalt und Wirtschaft (Novemberprognose nebst weiterführender Links.)

Allein 270 Mrd. HUF der Einnahmen werden von der als "Finanztransaktionssteuer" bezeichneten neuen Steuer erwartet, die allerdings nicht als Antispekulationssteuer, sondern lediglich als ausgelagerte Einkommens- bzw. versteckte zusätzliche Mehrwertsteuer konzipiert ist. Sie trifft nämlich alle Bürger, so auch die Oma bei der Einzahlung ihrer Stromrechnung, während sie für Spekulanten bei 6.000 Forint (also 18.- EUR) pro Transaktion gedeckelt wurde. Auch die Telefonsteuer, 2 Forint pro Gesprächsminuite bzw, SMS ist ein Beispiel für die immer massiver steigenden Verbrauchssteuern, die alle belasten, während die Flat Tax von 16% als generelle Einkommenssteuer die Besserverdiener begünstigt. Die Umverteilung von Unten nach Oben ist ein konstantes Charakteristikum der Orbánschen Steuerpolitik.

Der Chef des als Kontrollorgan gedachten Haushaltsrates, erklärte die Ziele zuvor für "realistisch", internationale Fachleute kritisieren das trotz günstiger Rahmenbedingungen zu hohe Defizit, das vor allem auf Wahlkampfgeschenke zurückzuführen ist und fürchten, dass die Regierung das Land durch das Fehlen von Manövrierraum bei der kleinsten regionalen oder globalen Erschütterung, z.B. am Währungsmarkt, in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten bringen wird. Die Regierung hat sich Sonderfonds in Höhe von einmal 100 sowie weiteren 150 Millarden Forint (350 Mio und 420 Mio. EUR) festschreiben lassen. Offiziell als Budgetreserve, jedoch wird angenommen, dass die Mittel, wie in den Vorjahren, eher als "Kriegskasse" für den Erwerb in "strategischen Bereichen" sowie die Bedienung der Parteiklientel durch Sonderausschreibungen (PR-Aufträge etc.) dienen werden.

Staat wird alleiniger Lieferant von Schulbüchern

Ab dem 1. Januar wird der Staat, namentlich die zentrale Schulverwaltung, das Klebelsberg Institut, zum einzigen Lieferanten von Schulbüchern für die ungarischen Pflichtschulen, einschließlich der Kindergarten-Vorschulen. Man kehrt damit zur "sozialistischen" Praxis von vor 1991 zurück. Der zuständige Minister Balog begründete den Schritt damit, dass das bisherige System es "Unternehmen erlaubt habe, riesige Profite zu machen". Zukünftig können Lehrer nur noch von zwei verschiedenen Schulbüchern pro Fach wählen, beide folgen "in Gänze dem nationalen Rahmenlehrplan", ergänzte Staatssekretärin Hoffmann. Dieser Lehrplan ist wegen nationalistischer und teils völkischer Inhalte umstritten.

Der Beschluss wurde in einem parlamentarischen Eilverfahren durchgepeitscht, 236 Regierungsabgeordnete stimmten dafür, 73 Mandatare dagegen, darunter auch zwei Fidesz-Politiker, u.a. der Bildungssprecher der Partei, Zoltán Pokorni. Eine derart offene innerparteiliche Opposition ist ein Novum in dieser Legislaturperiode. Die oppositionelle MSZP fürchtet - mit Verweis auf das miese
PISA-Abschneiden - eine weitere Leistungsverschlechterung, Lehrergewerkschaften sprechen von einem weiteren Schritt der ideologischen Gleichschaltung von Lehrern und Schülern, Fachleute warnen vor “Gehirnwäsche”, z.B. im sog. Ethikunterricht. Die Mitte-Links-Allianz E2014/PM um Ex-Premier Bajnai forderte den Präsidenten auf, das Gesetz nicht zu unterzeichnen.

Regierungspartei beschlagnahmt Budapester Stadtwäldchen

Ebenfalls am Dienstag beschloss die Regierungspartei mit ihrer Mehrheit im Parlament die "Nationalisierung" des bisher unter städtischer Verwaltung stehenden Budapester Stadtwäldchens (Városliget). Auch alle darauf befindlichen Gebäude, mit Ausnahme des Széchenyi Bades, der Eisbahn und der Kunsthalle, fallen an die neue Staatsholding, die das Gebiet für 99 Jahre vom Staat verpachtet bekommt. Hauptgrund für den Schritt ist die Errichtung eines
"Nationalen Museumsquartiers" vom Heldenplatz bis hinein in die stadthistorisch bedeutsame Parkanlage.

Sowohl Bürgergruppen wie auch die politische Opposition warnen vor einer Verbauung des Parks mit "monumentalen Gebäuden", die dem "Größenwahn" der Regierungspartei mehr dienen als dem Projekt eines Museumsquartiers nach internationalem Maßstab, für das es etliche andere Flächen gibt, z.B. das vor Jahren für ein Regierungsviertel angedachte Gelände am Westbahnhof. Die MSZP startete eine Unterschriftenkampagne gegen die Pläne. "Die Regierung ignoriert schamlos die Interessen der Bürger und die Belange der Umwelt", sagte MSZP-Budapest-Chef Csaba Horváth.

Fidesz hat sich auf ähnliche Weise bereits die
Kontrolle über die Margareteninsel (vorher zum XIII. Bezirk gehörig) und die Schiffsbauinsel (von einem gescheiterten Privatinvestor zurückgekauft) gesichert.

Hürden für direkte Demokratie in Ungarn verdoppelt

Das bereits seit Juni 2011 auf dem Tisch liegende Gesetz über die massive Anhebung der Hürden für gesetzlich bindende Referenden, tritt mit dem Wahltag 2014 in Kraft. Das Gesetz wurde am Dienstag durchs Parlament gebracht. Zunächst muss die nationale Wahlkommission (nach Parlamentsparität besetzt) binnen 30 Tagen die Fragestellung genehmigen, anstatt früher 100.000, braucht es nun 200.000 (aerkannte) Unterstützungsunterschriften und anstelle 25% müssen dann 50%+1 aller Wahlberechtigten am Referendum teilnehmen, von denen wiederum mehr als die Hälfte diesem zustimmen müssen um einen Parlamentsbeschluss, also eine Gesetz oder Gesetzesänderung "im Sinne des Antragsteller", das "mindestens 3 Jahre gültig" bleibt, zu erwirken. Sollten der Präsident oder die Regierung Lust auf eine Volksbefragung haben, genügen dafür nur 100.000 Unterschriften und ein Parlamentsbeschluss.

U-Ausschuss zu Steuerskandal auf Sankt Nimmerlein vertagt

Die Regierungsfraktion hat ein weiteres Mal die Etablierung eines Untersuchungsausschusses zum
Steuerskandal rund um den Kronzeugen András Horváth verhindert. Die Regierungsmehrheit beschloss am Dienstag, eine "Faktenfindungskommission" erst einzusetzen, wenn "strafrechtliche Verantwortlichkeiten" seitens der Ermittlungsbehörden festgestellt werden. Da man allerdings gleichzeitig daran festhält, dass strafrechtliche Ermittlungen gleichzeitige parlamentarische Erhebungen ausschließen (was rechtlich nicht der Fall ist), dürfte eine parlamentarische Aufarbeitung des systematischen und angeblich amtlich wie politischen beförderten Steuerbetruges, endgültig ad acta gelegt worden sein. Inzwischen hat das Finanzamt NAV die angekündigte Verlumdungsklage gegen ihren Ex-Mitarbeiter Horváth eingereicht.

MVM kauft RWE aus Budapest aus

Der Staat als Mehrheitseigner des Energieunternehmens MVM (mehrere Heiz- und Stromkraftwerke, Leitungsnetze, AKW Paks, ehem. E-ON-Gastöchter) übernimmt per 1.1.14 den im Besitz der deutschen RWE befindlichen Anteil von 49,38% an dem Budapester Gasversorger Fögáz Rt. und damit die Versorgung von über 800.000 Kunden. Der Preis für die Übernahme soll bei rund 140 Mio. EUR liegen. Mehrheitseigner bleibt die (ebenfalls Fidesz-regierte) Stadt Budapest. Die Übernahme steht im Zusammenhang mit der Nationalisierungspolitik auf dem Energiesektor, der durch die Preis- und Steuerpolitkk für die internationalen Player zunehmend uninteressant wird. RWE hatte schon Anfang des Jahres die Investitionen in Ungarn weitestgehend eingestellt.
Hier mehr zu dem Themenkomplex.

Kirchensteuer eingeführt: 1% der Einkommenssteuern als staatliche Kollekte

In einem weiteren Gesetzespaket wurde die
Ausweitung der steuerlichen Finanzierung der nach dem neuen Kirchengestz als "historische Kirchen" eingeordneten Glaubensgemeinschaften (also Katholiken, Reformierte (Kalvinisten), Lutheraner, Juden) beschlossen. Nicht nur karitative Einrichtungen dieser Kirchen können nun 1% der individuellen Steuerwidmung von Einkommenssteuerzahlern erhalten, sondern auch die Kirchen selbst. Mehr noch: der Staat wird 1% aller Einkommenssteuern diesen Kirchen "schenken", in dem er die Differenz zwischen persönlicher Widmung und Erreichen der 1%-Marke selbst darauflegt. Die Summe wird dann zwischen den Kirchen anteilig an der Quote der Widmungen aufgeteilt. De facto zahlen also auch Nichtkonfessionelle ab 2104 in Ungarn eine Steuer an die Kirchen, eine Kirchensteuer.

Forex-Umtauschmodell verlängert

Beschlossen wurde auch die Ausdehung des bestehenden Forex-Kredit-Umtauschmodells (bei Hypotheken auf selbst genutzte Immobilien, zu einem bevorzugten Wechselkurs, wobei die Differenz in einem weiteren Forintkredit an den alten angehängt wird) auf Kredite, die mehr als 90 Tage überfällig sind, aber von der Bank noch nicht gekündigt wurden. Diese Schuldner können bis 7.2.2014 noch von dem Modell Gebrauch machen. Allerdings warten die meisten ohnehin auf den "Befreiungsschlag" der Regierung, sprich einem generellen Zwangsumtausch von Forex- in Forintkredite zu festgelegten Zinsen und Wechselkursen.
Siehe hier.

Fidesz-PR-Manager leitet NSA-/Landesverräter-Ausschuss

Dass der NSA-Untersuchungsausschuss zu einem Wahlkampfzirkus über "ausländischen Einfluss" auf ungarische Politiker werden könnte, wird nun auch durch die Besetzung desselbigen bestätigt. Ausgerechnet der Parteisprecher Máté Kocsis soll den U-Ausschuss leiten, ihm zur Seite wird Gérgely Gulyás gestellt, ebenfalls eines der PR-Kanonenrohre der Regierung. Der Bericht des Komitees über die Infiltrationsversuche ausländischer Geheimdienste nebst inländischer Kollaboratuere wird wenige Wochen vor der Wahl erwartet.
Mehr dazu.

red.

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